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Orlando furioso

Dramma per musica in drei Akten
Libretto: anonym adaptiert nach Grazio Bracciolis Dramatisierung einer Episode aus Ludovico Ariostos gleichnamigem Epos
Musik von Antonio Vivaldi (RV 728)


in italienischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 3h 45' (zwei Pausen)

Premiere am 12.03.2011 im Théâtre des Champs-Élysées, Paris


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Théâtre des Champs-Élysées
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Auf der Suche nach seelischen Tiefen

Von Bernhard Drobig / Fotos von TCE © Alvaro Yañez


Lange hatten ihren eigenen Worten zufolge Christoph Spinosi, der Gründer und Leiter des Ensembles Matheus, und der Vivaldi-Experte Frédéric Delaméa davon geträumt, Vivaldis Orlando furioso erstmals nach dem Entstehungsjahr 1727 – die Uraufführung fand im venezianischen Teatro Sant' Angelo statt – wieder zu szenischen Ehren zu bringen; hielten sie doch unter den in Turin wieder entdeckten Opern des "prete rosso" diese für die originellste ihrer Art. Der Weg zur jetzigen Umsetzung dieses Traums im Pariser Théâtre des Champs-Élysées führte dann anno 2003, abgesehen vom Vergleich der unvollständigen Handschrift mit dem Libretto der Uraufführung und von der leider bis heute nur vage angesprochenen Komplettierung, zunächst zur konzertanten Aufführung an gleicher Stelle; ein Jahr später auch zu einer CD-Publikation, die, anders als die legendäre Einspielung mit Marylin Horne unter Claudio Scimone, keine Striche und Umstellungen, keine ausgreifende Orchestrierung oder Transpositionen aufwies und für die Wiedergabe bei Kammerton 440 Hz bekannte leistungsstarke Sängerschauspieler aufbot. Jetzt also sollte diese bisher aus der Musik als solcher gewonnene Auslotung der Rollen durch Bühnengeschehen eine weitere Vertiefung erfahren, was umso reizvoller schien, als fünf der damaligen Protagonisten wieder mit von der Partie waren und in gut siebenjährigem Abstand auf ein ohnehin gewandeltes Ausdruckspotential hoffen ließen, ergänzt um keineswegs unbekannte Künstler und getragen vom satten Klang eines 30köpfigen Streicherensembles und suo loco hinzutretender Bläser.


Vergrößerung in neuem Fenster Alcina umgarnt Ruggiero vor den Augen Orlandos und Bradamantes (1. Akt)

Ein Fest für Auge und Ohr kündigte sich an, kam jedoch, wenn überhaupt, nur eingeschränkt zustande, was bereits der magere Zwischenapplaus bei einigen wenigen Arien verriet. Von der den Gesang ergänzenden bzw. –vertiefenden Körpersprache der bis in die venezianischen Masken Livrierter hinein überwiegend dunkel gekleideten Protagonisten war im überwiegend schwarzdunklen Bühnenbild bei zumeist nur fahler Seitenbeleuchtung allzu vieles mehr zu ahnen als zu sehen. Zudem irritierte, dass oftmals nicht beteiligte Akteure in der Szene standen oder spukten, ohne dass man ihrer ohnehin schwer auszumachenden Betroffenheit oder Nichtbetroffenheit zusätzlichen Erkenntnisgewinn hätte entnehmen können. Mag sein, dass das Konturen verwischende Dunkel das Geheimnisvolle der in einem gespenstischen Palast mit Tisch und Stühlen des Empire residierenden und sich überlebenden Zauberin Alcina ebenso einfangen sollte wie das Unheimliche der geistigen Umnachtung des zuletzt in Lumpen agierenden Orlando; es verfehlte jedoch solche Wirkung wegen der nahezu durchgängigen Exklusivität, die nur für minimale, Hoffnung suggerierende Augenblicke von einem mattfarbig changierenden Hintergrund unterbrochen wurde.


Vergrößerung in neuem Fenster

Alcina mit dem Hochzeitspaar Angelica / Medoro (2. Akt)

Dass sich das alles nicht auf eine optimale Rollenidentifikation der Sänger ausgewirkt haben sollte, ist eher unwahrscheinlich, dass das suchende Auge dem Gehör nicht Aufmerksamkeit entzogen haben sollte, kaum vorstellbar; und dass die Verdunkelung dem Verständnis des barocktypisch komplizierten Libretto förderlich gewesen wäre, darf füglich bezweifelt werden. Zwar lässt es sich wie folgt kurz umreißen: Die Zauberin Alcina fördert das Verhältnis Medoros zu Angelica, indem sie ihr beim Abschütteln Orlandos hilft, während sie selbst, Astolfo abschüttelnd, Ruggiero seiner Verlobten Bradamante auszuspannen versucht, mit dem Ergebnis, dass Letztere sich gegen sie verschwören, Orlando aber, aus Enttäuschung wahnsinnig, im Wüten Zauberurne und Dasein Alcinas ruiniert. Vivaldis anonymer Librettist hat indessen diese auf Ariosts Epos von 1516 zurückgreifende Handlung in sich vielfach miteinander verschlingenden Fäden so angelegt, dass sich dem Komponisten mit 28 Arien, zwei Duetten, vier Chören und mehreren Accompagnati, insbesondere dem Formen sprengenden des rasenden Titelhelden im dritten Akt, eine breite Palette an Möglichkeiten zu variantenreicher Darstellung von Affekten und Attitüden bot, vom zartesten flötenbegleiteten Liebestraum des Ruggiero bis hin zum fulminanten Wutausbruch der entmachteten Alcina.


Vergrößerung in neuem Fenster Orlando im Wahn, umringt von Astolfo, Ruggiero, Medoro und Alcina (3. Akt)

Es war vor allem in diesen beiden Arien, dass sich für Minuten das beglückende Gefühl einer idealen Gestaltung einstellte, beim Liebestraum dank Philippe Jarousskys traumhaft klarem und empfindsamem Altus, bei der Furienbeschwörung dank Jennifer Larmore's fülligem, auch sonst hochexpressivem Mezzo. Marie-Nicole Lemieux als Orlando machte die angesagte Indisposition mit kraftvollem Alt und, soweit erkennbar, mit großem darstellerischem Talent nahezu völlig vergessen. In Kantabilität und Virtuosität rollenbedingt gefälliger gestaltete Veronica Cangemi mit ihrem gefühlvoll geschmeidigen und koloraturensicheren Sopran die wechselvollen Nöte der von zweien umworbenen Angelica, während die Mezzosopranistin Romina Basso mit berückend volltönender Tiefe Medoro markantes individuelles Profil gab. Auch Bradamante fand im herb wirkenden, im gesamten Ambitus klangschönen Mezzo von Ann Hallenberg eine deutlich abgrenzbare Kontur. Dem von Alcina verstoßenen Astolfo schließlich lieh Christian Senn angenehm weichen Bariton. Wohltuend insgesamt, dass Christophe Spinosi eher zurückhaltende, auf Anhieb eingängige Tempi anschlug, ohne dabei die der Agogik eigene Spannkraft zu beeinträchtigen. Dass da schon einmal Arien mit oktaviertem Schlusston endeten und in den Dacapi auch weniger überzeugende Abwandlungen begegneten, störte angesichts generell ausgewogener Verzierungen nur wenig. Die Begleitung der Arien, Duette und Accompagnati fand bis in die feinstziselierten Phrasen hinein ein erfreulich engagiertes Orchester, die der Secco-Rezitative eine aufmerksame, grundsätzlich schnörkellos aufspielende Continuogruppe.


FAZIT

Der Traum der ersten szenischen Wiederaufführung seit 1727 wurde wahr, die Königsidee jedoch, dabei Vivaldis Affektgemälde jetzt noch erschöpfender als zuvor in Konzert und Studio sinnfällig zu machen, drang im Dunkel einer zu sehr psychologisierenden Inszenierung nicht voll über die Rampe.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Jean-Christophe Spinosi

Inszenierung
Pierre Audi

Ausstattung
Patrick Kinmonth

Licht
Peter van Praet

Chor
Gildas Pungier



Choeur du Théâtre des Camps-Élysées

Ensemble Matheus


Solisten

Orlando
Marie-Nicole Lemieux

Alcina
Jennifer Larmore

Angelica
Veronica Cangemi

Ruggiero
Philippe Jaroussky

Astolfo
Christian Senn

Bradamante
Kristina Hammarström

Medoro
Romina Basso



Weitere
Informationen

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Théâtre des Champs-Élysées
(Homepage)



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