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Die rotierende FledermausVon Joachim Lange / Foto von Martin Sigmund
So viele Einsatzwagen der Polizei vor einem Opernhaus sieht man selten. Doch die hatten ihren Demo-Einsatz am Abend schon hinter sich. Im an sich so friedlichen Stuttgart steht momentan ja alles etwas auf dem Kopf. Zwischen Bahnhof, Oper und Schloss proben die sonst so staatsbraven Schwaben plötzlich einen Wir sind das Volk Aufstand, weil ein Teil von ihnen nicht mehr akzeptiert, was Bahn und Politiker in Sachen Um- und Ausbau beschlossen haben. Und drinnen, im Staatstheater, wo Heiner Geißler sich tagsüber als Schlichter erprobt, steht dann auch noch die gute alte Fledermaus auf dem Kopf. Doch wenn Rosalinde und ihr Verehrer Alfred beim Abschied singen: Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist, dann hat das bei Philip Stölzl trotzdem nichts mit dem Rabatz vor der Tür zu tun. Bei dem renommierten Film-Mann mit offenbar nachhaltig erwachter Liebe zur Oper (siehe Rienzi in der Bismarckstraße) segelt die Fledermaus nämlich keineswegs - wie fast schon üblich - im Tiefflug über die zerklüfteten Landschaften von lokaler - oder großer Politik und Geschichte, um dort die Untiefen unter der Komödie und der perfekt komponierten Melodienseligkeit auszuloten. Paul Armin Edelmann, Torsten Hofmann, Simone Schneider (war für die Premiere vorgesehen, aus gesundheitlichen Gründen übernahm dann Zweitbesetzung Adriane Queiroz schon die Premiere)
Dass selbst der Gefängniswärter Frosch die Chance zum kabarettistisch schwäbelnden Rundumschlag pro oder contra Stuttgart 21 nicht nutzen würde, war schon bei seinem ersten Auftritt klar. Bereits vor der Ouvertüre geistert Josef Ostendorf nämlich das erste Mal durch das lädierte Waldstück, das Conrad Reinhardt und der Regisseur (beide als Bühnenbildner) an die Rampe platziert haben. Er lebens-philosophiert vor sich hin und sammelt die Champusreste aus den rumliegenden Pullen in einem Tank, die er dann im dritten Akt als unvermeidlichen Slibo-Witz hinunter kippt. Schon da ist er mehr als Gehilfe des tieftraurigen, puck-ähnlichen Spielmacher-Clowns Orlowsky unterwegs, als auf eigene Komödianten-Rechnung. Beim Ball steht die bürgerliche Welt hinterm mittsommernächtlichen Wald auf dem Kopf
Diese beiden setzen während der Ouvertüre ein Spiel in Gang, das sich dann zwar nicht zu einer wirklich bissig nachtschwarzen Tiefenlotung auswächst, aber mit seiner melancholisch dämmerigen Mittsommernachtstimmung gefangen nimmt. Mit einer Truppe von halbnackten, straps-bewährten Ballettratten mit Tiermasken, die sich in diesem metaphorischen Unterholz der Obsessionen tummeln. Dann plötzlich öffnet sich hinter dem Waldstück der Salon der Eisensteins. Ein Raum-Würfel mit Kachelofen, Standuhr-Versteck für den schmachtenden Tenor-Liebhaber, einem Riesenkronleuchter und einer Tafel fürs Abschieds-Supper. Das ist alles hell, clean und bürgerlich schmuck. Vor allem aber ist es aus dem Lot. Sicher ist da schnell klar, dass das so bleiben, immer schwanken und zu Orlowskys Ball genau auf dem Kopf stehen wird. Im Gefängnisakt ist der Raum dann sogar wie ein Trümmerfeld verwüstet und nichts ist mehr an seinem Platz. Hier wird einem nicht nur vom Schampus schwindlig
Diese (selbst-)täuschend auf dem Kopf stehende Welt ist durchaus nicht so neu, wie sie aussieht - man denke nur an Homokis Rosenkavalier. In dieser Fledermaus aber ist das effektvoll und sinnstiftend. Wenn der Raum dann sogar rotiert und alle durcheinander wirbelt, die darin den Schein wahren und den anderen gleichzeitig hintergehen wollen, sich mit Champagner betäuben, Rache-Intrigen spinnen oder vorgeführt werden, dann ist Stölzl ziemlich nahe am Kern dieser singulären Operette. Bühnenästhetisch dominiert hier zwar die Lust am artistisch Besonderen. In seiner Figurenzeichnung und dem inneren Drive aber folgt Stölzl geradezu wohltuend altmodisch, ohne übertriebenen Neudichtungsehrgeiz für die nur sanft angepassten Sprechtexte und mit unverkennbarer Sympathie, seinen Figuren durch den dramatischen Scherz, mit dem der traurige Clown Orlowsky nach dem verlorenen Lachen sucht. Der Chor in Aktion
Immerhin kommt bei Paul Armin Edelmanns Eisenstein zum exzellenten Gesang auch die angeborene Wiener Geschmeidigkeit beim Sprechen, doch werden die verbalen Defizite seiner Kollegen durch die stimmliche und darstellerische Qualität des Ensembles und auch durch die inszenierte Verfremdung meist ausgeglichen. Ob die wunderbar frech jammernde Adele von Anna Palimina, die fast bis zum Schluss handfest höhensichere Adriane Queiroz als Rosalinde, oder die wie immer mezzostabile Helene Schneiderman als Prinz oder der wunderbar schmierende Alfred von César Gutiérrez gesungen wird durchweg auf hohem Niveau. Zu einem musikalischen Triumph wurde all das aber, weil der Österreicher Manfred Honeck am Pult seiner lustvoll zelebrierten, idiomatischen Strauß-Souveränität (nicht nur bei der eingefügten Schnellpolka Perpetuum mobile) freien Lauf ließ und ihm sein Orchester mit auftrumpfendem Schmiss und melancholisch ironischem Hintersinn imponierend sicher folgte.
Die Stuttgarter Fledermaus steht zwar Kopf, ist aber szenisch und musikalisch nicht nur dicht am Kern dieser Ausnahme-Operette von Johann Strauß, sondern ein Wurf, der Vergnügen macht. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Co-Regie
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Gabriel von Eisenstein
Rosalinde, seine Frau
Adele, Stubenmädchen
Prinz Orlofsky
Dr. Falke, Notar
Gefängnisdirektor Frank
Alfred, Gesangslehrer
Dr. Blind, Advojat
Frosch
Ida, Adeles Schwester
Ballettratten
Traceusen
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- Fine -