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Mathis der Maler

Oper in sieben Bildern
Text und Musik von Paul Hindemith


in deutscher Sprache mit französischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 45' (zwei Pausen)

Premiere an der Operá National de Paris, Bastille am 16. November 2010


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Opéra national de Paris
(Homepage)

Schattenspiele der Geschichte

Von Roberto Becker / Fotos von Opéra natinal de Paris / Charles Duprat


Paul Hindemiths Oper Mathis der Maler hat es in sich. Sie ist eine Herausforderung für das Orchester, für die Sänger und auch für die Zuschauer. Im Grunde durchweg düster und schwergewichtig daherkommend, ohne eine wirklich berührende Liebesgeschichte, blendet sie eine Künstlerbiografie in eine aufgewühlte Zeit des Umbruchs. Angeregt zu Libretto und Komposition wurde Paul Hindemith durch den Isenheimer Altar des als Matthias Grünewald bekannt gewordenen Malers Mathis Gothart Nithart (1475-1528). Und der steht als Mathis der Maler im Zentrum des Werkes. Für Paul Hindemith (1895-1963) war er natürlich auch die Projektionsfigur für die eigenen Befindlichkeiten als ein Künstler, bei dem die innere Verfassung und das kompositorische Werk mit den Umwälzungen seiner Zeit kollidierten. Für die Nazis gehörte er zu den Entarteten, die man los werden wollte.

1934 war es Wilhelm Furtwängler noch gelungen, die Sinfonie Mathis der Maler in Berlin zur Uraufführung zu bringen. Am Beispiel der Oper aber ließen die Machthaber dann ihre Muskeln spielen und zeigten dem Dirigenten die Grenzen seines Einflusses. Diese Auseinandersetzung ging als „Fall Hindemith" in den unrühmlichen Teil der deutschen Musikgeschichte ein, und der Betroffene selbst emigrierte. Die 1935 fertig gestellte Oper wurde so erst 1938 in Zürich uraufgeführt.


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Mathis und Regina

Dass Nicolas Joel ausgerechnet dieses Werk an der Bastille herausbringt, an der ja Günter Krämer und Philipp Jordan obendrein noch am Nibelungenring schmieden, ist bemerkenswert. Auch das Duo aus Regisseur Olivier Py und Ausstatter Pierre-André Weitz ließ nicht gerade eine farbenfrohe Wohlfühl-Ästhetik erwarten. Py verschränkte einerseits die Ebene der Handlung mit der Entstehungszeit, andererseits hebt er den Künstler als Person bzw. Prototypen davon zusätzlich ab. So sind an der Rampe ein Bett; ein Stapel mit Büchern und eine Staffelei platziert. Zu den ersten betörenden Tönen des Orchesters taucht der Held mit einem Licht in der Hand von hinten aus der Dunkelheit auf. Ein Erscheinen, das bei der Premiere wegen eines kurzen Stromausfalls gleich zweimal stattfand. Am Ende steht Mathis wieder allein hinten und entledigt sich aller Insignien seiner menschlichen und künstlerischen Existenz. Hier hat Matthias Goerne den eindrucksvollsten Moment in seinem auch ansonsten starken Rollenporträt. Zwischen diesen beiden sehr einsamen Momenten geht es aber vor allem darum, wie die Welt mit ihren Verwerfungen in diese Künstlerexistenz einbricht und vom Titelhelden nicht nur eine theoretische Position, sondern auch praktisches Handeln verlangt.


Vergrößerung in neuem Fenster Beim großen Streit: links die Katholiken, rechts die Protestanten und mitten drin die Studenten

Das beginnt schon im ersten der sieben Bilder, wo Mathis seine Arbeit unterbrechen muss, weil sich mit Hans Schwalb der Anführer der aufständischen Bauern samt Tochter Regina in das Kloster flüchtet, in dem er gerade die Wände des Kreuzgangs bemalt. Mathis verhilft beiden zur Flucht und leugnet das auch vor den Verfolgern nicht. Auch in der folgenden Begegnung mit seinem Auftraggeber Kardinal Albrecht steht er zu dieser Tat. Das zentrale Motiv des dritten Bildes ist mit seiner öffentlichen Verbrennung protestantischer Bücher durch die Katholiken wohl im Hinblick auf die Zeiterfahrungen Hindemiths nicht nur eine besonders prekäre Anspielung auf die Nazizeit, sondern wohl auch einer der wesentlichen Gründe für deren Bannstrahl gegen Hindemith und sein Werk.

In der Oper wird just in diesem Umfeld ein Brief Martin Luthers verlesen, der den Kardinal auffordert, zum Protestantismus zu konvertieren und zu heiraten. Der Vertraute des Kardinals Capito rät ganz pragmatisch aus politischen und pekuniären Gründen tatsächlich dazu, mit Ursula die Tochter des reichen Mainzer Bürgers Riedinger zu heiraten und auf diese Weise viele Probleme auf einmal zu lösen. Das folgende Bild führt mitten in die Kriegswirren. Die marodierenden Bauern wollen nicht nur den Grafen Helfenstein aufhängen, sondern erniedrigen obendrein dessen Frau nach Kräften. Der auftauchende Mathis greift ein und verhindert das Schlimmste. Schwalb überlebt die folgenden Kämpfe nicht und Mathis entgeht dem Henker nur durch die Fürsprache der Gräfin Helfenstein, die durch sein beherztes Eingreifen gerettet worden war. Nach diesem turbulenten Ausflug in die Welt zieht sich die Handlung wieder auf die eher inneren Prozesse zurück. Auf einen Kardinal, der zwar seinen Glauben wechselt, aber auf die Hochzeitsbeigabe Ursula verzichtet. Und auf einen Künstler, der (mit Regina) in die Einsamkeit des Waldes entflieht und dort die Visionen von musizierenden Engeln und der Versuchung des Heiligen Antonius und anderen Erscheinungen (u.a. die des Kardinals als Petrus) die Motive für seine heute so berühmten Altarbilder gewinnt.


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Aufmarsch der Kaiserlichen im Nazioutfit

Py spielt für die szenische Umsetzung einerseits mit dem historischen Kunstwerk-Vorbild. Man erkennt die Rahmen des Altarbildes, einzelne Figuren zeichnen sich als Schattenriss auf der noch leeren Riesenleinwand des Malers ab. Man sieht einzelne phantastische Masken, musizierende Engel und auch einen Engel der Geschichte (oder der Inspiration).

Die Bilder, mit denen Py das Künstlertum verdeutlich, überzeugen in ihrer einfachen Größe. Problematischer wird es, wenn er die Wirren der Zeit auf die Bühne bringt. Wenn es um klerikale Prachtentfaltung geht. Bei dem großen Streit zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen die dann auch noch Studenten geraten, werden eine golden funkelnde Gerüst- und Bogenarchitektur und Kostümopulenz vom Feinsten aufgefahren. Geht es aber um die Militanz der Mächtigen, wo Gewalt und Einschüchterung aber auch Widerstand dagegen verdeutlich werden soll, bedient sich Py so hemmungslos abgedroschener Klischees, dass es mitunter unfreiwillig komisch wirkt. In Paris ging es beim Publikum allerdings widerspruchslos durch, kaiserliche Soldaten in schwarze Uniformen mit Hakenkreuz-Armbinden zu stecken und mit Schäferhunden patrouillieren zu lassen. Regelrecht albern wirkten die herein- und hinausgeschobene Panzerverstärkung. Aber auch der proletarische Look der Bauern oder die auf der Bühne herumwirbelnden zerschossenen Ruinenwände hebeln den ja durchaus ernst gemeinten, (entstehungs-)zeitkrischen Interpretationsansatz von Py beinahe wieder aus.


Vergrößerung in neuem Fenster Das Schattenspiel, das auf den Isenheimer Altar verweist

Blieb der szenische Ansatz also eher widersprüchlich, so vermochte die musikalische Seite in ihrer Geschlossenheit zu überzeugen. Das gilt zwar nicht durchweg für alle Protagonisten. Aber vor allem Scott Mac Allister als Kardinal Albrecht, Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als dessen Ratgeber Capito und Michael Weinius als Bauernführer Schwalb sowie Martina Welschenbach als dessen Tochter Regina und Melanie Diener als Ursula, sowie Nadine Weissmann als bedrängte Gräfin Helfenstein vermochten mit mehr oder weniger markanten Porträts zu überzeugen. Dass dabei oft das Bemühen, die Orchesterwucht aus dem Graben zu übertreffen, deutlich über eine klare Artikulation triumphierte, war für das französische Publikum, das die Übersetzung ja mitlesen konnte, kein allzu großes Problem. Matthias Goerne ist sicher eine der Spitzenbestzungen für den Mathis. Er fasziniert nicht nur in den ruhig reflektierenden Momenten, sondern ihm steht auch die Kraft zur Verfügung, den vollen Wohlklang seiner Stimme nicht überdecken zu lassen. Gleichwohl hat man das Gefühl, dass dieser Mathis für den sensiblen und exzellenten Liedsänger keine wirkliche Alternative zu seinem „Eigentlichen“ ist.

Das Herausrragendste an diesem langen Abend waren aber Christoph Eschenbach und das zu Höchstform auflaufende Pariser Opernorchester. Berührungsängste mit deutschem Tiefgang kam man diesen Musikern jedenfalls nicht nachsagen. Eschenbach hat die gewaltigen Klangmassen und ihre Architektur nicht nur souverän im Griff, sondern vermag sie auch, von allen lyrischen Feinheiten bis hin zum sich auftürmenden Blech, in einer faszinierenden Balance von Transparenz und Sinnlichkeit aufzufächern. Für diese großformatig gedachte Musik ist die großgebaute Opéra Bastille offenbar genau richtig.


FAZIT

In Paris ist eine bemerkenswerte Produktion von Hindemiths Bühnenhauptwerk gelungen. Auf einem imponierenden Orchester-Fundament, mit einem respektablen bis erstklassigen Protagonisten-Ensemble und in einer szenischen Form, bei der es eindringliche Bilder schwer haben, sich gegen überstrapazierte Klischees durchzusetzen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christoph Eschenbach

Inszenierung
Olivier Py

Ausstattung
Pierre-André Weitz

Licht
Bertrand Killy

Chor
Patrick Marie Aubert

Dramaturgie
Joseph Hanimann



Chor und Orchester der
Opéra national de Paris


Solisten

Albrecht von Brandenburg
Scott Mac Allister

Mathis
Matthias Goerne

Lorenz von Pommersfelden
Thorsten Grümbel

Wolfgang Capito
Wolfgang Ablinger-Sperrhacke

Riedinger
Gregory Reinhart

Hans Schwalb
Michael Weinius

Truchsess von Waldburg
Antoine Garcin

Sylvester von Schaumberg
Eric Huchet

Ursula
Melanie Diener

Regina
Martina Welschenbach

Die Gräfin von Helfenstein
Nadine Weissmann



Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
Opéra national de Paris
(Homepage)



Da capo al Fine

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