Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Amadigi di Gaula

Opera seria in drei Akten

Libretto von einem unbekannten Bearbeiter nach der lyrischen Tragödie "Amadis de Grèce" von Antoine Houdar de la Motte

Musik von Georg Friedrich Händel

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 55' (eine Pause)

Premiere im Kleinen Haus im Staatstheater Mainz  am 08. Oktober 2010

(rezensierte Aufführung: 12.10.2010)

 



Staatstheater Mainz
(Homepage)

Barocker Zauber mit Pyrotechnik

Von Thomas Molke / Fotos von Martina Pipprich

Ein Opernerlebnis für alle Sinne verspricht Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner Peer Boysen bei seiner Inszenierung der relativ unbekannten Händel-Oper aus dem Jahr 1715, und dass er die "Figuren zum Blühen bringen" wolle. Was die musikalische Gestaltung unter dem Barockspezialisten Michael Schneider und den technischen Bühnenzauber im Kleinen Haus des Staatstheaters betrifft, kann man zu Recht von einem großen Erlebnis sprechen. Ob die Figuren in der Inszenierung aber tatsächlich aufblühen, bleibt Ansichtssache.

Bild zum Vergrößern

Amadigi (Ileana Mateescu, links) und Dardano (Almerija Delic, rechts) in Melissas Zaubergarten.

Die Handlung der barocken Zauberoper enthält die für das Genre typischen Gefühlsverstrickungen und unerwarteten Wendungen: Der gallische Ritter Amadigi wird mit seinem Freund Dardano, einem Fürsten aus Thrakien, von der Zauberin Melissa in einem Zaubergarten festgehalten, da diese hofft, den jungen Ritter für sich zu gewinnen. Doch Amadigis Liebe gehört der Prinzessin Oriana, die ebenfalls eine Gefangene im Zaubergarten ist. Allerdings liebt auch Dardano die Prinzessin, was die Freunde zu Rivalen macht und am Ende dazu führt, dass Amadigi den Nebenbuhler tötet. Nachdem Melissa trotz aller Intrigen erkennt, dass sie Amadigi nicht für sich gewinnen kann, begeht sie, gemahnt vom toten Schatten des Dardano, Selbstmord. Zurück bleiben Amadigi und Oriana, die nach anfänglichem Schrecken ihrer Freude Ausdruck verleihen und die Macht der Liebe preisen.

Musikalisch schafft es Michael Schneider, der derzeit auch in Gießen der vergessenen Barockoper "Die großmütige Tomyris" von Reinhard Keiser neues Leben einhaucht, aus der Partitur Leid, Wut und Sehnen in schillernden Farben herauszukitzeln, wobei er den Bruch mit einigen barocken Hörgewohnheiten nicht scheut. Wenn Amadigi (Dmitry Egorov) zu Beginn der Oper in der Arie "Notte amica dei riposi" eine friedliche und harmonische Nacht besingt, lässt Herr Schneider mit dem Philharmonischen Staatsorchester Mainz musikalisch ein regelrechtes Arkadien entstehen, bei dem auch das friedliche Vogelgezwitscher nicht fehlt. Wenn jedoch Melissa (Alexandra Samouilidou) ihrem Zorn über die verschmähte Liebe freien Lauf lässt, wird nicht mit disharmonischen Pizzicato-Klängen der Geigen gespart. Überhaupt folgt das Orchester in den Rezitativen sehr punktgenau der jeweiligen Stimmung. Wenn sie so affektgeladen ist, dass der Gesang zum Cembalo sie nur verharmlosen würde, werden die Rezitative gesprochen, um so dem Leiden oder der Wut glaubhafter Ausdruck zu verleihen. Wenn Dardano (Almerija Delic) sich als Amadigi ausgibt und mit Oriana (Johanna Rosskopp) tanzt, klingt die Sarabande stellenweise bewusst dissonant, um anzuzeigen, dass diese Paarung so falsch ist wie die Musik, die sie untermalt. Ein anderes Mal klopft ein Musiker rhythmisch auf die Rückseite einer Violine, um Orianas Leiden noch deutlicher zu machen. Den musikalischen Höhepunkt erreicht Herr Schneider aber im dritten Akt, als Melissa aus verschmähter Liebe Oriana und Amadigi abwechselnd töten will, und die beiden jeweils nur Gnade für den anderen erflehen. Amadigis und Orianas Flehen in dem Duett "Cangia al fine il tuo rigore" beschert dem Zuschauer eine Gänsehaut und lässt in seiner Penetranz des Gesangs und der Musik nachvollziehen, warum sich Melissa der Liebe der beiden nicht widersetzen kann und den Freitod wählt.

Bild zum Vergrößern Dardano (Almerija Delic, vorne) plant Rache (im Hintergrund: Amadigi (Ileana Mateescu)).

Erarbeitet wurde die Produktion - wie im letzten Jahr "La Semiramide riconosciuta" - überwiegend mit Mitgliedern des Jungen Ensembles des Staatstheaters Mainz. Damit soll den Gesangsstudenten der Musikhochschule Mainz zum einen die Möglichkeit gegeben werden, ihr Talent unter Beweis zu stellen, zum anderen die Gelegenheit geboten werden, in der Praxis unter professionellen Bedingungen auszuprobieren, was im Studium gelehrt und gelernt worden ist. Und die jungen Talente können sich sehen und hören lassen. Alexandra Samouilidou, die alternierend mit dem einzigen Ensemblemitglied Tatjana Charalgina die Zauberin Melissa interpretiert, versteht es trotz ihrer zarten Statur die Bühne majestätisch zu beherrschen. Ihr strahlender Sopran kommt besonders dann zur Geltung, wenn sie Zorn und Rache besingen darf. Die Koloraturen kommen punktgenau und spitz und flößen dem Zuhörer Respekt ein. In den leidenden Momenten weist ihre Stimme in den Höhen noch leichte Unsicherheiten auf. Almerija Delic weiß, mit ihrem warm-timbriertem Mezzosopran den Leiden des Nebenbuhlers Dardano sehr glaubhaft Ausdruck zu verleihen. Nur bei der ersten Arie "Pugneró contro del fato", als Dardano erkennt, dass er und Amadigi Rivalen sind, hat Frau Delic mit den Koloraturen noch leichte Probleme. Doch im Laufe des Stückes singt und spielt sie sich frei. Besonders beeindruckend gelingt ihr die Arie "Pena tiranna io sento al core", in der sie ihr Liebesleid beklagt und der Zuschauer einen Moment das Gefühl hat, dass der Text eigentlich "Lascia ch'io pianga" (Rinaldos berühmte Arie) lauten müsste. Johanna Rosskopp verleiht der Oriana sehr weiche Soprantöne und setzt ihre lyrische Stimme sehr wohldosiert ein. Das Glanzlicht (zumindest der besuchten Aufführung) ist sicherlich in der Titelpartie der Countertenor Dmitry Egorov, bis zur Spielzeit 2009/2010 Mitglied des Jungen Ensembles und jetzt als Gast engagiert. Seine Stimme klingt trotz der Höhe kantig viril, und die Koloraturen werden grandios beherrscht, so dass er mit seinen bravourösen Arien häufigen Szenenapplaus erhält.

Bild zum Vergrößern

Melissa (Tatjana Charalgina, hinten) umgarnt Amadigi (Ileana Mateescu, vorne).

Bleibt nur noch die Frage zu klären, ob die Inszenierung mit der hervorragenden musikalischen Gestaltung mithalten kann. Peer Boysen hat sich als Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner in einer Person sehr viel vorgenommen, vielleicht sogar ein bisschen zu viel. An Effekten wartet er mit einer Menge Pyrotechnik auf. Melissa lässt bei ihrem ersten Auftritt mit einem Hauch wahre Feuerfontänen aus dem Bühnenboden emporwachsen, deren Hitze der Zuschauer im Parkett noch spürt. Diese Fontänen als Furien einzusetzen, ist schon ein Knaller. Auch der Feuerkreis, den Melissa um die Bühne spannt, um Amadigi in ihrem Garten zu halten, könnte für manche "Walküren"-Inszenierung durchaus Vorbildcharakter haben. Die "Quelle der wahren Liebe" als einen filigranen Springbrunnen darzustellen, der aus einem Tisch entspringt, ist durchaus fantasievoll. Wenn der mahnende Schatten des Dardano als Geist mit einem weißen Tuch gen Bühnenhimmel schwebt, grenzt es zwar schon fast an Kitsch, ist es aber trotzdem technisch sehr beeindruckend und passt in die Szene. Bei dieser Fülle an technischen Effekten beschließt Peer Boysen, den Rest des Bühnenbildes und der Kostüme eher sparsam zu halten. Die Figuren tragen Alltagskleidung in Schwarz. Nur Oriana trägt ein weißes Kleid mit einem beigefarbenen Trenchcoat. Amadigis Verbundenheit zu Oriana drückt sich in einer weißen Krawatte über dem schwarzen Hemd aus. Dardanos Wunsch der Verbundenheit wird durch ein weißes Tuch symbolisiert, in das er sich häufig einwickelt und welches er hinterher als Gespenst trägt. Nur Melissa darf im dritten Akt einen weiten schwarzen Tüllrock über ihr schwarzes Kleid ziehen, wenn sie ein letztes Mal versuchen will, Amadigi für sich zu gewinnen. Während die schlicht gehaltenen Kostüme sich unproblematisch ins Stück einfügen, wirft das Bühnenbild schon einige Fragen auf. In der vorderen Bühnenmitte dominiert eine große weiße Bank, hinter der leicht erhöht ein weißer Tisch mit zwei weißen Stühlen steht. In diesem Ambiente sitzen oder posieren die Figuren häufig, bisweilen eher unmotiviert als Standbilder während der Arien der anderen. Der Rest der Bühne ist dunkel gehalten. Auf dem Bühnenboden stehen überall Kerzen, die im zweiten Akt brennen, und schwarze Schreibtischlampen, deren Funktion nicht klar wird. Sie werden zwar am Ende von Oriana und Amadigi angeknipst, spenden aber keinerlei Licht. Vielleicht wäre es bei so viel Feuerzauber riskant gewesen, den Zaubergarten weiter auszuschmücken. Jedenfalls stellt das Bühnenbild einen starken Kontrast zum technischen Aufwand dar und wirft die Frage auf, ob Herrn Boysen dazu vielleicht nicht mehr eingefallen ist.

Bild zum Vergrößern

Dardano (Almerija Delic, rechts) will Oriana (Lilia Weimann, links) für sich.

Ähnliches gilt für die Personenführung. Der Regisseur hat im Vorfeld die Absicht geäußert, in seiner Inszenierung das laut Libretto zum Teil unmotivierte Verhalten der Figuren zu erläutern. Mit dem Verhalten der Figuren in seiner Inszenierung gibt er aber weniger Antworten, sondern werden noch mehr Fragen aufgeworfen. So lässt er Orgando (Richard Logiewa), Orianas Onkel, der laut Libretto erst nach Melissas Tod im dritten Akt auf der Bühne erscheint, nahezu permanent im Geschehen anwesend sein. Er schenkt Dardano ein Portrait seiner Nichte, bietet dieser seinen Schoß zur Rast und posiert häufig als Standbild während der Arien auf der Bank. Verständlich ist das nicht. Auch wird teilweise gegen den Text inszeniert. Wenn Amadigi zu seiner geliebten Oriana kommt, muss er von der Zauberin Melissa geradezu zu der Angebeteten gegen seinen Willen hingeschoben werden. Des Weiteren ist es Oriana, die Amadigi zunächst wegschickt, obwohl sie ja eigentlich mit ihm fliehen will. Beide Aktionen sind weder vom Libretto motiviert noch nachvollziehbar. Vielleicht misstraut Herr Boysen aber auch einfach der Beziehung zwischen Amadigi und Oriana, da er nämlich ganz starke Bilder erzeugt, wenn es um Dardanos Liebe zu der Prinzessin geht. Wie Dardano quasi von Zauberhand fast unbemerkt zu der geliebten Oriana geführt wird und als Amadigis Illusion neben Oriana liegend gesehen wird, zeigt eine sehr ausgeklügelte Personenregie. Bedenkt man, dass Amadigi und Oriana nach Melissas Selbstmord nur eine kurze Schrecksekunde und 19 Sekunden Rezitativ "Che orrore" benötigen, um in Freudentaumel zu verfallen, lässt sich Peer Boysens Zweifel vielleicht nachvollziehen. Bewusst sitzen Amadigi und Oriana wohl bei "Sento la gioia" kurz vor Ende der Oper weit voneinander entfernt auf der Bank, zwischen ihnen Melissa, Dardano und Orgando, bevor Orgando das Freudenlied unterbricht, die Partituren austeilt und alle auffordert, nun in den Jubel mit einzustimmen. So singen alle den Schlussgesang als Chor von der Rampe, bevor sie sich winkend vom Publikum verabschieden. Dieses lieto fine scheint dem Regisseur nach so viel Grauen so aufgesetzt und unglaubwürdig, dass man es nur noch vom Blatt absingen kann.

Da es sich um die zweite Vorstellung handelte, trat der Regisseur beim Schlussapplaus nicht noch einmal auf. Der Applaus und die Reaktionen des Publikums ließen aber vermuten, dass er trotz kleiner Ungereimtheiten schon allein für den Bühnenzauber genauso begeistert gefeiert worden wäre wie die Solisten und das hervorragend aufspielende Orchester.

 

FAZIT

Viel Feuer, mitreißende Musik, kurz: eine Händel-Rarität, die man sich nicht entgehen lassen sollte.

 


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Michael Schneider

Regie / Bühne / Kostüme
Peer Boysen

Licht

Albrecht Villinger

Dramaturgie
Barbara Gräb

 

Philharmonisches Staatsorchester

Mainz

Continuo:

Sabine Bauer, Cembalo

 

 



Solisten

*Besetzung der rezensierten Aufführung

Amadigi di Gaula, Ritter
*Dmitry Egorov /

Ileana Mateescu

Oriana, Prinzessin der Insel der Seligen
*Johanna Rosskopp /

Lilia Weimann

Melissa, Zauberin
Tatjana Charalgina /

*Alexandra Samouilidou

Dardano, Fürst von Thrakien
*Almerija Delic /

Jelena Puljas

Orgando, Orianas Onkel
Richard Logiewa

 


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Staatstheater Mainz
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2010 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -