Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Treffpunkt: Germanische Treppe Von Roberto Becker / Fotos von Charles Duprat / Opéra national de Paris In Paris geht es mit dem Ring planmäßig voran. Was dort in der Vergangenheit gar nicht so selbstverständlich war und auch schon mal mittendrin abgebrochen wurde. In der Intendanz von Nicolas Joel gehört er jedenfalls zu den wohl ambitioniertesten Projekten. Regisseur Günter Krämer und sein Bühnenbildner Jürgen Bäckmann haben in dem auf den ersten Blick bildüberladenen Rheingold, aus der Rückschau betrachtet, jene metaphorischen Leitmotive geschaffen, die sich in den folgenden Teilen sinnvoll variieren lassen. Vor allem die gigantische Treppe, zu der sie wohl die ebenso gigantische Bühne der Bastille-Oper inspiriert haben dürfte. Als Ausweis der durchaus politischen Deutungsambitionen wurden dort im Rheingold riesige Fraktur-Buchstaben hinauf geschleppt, die den programmatischen Schriftzug GERMANIA als eigentlichem Namen für die Götterburg ergaben. In der Walküre dann hatte Wotan in einem Wutanfall die ersten drei Buchstaben umgekippt, so dass nur ein vielsagendes MANIA stehen blieb. Offenbar war der Untergangsfuror des Göttervaters dabei so kraftvoll, dass die drei ersten Buchstaben gleich die ganze Götterburgfreitreppe heruntergeflogen sind. Und weil sie auf ihrem Weg in den Abgrund offenbar am Brünnhildenfelsen vorbeigeflogen sind und Feuer gefangen haben, züngeln die Flammen noch, wenn sich jetzt das G, das E und das R im dritten Aufzug unter Brünnhildes Schlafplatz auf der Treppe wiederfinden. Bei Mime und Siegfried daheim
Die Maid ist natürlich unversehrt und kann in schlichtem, weißen Gewand der Sonne und ihren Erwecker Siegfried mit allem Bombast begrüßen, den Wagner für sie nach ihrem jahrelangen Schlaf bereithält. Ihr Vater ist als Wanderer bei seinem Heimweg offenbar aus der Puste gekommen. Er liegt nämlich auf halber Treppe, ganz so, als sei er gestürzt und kann nur mit Hilfe einer himmlisch glänzenden, walkürenähnlichen Truppe in Richtung Walhall weiterwanken. Die Erschöpfung ist auch kein Wunder. Er hat immerhin kraft- und nervenraubende Abstecher zu seinem unfreiwilligen Quizpartner Mime und zu seiner alten Problemliebschaft Erda hinter sich. Auch musste er eine geradezu joviale Begegnungen mit seinem Erzfeind Alberich vor der Neidhöhle und die ihn verblüffende Begegnung mit seinem ziemlich flegelhaften Enkel Siegfried verarbeiten, die ihm gleichwohl sichtbar das Herz gewärmt hat. Die Germanische Treppe: Links brennen die Buchstaben (noch) und in der Mitte schläft Brünnhilde (noch)
Diese germanische Treppe hat aber nicht nur eine respektable Vorderseite, auf der sich auch die in den Schlaf gebannte Brünnhilde bequem und effektvoll platzieren lässt. Sie bietet auf der Rückseite auch für Mime und seinen Ziehsohn den Platz für eine Bleibe, die der mehr in der Mutter- als in der Vaterrolle aufgehende Schmied mit Geranien und Gartenzwergen beängstigend gemütlich eingerichtet hat. Es reicht sogar für eine veritable Cannabis-Pflanzung und eine kleine Werkstatt, mit deren Ausstattung Siegfried immerhin die Bruchstücke des Wunderschwertes wieder neu zusammensetzen kann. Etwas kryptisch verweisen die dabei hinter einem Ventilator auftauchenden Arbeitsmänner wohl auf das revolutionierend neue Verfahren, das der Held bei der Gelegenheit erfindet. Ziemlich eindeutig und sehr poetisch dagegen gelingen Krämer der Platz vor der Neidhöhle und der Besuch Wotans bei Erda. Es ist ein Bild purer, sehnsuchtsvoller Romantik, wenn die mit Bäumen bedruckten Tücher aus dem Schnürboden wallen. Und es ist einer der gelungenen Verweise Krämers auf die politisch dialektische Dimension der Tetralogie (und seiner Deutungsabsicht), wenn grün eingefärbte nackte Männer Kisten mit der Aufschrift Rheingold durch die Natur tragen und wenn dann bei deren Öffnung Waffen (was sonst?) zum Vorschein kommen. Vor der Neidhöhle die Rheingold-Waffenkisten
Erda hingegen erlebt man als oberste Archivarin in einem abgedunkelten Lesesaal. Dessen Dimension als Gedächtnis der Welt wird durch einen riesigen Spiegel im Hintergrund noch unterstrichen. Die schwarz gekleideten Damen an den Tischen freilich lesen nur noch Bücher in Blindenschrift. So ganz entsprach das wohl nicht Wotans Erwartungen, hatte der sich doch für diesen Besuch extra in einen Frack geworfen. Sein Statement allerdings, dass er nur noch das Ende will, beglaubigt er eindrucksvoll. Wenn sich der Zwischenvorhang vor diesem faszinierenden Raum herabsenkt, dann öffnet er noch einmal die Tür im Vorhang und wirft ein brennendes Streichholz hinein. Auf der musikalischen Habenseite dieses Siegfried stehen Philippe Jordan und sein Orchester ganz oben. Der junge Musikchef der Pariser Oper hat offenbar verinnerlicht, dass er die Raumdimensionen der Bastille nicht sprengen, sondern nur mit Klang ausfüllen muss. Das wagnerversierte Orchester und der gigantische Raum kommen ihm dabei entgegen, so dass er seinen Ehrgeiz voll auf das Ausformulieren der Details und die Balance mit den Sängern richten kann. Brünnhilde und Siegfried
Für seinen Siegfried teilt (der ganz und gar un-heldisch und un-jugendlich in eine Latzhose gepresste) Torsten Kerl seine Kräfte klug ein, überspielt Schwächen professionell und hält am Ende der ausgeruhten und ohne Schärfe, aber mit Wucht erwachenden Brünnhilde von Katarina Dalayman stand. Juha Uusitalos Wanderer ist souverän, wenngleich seiner Stimme, die letzte glänzende Überzeugungskraft doch fehlt. Stefan Milling beglaubigt seinen als Söldnerboss kraftmeiernden Fafner auch stimmlich. Und Qui Lin Zhang ist eine betörend strömende Erda. Peter Sidhom kommt mit seinem Biedermann-Alberich über die Runden. Die stimmliche und darstellerische Glanzleistung dieser Produktion freilich ist Wolfgang Ablinger-Sperrhackes Mime. Mit vorbildlicher Eloquenz und Wortverständlichkeit, aber auch mit abgründiger Komik vermag er nicht nur ein Kabinettstück hinzulegen, sondern auch das bei Krämer hier besonders deutlich zu spürende Bemühen zu beglaubigen, differenzierte menschliche Gefühlslagen hinter einer nach außen zur Schau getragenen Maske zu verdeutlichen. Dass das in diesem weitgreifenden Rahmen so überzeugend gelingt ist, ist eigentlich die größte Überraschung dieses Siegfried.
Der neue Pariser Siegfried hat Dank Philippe Jordan ein überzeugendes musikalisches Fundament. Auf der vokalen Seite gibt es zwar nicht nur Leistungen der ersten Güte, aber ein durchgängig auffallendes Bemühen, wirklich zu singen und nicht zu brüllen. Bei der Inszenierung kommt zu den großen, sich auf die anderen Teile beziehenden Bildern diesmal eine besonders gelungen und detaillierter Personenregie hinzu. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Choreographie
Solisten
Siegfried
Mime
Der Wanderer
Alberich
Fanfner
Erda
Waldvogel
Brünnhilde
|
© 2011 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de