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Musiktheater
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Dialogues des Carmélites

Oper in drei Akten und zwölf Bildern

Musik von Francis Poulenc
Text vom Komponisten nach einer Novelle von Gertrud von le Fort
und Dialogen von George Bernanos
 
In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln 

Dauer: 3 Stunden – eine Pause

Premiere am 10. April 2011 im Staatstheater Stuttgart

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Poetisches Mysterium

Von Christoph Wurzel / Fotos: Martin Sigmund


Es ist ein sanfter Tod, den die 15 Ordensfrauen in dieser Inszenierung von Poulencs Oper Dialoge der Karmeliterinnen sterben. Das liturgische „Salve Regina“ auf den Lippen treten sie nacheinander vor, fallen aber nicht, wie es im Libretto steht und wie es die Musik mit einem harten Trommelschlag für jede Einzelne suggeriert, unter dem Fallbeil, sondern sie werden von einer allegorischen Todesfigur niedergeworfen, einem Sensenmann in Jakobinertracht, sanft mit einem leichten Sichelschnitt, in verlangsamter Bewegung minutiös choreografiert. Dieses Schlussbild hat etwas ungemein Anrührendes und ruft Mitfühlen hervor. So erhält das Sterben der Karmeliterinnen einen tröstlich erlösenden Sinn. Thomas Bischoffs Inszenierung vermeidet im Schlussbild - wie überhaupt die ganze Aufführung über - jedes religiöse Pathos, der Hinrichtungstod der Nonnen des Karmeliterinnenklosters erscheint nicht als heldenhafter Triumph der Religion über die Gewalt der Revolution, sondern als konsequenter Zielpunkt des Lebensentwurfs dieser Ordensfrauen, nämlich ihres Gelübtes ihren Glauben nicht zu verleugnen und damit ihre Selbstachtung zu bewahren.

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Die Hinrichtungsszene

Die Handlung dieser eindrucksvollen Oper ist an dem historischen Fall der 16 Nonnen aus Compiènge orientiert, die im Jahre 1794 während der Terrorherrschaft der Jakobiner als religiöse Konterrevolutionäre verfolgt wurden und unter der Guillotine ihr Leben lassen mussten – mit Ausnahme Einer, die dadurch später vom Schicksal ihrer Mitschwestern berichten konnte. Dem daraus entstandenen religiösen Mythos hat 1906 die römische Kirche noch Nachdruck verliehen, indem sie die Nonnen als Märtyrerinnen selig gesprochen hat.

In Bemerkungen zu seiner Oper hat sich Poulenc bewusst einer Deutung enthalten. Aus der Handlungskonstellation aber ist zu lesen, dass es auch ihm nicht um eine Heroisierung dieses Martyriums gegangen ist. Zur Hauptfigur seiner Oper macht er die junge Novizin Blanche und zeigt an ihr besonders den Aspekt der Lebensangst unter den Verhältnissen der Terrorherrschaft  und wie diese junge Frau mit der Überwindung ihrer Angst durch ihren Glauben kämpft. Erst ganz am Schluss im Angesicht des Todes ihrer Mitschwestern überwindet sie ihre Angst, stellt sich ihrem selbst gewählten Schicksal (sie hat sich den Ordensnamen „Schwester von der Todesangst Christi“ gegeben) und schreitet freiwillig aus der Volksmenge heraus mit zu ihnen zur Hinrichtung. Es ist das Motiv der konsequenten Behauptung ihres persönlichen Bekenntnisses, die „entschlossene Verweigerung, sich selbst zu verleugnen“, das Thomas Bischoff in den Mittelpunkt seiner Regiearbeit gestellt hat. So hat er in einem dramaturgischen Kunstgriff die Handlung als Spiel im Spiel dargestellt, d.h. in einer gedachten Wiederholung der Ereignisse durch die Betroffenen selbst auf der Bühne eines von der jakobinischen Diktatur erzwungenen Revolutionstheaters. Die Akteure hätten die Wahl anders zu entscheiden, aber sie entscheiden sich wieder wie zuvor. Dies ist ein Entwurf, der dieser Oper in Stuttgart eine poetische Dimension gibt und die Handlung aus einem purem Naturalismus befreit, der vielleicht gerade wegen ihrer religiösen Überhöhung weniger überzeugen könnte.

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Eindrucksvoller Ausstattungsentwurf von Michele Canzoneri (Bühne) und Rosselina Leone (Kostüme)

Bühne und Kostüme sind künstlerische Entwürfe des italienischen Paares Michele Canzoneri und Rosselina Leone und stilisieren in höchst ästhetischer Weise die Elemente der Handlung. Auf einem Podium auf der Opernbühne vollzieht sich das Geschehen in klaren konzentrierten Bildern. Vor allem die innere Bewegung der Figuren steht im Mittelpunkt, nicht äußeres Geschehen, das lässt der Musik breiten Raum der Entfaltung. Manfred Honeck führt das Staatsorchester zu exzellentem Klang mit  transparenter Tiefenschärfe in den einzelnen Stimmen und sensibel ausgehört in der Poulenc eigenen Expressivität.
 
Ein außergewöhnlich gutes Sängerensemble hat sich für die Stuttgarter Erstaufführung dieser Oper auf der Staatsopernbühne versammelt. Francis Poulenc hat die Partien in Anlehnung an klassische Rollenvorbilder eminent sängerfreundlich komponiert und die Solistinnen und Solisten dieser Produktion erfüllen deren Anforderungen herausragend. Jutta Böhnert zeigt sich in der Rolle der Blanche eher introvertiert und scheu, singt aber mit lyrischem Glanz diese Rolle der jungen Ordensnovizin voller Zweifel und Ängste. Hierzu der Gegenpart wird in Gestalt der Schwester Constance gezeigt, die in ihrer naiven Frömmigkeit, aber auch hellsichtigen Inspiration höchst eindrucksvoll von Sunhae Im verkörpert wird. Poulenc hat diese Rolle nach Mozarts Zerlina gebildet und Sunhae Ims Stimmcharakter  ist hierfür geradezu punktgenau prädestiniert.

Vergrößerung inJutta Böhnert (links als Schwester Blanche) und Sunhae Im (Constance); liegend Catherine Janke (in der Rolle der La Faucheuse als personifierter Tod in einer Geste der Ergebenheit vor der Frömmigkeit der beiden Nonnen)

Neben der Schlussszene mit der Hinrichtung der Karmeliterinnen ist die Sterbeszene der alten Priorin ein weiterer dramatischer Höhepunkt der Oper. Rosalind Plowright gibt dieser Szene durch Darstellung und sängerische Kraft eine tiefe und packende Ausdrucksstärke. Auch die beiden weiteren wichtigen Rollen unter den Nonnen, die der neuen Priorin Madame Lidoine und die der einzig überlebenden Schwester Marie werden von starken Sängerinnen verkörpert: von Michaela Schneider, die der Priorin in ihren Selbstzweifeln glaubhaftes Profil gibt und von Andrea Meláth, welche die herrische Mère Marie überzeugend verkörpert.
In den Nebenrollen hat die Staatsoper hervorragende und bewährte Hauskräfte zur Verfügung, allen voran nach wie vor exzellente Sängerdarsteller wie Heinz Görig (Beichtvater) oder Wolfgang Schöne (Vater der Blanche).

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Die alte Priorin stirbt einen schweren Tod: Rosalind Plowrigt (Mitte) mit Andrea Meláth (Mère Marie; Hintergrund) und La Faucheuse (Catherine Janke)

Das Spiel im Spiel erlaubt der Regie als Erweiterung der Handlung eine zusätzliche dramatische Ebene einzuziehen, die mit Texten aus Heiner Müllers Stück „Der Auftrag“ zur Dialektik der Revolution gefüllt wird. Von Catherine Janke werden diese Reflexionen über den „Tod als Maske der Revolution“ zitiert und schaffen eine weitere Möglichkeit zu rationalem Abstand zum Geschehen. Dadurch erfüllt diese Inszenierung das, was Poulenc selbst für seine Oper in Anspruch nimmt: „Beim Publikum liegt es nun, das Übrige herauszufinden“.


FAZIT

In exzellenter Weise wird die Inszenierung dem Stück gerecht, indem sie ohne Pathos dem Sinn und der Aussage nachspürt, und zugleich durch eine neue poetische Wirklichkeit der Phantasie alle Spielräume lässt. Musikalisch ist eine bessere Realisierung kaum denkbar.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Manfred Honeck

Inszenierung
Thomas Bischoff

Bühne
Michele Canzoneri

Kostüme
Rossella Leone

Licht
Reinhard Traub

Chor
Johannes Knecht

Dramaturgie
Angela Beuerle 


Statisterie der Staatsoper

Chor der
Staatsoper Stuttgart

Staatsorchester Stuttgart


Solisten

Le Marquis de la Force
Wolfgang Schöne

Blanche de la Force
Jutta Böhnert

Le Chevalier de la Force
Roman Shulackoff

Madame de Croissy
(1. Priorin)
Rosalind Plowright

Madame Lidoine
(2. Priorin)
Michaela Schneider

Mère Marie
Andrea Meláth

Soer Constance
Sunhae Im

Mère Jeanne
Diana Haller

Soer Mathilde
Huiling Zhu

Beichtvater
Heinz Göhrig

Ein Beamter
Kai Preußker

1. Kommissar
Torsten Hofmann

2. Kommisssar
Szymon Chojnacki

Thierry / Dr. Javelinot /
Kerkermeister
Adam Kim

La Faucheuse
Catherine Janke





Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Stuttgart
(Homepage)



Da capo al Fine

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