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Keine Sternstunde
Von Bernhard Drobig / Fotos von Wilfried Hösl Farnace rüttelt an Mitridates Macht. Mitridate aus der Feder eines Vierzehnjährigen, zudem Mozarts erste Auseinanderssetzung mit der opera seria überhaupt und auf italienischem Boden, als vierstündige Festspielinszenierung mit nur wenigen Aussparungen anzubieten – es war eine ebenso mutige wie schöne Idee, das so selten zu erlebende Werk neu in Erinnerung zu bringen, und sicher stand auch der Gedanke Pate, den immer wieder begegnenden Voreingenommenheiten gegenüber dem «noch nicht» oder «bereits schon» von Mozarts spezifischem Talent mit dem Tatsächlichen zu begegnen. Mochte man es auch bedauern, dass bei allem Bemühen um eine historisch orientierte Aufführung außer Naturhorn, Trompete und zwei Cembali keine zeitgemäßen Instrumente zu hören waren, dass der moderne Bläserton bei knapp zwei Dutzend Streichern mehr Dominanz als Wärme ausstrahlte, der auf Cembalo und Violoncello beschränkte Basso continuo sich fast zu schlicht ausnahm und die Rezitative selbst nicht immer die ihnen eigene dramatische Spannkraft vermittelten, so konnte man sich andererseits durchweg auf Anhieb mit Ivor Boltons angemessenen Tempi anfreunden und immer wieder beglückt die Annehmlichkeit seiner allzeit sängerfreundlichen Orchesterbehandlung erfahren, die den Protagonisten viel Raum zur Entfaltung ihrer Rollenidentifikation ließ. Gleichwohl, eine Sternstunde war es nicht. Denn die mit aktionistischer Bilderflut überfrachtete Inszenierung stellte sich nicht nur je länger je mehr als langweilend dar, sie lähmte auch zunehmend die Konzentration darauf, wie Mozart die Anliegen der Texte mit den damaligen Virtuosenansprüchen in Einklang zu bringen vermochte. Mitridate stellt Aspasia zur Rede. Zur Erinnerung: Der größenwahnsinnige Mitridate unterliegt den Römern, verbreitet die Nachricht seines Todes, um die Treue seiner Braut wie die Loyalität seiner beiden Söhne zu erkunden, sieht sich in mehrfacher Hinsicht verraten und hätte sie alle ermordet, hätte nicht ein neuer Römerangriff seinen augenblicklichen Einsatz erfordert, bei dem er sich durch Freitod der Gefangennahme entzieht, nicht ohne zu erkennen, dass seine Söhne Vaterliebe über Eigeninteressen stellten. Mozart hat den Affektreichtum dieses Konfliktbündels in insgesamt 20 dreiteiligen Dacapo-Arien, zwei Cavatinen und einem großen Duett sowie kurzem Schlussquintett eingefangen, vieles konventionellen Bravouren anvertraut, einiges aber auch mit erstaunlicher Einfühlsamkeit vertont wie beispielsweise den freiwilligen Verzicht des loyalen Sohnes Sifare auf die vom Vater geliebte Braut Aspasia, das ergreifende Abschiedsduett der beiden oder die Umkehr des sich gegen den Vater mit Rom verbündenden Sohnes Farnace. Abschied Sifare / Aspasia Um bei Letzterem zu bleiben, da trat seitens der Regie mit der Projektion der bluttriefenden Großbuchstaben "ICH BEREUE" auf dem sich nur selten um einen Spalt öffnenden schwarzen Kulissenhalbrund der Einheitsbühne zum musikalischen Höhepunkt ein solcher der die ganze Oper verleidenden, selbst Vorschulbereiche abdeckenden Didaktik (vorher etwa LOVER, TI AMO, GUERRA, VENDETTA etc. für die schon Fortgeschrittenen), die weder der Informationsklarheit der deutschen Übertitel noch dem Bildungshorizont des deutlich lebenserfahrenen Publikums geschweige denn der eigenen Personenführung mitsamt den profilbildenden Kostümen zu trauen schien. Und das mutatis mutandis den ganzen Abend hindurch: Konnte man noch schmunzeln, zur Ouvertüre klein Wolferl an einem Schreibtisch Kompositionsblätter beschriften und zerknüllen zu sehen nebst den sich für ihn auf dem Projektionshintergrund zunehmend überstürzenden Symbolen handlungsbestimmender Inhalte und Personen, so nahm doch alsbald der fade Beigeschmack überhand, von Arie zu Arie in Kleinkinderkunst dasjenige visualisiert zu bekommen, was die Sänger auch ohne den ihnen teilweise bemitleidenswert zugemuteten Körpereinsatz (wie etwa Armkreisen, Erregung spiegelndes Wippen oder Pseudoliegestützproben während des Singens) längst nicht nur textlich, sondern auch musikalisch unmissverständlich zum Ausdruck brachten. Da bedurfte es fürwahr weder eines Kronengekritzels noch eines Herzsymbols, das später zerbrochen und blutend den Hintergrund ziert, keines Regens, der pünktlich den Kummer begleitet, keines Luftballons, der einen zu Liebesverzicht Entschlossenen gen Himmel trägt, keines Engelchens und Teufelchens, die das Jenseits der zum Tode Verurteilten markieren, um nur einiges aus dem schier unerschöpflichen Musterbuch der Kindergartenphantasie zu nennen, nicht Sonne, Mond, Sterne, Weltallschrott, Nebel, Wellen, Möwen und Fadengewirr, auch keiner Requisiten wie Sand, der wie Hoffnungen zwischen den Fingern zerrinnt, keines Waffenarsenals von Dolch und Schwert bis Speer, Pistole und Flinte bis Kalaschnikow, keiner zerbrechbaren und herumgeworfenen Stühle, keines luftschlangenverzierten Kronleuchters als Blickfang ausschwingenden Herrschaftsanspruchs im ansonsten bis auf ein Schlauchboot, Geschenkkartons und einen selbstverständlich beschrifteten Dreipersonensarg freien Bühnenraum, zu dessen Belebung Statussymbole wie Zigaretten oder Hände in den Hosentaschen nicht fehlten, nicht zu vergessen, körpernahe Ruppigkeiten so unnötig wie respektlos. Mitridate stirbt in den Armen seiner Söhne. Es grenzte an ein Wunder, dass die wie sich selbst überlassen scheinenden Protagonisten sich unbeirrt zur Rettung dessen einsetzten, was die Aufnahme der Oper in den Festspielkalender rechtfertigte, der Musik. An ihrer Spitze Anna Bonitatibus, die im gesamten Ambitus ihres Mezzosoprans ein wohltuend gleichstarkes Klangvolumen und ein facettenreich gefühlvolles Ausdrucksspektrum nebst brillanter Koloraturentechnik aufbot und die Aufrichtigkeit des wennschon tragisch verstrickten, doch loyalen Sifare überzeugend abbildete. Mit vergleichbar ausgewogenen und für einen Countertenor außergewöhnlich gefühlsstarken Ausdruckswerten sang sich auch Lawrence Zazzo als Farnace im Laufe des Abends bis hin zum echt errungen wirkenden Gesinnungswandel in den Vordergrund der Publikumsgunst. Patricia Petibon hingegen identifizierte sich vielleicht doch etwas zu leidenschaftlich mit der Zerrissenheit der leidgeprägten, im Spannungsfeld dreier sie begehrender Männer stehenden Aspasia, bezauberte mit berückend sensiblen Pianissimi und verschreckte doch immer wieder, wenn sie ihre Gefühlsausbrüche in höheren Lagen risikoreich überzeichnete. Anders als sie blieb der helle Tenor Barry Banks selbst bei extremem Wüten in seiner Spitzenlage im Bereich geschmeidigen Wohlklangs, ohne freilich auch den tieferen Teil seines Parts gleichwertig über die Rampe zu bringen. Unter den Nebenrollen ließ die lyrische Sopranistin Lisette Oropesa aufhorchen, insofern sie mit einer insgesamt klaren und prägnanten Stimmführung der an sich blassen Rolle der fremdbestimmten und verschmähten Königstochter Ismene deutliche Züge lebenswahrer Verhalten- und Verstörtheit schenkte. Alexey Kudrya (Tenor) und Eri Nakamura (Sopran) bestritten ihre knappen Auftritte als römischer Gesandter und von der Regie unter Wert gesehener Gouverneur rollengerecht. FAZIT Die vorschuldidaktisch anmutende Regie trug nicht, wohl aber Mozart und seine Interpreten.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung Bühne / Projektion Kostüme / Projektion Licht Michael Bauer
Bayerisches Staatsorchester
SolistenMitridate
Aspasia
Sifare
Farnace Lisette Oropesa Marzio Arbate
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