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Poetisches MysteriumVon Christoph Wurzel / Fotos: Martin Sigmund
Die Hinrichtungsszene Die
Handlung
dieser eindrucksvollen Oper ist an dem historischen Fall der
16 Nonnen aus Compiènge orientiert, die im Jahre 1794
während der
Terrorherrschaft der Jakobiner als religiöse
Konterrevolutionäre
verfolgt wurden und unter der Guillotine ihr Leben lassen mussten – mit
Ausnahme Einer, die dadurch später vom Schicksal ihrer
Mitschwestern
berichten konnte. Dem daraus entstandenen religiösen Mythos hat
1906
die römische Kirche noch Nachdruck verliehen, indem sie die Nonnen
als
Märtyrerinnen selig gesprochen hat. In
Bemerkungen
zu seiner Oper hat sich Poulenc bewusst einer Deutung
enthalten. Aus der Handlungskonstellation aber ist zu lesen, dass es
auch ihm nicht um eine Heroisierung dieses Martyriums gegangen ist. Zur
Hauptfigur seiner Oper macht er die junge Novizin Blanche und zeigt an
ihr besonders den Aspekt der Lebensangst unter den Verhältnissen
der
Terrorherrschaft und wie diese junge Frau mit der
Überwindung
ihrer Angst durch ihren Glauben kämpft. Erst ganz am Schluss im
Angesicht des Todes ihrer Mitschwestern überwindet sie ihre Angst,
stellt sich ihrem selbst gewählten Schicksal (sie hat sich den
Ordensnamen „Schwester von der Todesangst Christi“ gegeben) und
schreitet freiwillig aus der Volksmenge heraus mit zu ihnen zur
Hinrichtung. Es ist das Motiv der konsequenten Behauptung ihres
persönlichen Bekenntnisses, die „entschlossene Verweigerung, sich
selbst zu verleugnen“, das Thomas Bischoff in den Mittelpunkt seiner
Regiearbeit gestellt hat. So hat er in einem dramaturgischen Kunstgriff
die Handlung als Spiel im Spiel dargestellt, d.h. in einer gedachten
Wiederholung der Ereignisse durch die Betroffenen selbst auf der
Bühne
eines von der jakobinischen Diktatur erzwungenen Revolutionstheaters.
Die Akteure hätten die Wahl anders zu entscheiden, aber sie
entscheiden
sich wieder wie zuvor. Dies ist ein Entwurf, der dieser Oper in
Stuttgart eine poetische Dimension gibt und die Handlung aus einem
purem Naturalismus befreit, der vielleicht gerade wegen ihrer
religiösen Überhöhung weniger überzeugen
könnte. Eindrucksvoller Ausstattungsentwurf von Michele Canzoneri (Bühne) und Rosselina Leone (Kostüme) Bühne und Kostüme
sind
künstlerische Entwürfe des italienischen Paares Michele
Canzoneri und
Rosselina Leone und stilisieren in höchst ästhetischer Weise
die
Elemente der Handlung. Auf einem Podium auf der Opernbühne
vollzieht
sich das Geschehen in klaren konzentrierten Bildern. Vor allem die
innere Bewegung der Figuren steht im Mittelpunkt, nicht
äußeres
Geschehen, das lässt der Musik breiten Raum der Entfaltung.
Manfred
Honeck führt das Staatsorchester zu exzellentem Klang mit
transparenter Tiefenschärfe in den einzelnen Stimmen und sensibel
ausgehört in der Poulenc eigenen Expressivität.
Ein außergewöhnlich
gutes
Sängerensemble hat sich für die Stuttgarter
Erstaufführung dieser Oper
auf der Staatsopernbühne versammelt. Francis Poulenc hat die
Partien in
Anlehnung an klassische Rollenvorbilder eminent sängerfreundlich
komponiert und die Solistinnen und Solisten dieser Produktion
erfüllen
deren Anforderungen herausragend. Jutta Böhnert zeigt sich in der
Rolle
der Blanche eher introvertiert und scheu, singt aber mit lyrischem
Glanz diese Rolle der jungen Ordensnovizin voller Zweifel und
Ängste.
Hierzu der Gegenpart wird in Gestalt der Schwester Constance gezeigt,
die in ihrer naiven Frömmigkeit, aber auch hellsichtigen
Inspiration
höchst eindrucksvoll von Sunhae Im verkörpert wird. Poulenc
hat diese
Rolle nach Mozarts Zerlina gebildet und Sunhae Ims Stimmcharakter
ist hierfür geradezu punktgenau prädestiniert.
Jutta Böhnert (links als Schwester Blanche) und Sunhae Im (Constance); liegend Catherine Janke (in der Rolle der La Faucheuse als personifierter Tod in einer Geste der Ergebenheit vor der Frömmigkeit der beiden Nonnen) Neben
der
Schlussszene mit der Hinrichtung der Karmeliterinnen ist die
Sterbeszene der alten Priorin ein weiterer dramatischer Höhepunkt
der
Oper. Rosalind Plowright gibt dieser Szene durch Darstellung und
sängerische Kraft eine tiefe und packende Ausdrucksstärke.
Auch die
beiden weiteren wichtigen Rollen unter den Nonnen, die der neuen
Priorin Madame Lidoine und die der einzig überlebenden Schwester
Marie
werden von starken Sängerinnen verkörpert: von Michaela
Schneider, die
der Priorin in ihren Selbstzweifeln glaubhaftes Profil gibt und von
Andrea Meláth, welche die herrische Mère Marie
überzeugend verkörpert. Die alte Priorin stirbt einen schweren Tod:
Rosalind Plowrigt (Mitte) mit Andrea Meláth (Mère Marie;
Hintergrund)
und La Faucheuse (Catherine Janke)
Das Spiel im Spiel erlaubt der Regie als Erweiterung der Handlung eine
zusätzliche dramatische Ebene einzuziehen, die mit Texten aus
Heiner
Müllers Stück „Der Auftrag“ zur Dialektik der Revolution
gefüllt wird.
Von Catherine Janke werden diese Reflexionen über den „Tod als
Maske
der Revolution“ zitiert und schaffen eine weitere Möglichkeit zu
rationalem Abstand zum Geschehen. Dadurch erfüllt diese
Inszenierung
das, was Poulenc selbst für seine Oper in Anspruch nimmt: „Beim
Publikum liegt es nun, das Übrige herauszufinden“.
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ProduktionsteamMusikalische
Leitung Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
SolistenLe
Marquis
de la Force Blanche de la
Force Le
Chevalier
de la Force Madame de
Croissy Mère
Marie Soer
Constance Beichtvater Ein
Beamter
1.
Kommissar Thierry
/
Dr. Javelinot / La
Faucheuse
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