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I Capuleti e i Montecchi

Tragedia lirica in zwei Akten

Libretto von Felice Romani

Musik von Vincenzo Bellini

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 5' (eine Pause)

Premiere im Nationaltheater der Bayerischen Staatsoper  am 27. März 2011

(rezensierte Aufführung im Rahmen der Münchner Opernfestspiele: 24.07.2011) 

 

 

 



Bayerische Staatsoper München
(Homepage)

Die Stimme der Frau

Von Thomas Molke / Fotos von Wilfried Hösl

Vincenzo Bellinis I Capuleti e i Montecchi war eigentlich nur ein Ersatzwerk für das Teatro La Fenice, da die eigentlich vorgesehene Oper von Giovanni Pacini nicht rechtzeitig fertig wurde. So bat der damalige Impresario des Theaters, Giuseppe Crivelli, Bellini, die vierte Oper der Spielzeit innerhalb eines Zeitraumes von sechs Wochen dann doch noch zu retten. Bellini war zwar von dieser Anfrage nicht begeistert, da er sich, anders als die meisten seiner Kollegen, beim Komponieren relativ viel Zeit nahm, willigte aber dennoch ein. Da es einerseits zu zeitaufwändig war, Felice Romani mit der Abfassung eines vollständig neuen Librettos zu beauftragen, Bellini andererseits die bereits vorliegenden Teile von Pacinis Oper nicht zusagten, beschloss er, auf eine Vorlage zurückzugreifen, die Romani fünf Jahre vorher für seinen Kollegen Nicola Vaccai verfasst hatte. Dabei nahm er aber einige Änderungen im Handlungsablauf vor. Unter anderem wandelte er auch den Titel Giulietta e Romeo ab und, was als "Notoper" entstand, wurde eine der in der heutigen Zeit am häufigsten gespielten Opern Bellinis.

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Romeo (Tara Erraught) fordert Giulietta (Eri Nakanura) auf, mit ihm zu fliehen.

Bellinis Oper folgt in der Struktur weniger Shakespeares berühmtem Drama, als vielmehr den ursprünglichen Renaissance-Vorlagen von Luigi da Porto und Matteo Bandello. Lorenzo ist in dieser Variante kein Pater, sondern ein Arzt, der Giulietta den Schlaftrunk verabreicht. Tebaldo übernimmt die Rolle des auserwählten Bräutigams, der nicht von Romeo im Duell getötet wird, da die Nachricht vom Tod Giuliettas die beiden Streithähne innehalten lässt. Romeo nimmt das Gift, aber stirbt erst, nachdem Giulietta erwacht ist, so dass beide gemeinsam in den Tod gehen können. Am Ende der Oper steht keine Versöhnung der beiden Familien, sondern der Chor macht Giuliettas Vater Capellio für den Tod der Kinder verantwortlich. Im Gegensatz zu den literarischen Vorlagen und Vaccais Vertonung verzichtet Bellinis Variante auf Schlachtszenen, richtet den Fokus stets nur auf eine oder zwei Personen und ist in der musikalischen Form sehr kontemplativ und nach innen gekehrt. Dieser Reduzierung auf das Private trägt die Inszenierung von Vincent Boussard Rechnung, indem sie die Handlung in einem abgeschlossenen Bilderrahmen spielen lässt, dabei aber auch sehr statisch wirkt.

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Die Gesellschaft der Capuleti (Männerchor und Statisterie) bereitet sich auf die bevorstehende Hochzeit zwischen Giulietta und Tebaldo vor.

Auf der Rückwand und bisweilen auch auf dem Vorhang wird als Wandapplikation Paolo Uccellos Bilderzyklus Die Schlacht von San Romano angedeutet, was für die außerhalb des Bühnengeschehens stattfindenden Kampfhandlungen zwischen den Capuleti und den Montecchi steht. Ansonsten verzichtet Vincent Lemaire größtenteils auf ein weiteres Bühnenbild innerhalb des Bilderrahmens. Wenn sich beim Einleitungschor die Anhänger der Capuleti auf den bevorstehenden Kampf mit den vor den Toren lagernden Montecchi vorbereiten, hängen Pferdesattel vom Schnürboden, die zum Satteln der Pferde für die Schlacht dienen. Giuliettas Zimmer im zweiten Bild weist nur ein großes weißes Waschbecken auf. Von der Decke hängen zwei ineinander verschlungene Statuen, die vielleicht die ersehnte Flucht mit dem Geliebten Romeo symbolisieren. Im dritten und letzten Bild des ersten Aktes wird die komplette Bühne innerhalb des Bilderrahmens in eine riesige Treppe verwandelt, die nach oben und nach unten ins Nichts führt. Jetzt treten außer Giulietta erstmals Frauen in der Oper auf. Aber diese Frauen sind nur ausstaffiertes Beiwerk. Mit einer riesigen Blume im Mund wird angezeigt, dass sie in dieser von Männern dominierten Welt keine Stimme haben, so wie auch Giulietta nicht zu entscheiden hat, wen sie lieben darf, sondern gezwungen ist, sich den Anordnungen ihres Vaters zu fügen. Die Anhänger der Montecchi dringen nun über die Treppe in die Hochzeitsvorbereitungen ein, wobei die Männer genauso in schwarze Fracks mit hohem Zylinder gekleidet sind (Kostüme: Christian Lacroix) wie die Capuleti. Rein optisch ist also kein Unterschied zwischen diesen beiden verfeindeten Clans festzustellen.

Giulietta (Eri Nakanura) bittet ihren Vater Capellio (Steven Humes, Mitte) um Vergebung (auf der Treppe: Männerchor).

Auch nach der Pause beherrscht die riesige Treppe den Bilderrahmen. Während die Frauen in ihren aufwändigen Gewändern die Stufen emporsteigen, balanciert Giulietta auf dem Rahmen wie an einem Abgrund. Sie sieht nun keinen Ausweg mehr und willigt ein, den von Lorenzo verabreichten Schlaftrunk zu nehmen. Das Mittel wird dabei aber nur symbolisch angedeutet, da Lorenzo, der sich auf der Treppe innerhalb des Bilderrahmens befindet, in keinerlei Kontakt zu Giulietta treten kann. Und so bricht Giulietta dann auch auf dem Rahmen zusammen, während sie verzweifelt ihren Vater um Vergebung bittet. Die räumliche Trennung der Figuren im Bild zu der quasi aus dem Bild tretenden Giulietta symbolisieren dabei sehr deutlich die unüberbrückbaren Differenzen zwischen Giulietta und ihrer Familie. Das fünfte Bild vermittelt wieder einen sehr intimen Rahmen. Romeo trifft auf der Suche nach Giulietta auf Tebaldo. Ein halbrunder Spot auf dem linken Bühnenboden könnte den Weg in die Familiengruft der Capuleti andeuten, in die Giulietta in der folgenden Szene gebracht werden soll. Bevor es zum Duell zwischen Romeo und Tebaldo kommen kann, hört man den Chor, der über den Tod Giuliettas trauert. Dies ist der einzige Moment in der Oper, in dem sich in den Chor auch die Frauenstimmen mischen. Mit dem vermeintlichen Tod Giuliettas dürfen also in dieser Gesellschaft auch zum ersten Mal die Frauen die Stimmen erheben, um ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen. Das letzte Bild in Giuliettas Gruft erinnert an das zweite Bild in Giuliettas Zimmer mit dem Unterschied, dass die beiden Statuen nicht mehr vom Schnürboden hängen und auch das Waschbecken fehlt. Romeo und Giulietta brechen bei ihrem Tod nicht zusammen, sondern treten aus dem Bild, um anzudeuten, dass ihre Seelen nun in eine andere Sphäre übergehen.

Während dieser dramaturgische Ansatz psychologisch sehr stimmig ist, führt er doch bisweilen zu einigen Längen, die auch durch die Umbaupausen zwischen den einzelnen Bildern hervorgerufen werden. Wieso ab dem fünften Bild auf dem schwarzen Vorhang nicht mehr Uccellos Gemälde projiziert wird, sondern man die Frauen als weiße Schatten ständig die lange Treppe heruntergehen sieht, erschließt sich nicht direkt, symbolisiert aber vielleicht den gesellschaftlichen Abstieg der Frau in dieser Gesellschaft. Wenn auch die etwas statische Personenführung, vor allem beim Chor, der beim ersten Bild scheinbar gar nicht so recht weiß, wo er eigentlich hin soll, mit der Zeit etwas eintönig wirkt, schafft die Lichtregie von Guido Levi sehr eindrucksvolle Lichtstimmungen, die die jeweiligen inneren Regungen der Protagonisten sehr gut widerspiegeln.

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Romeo (Tara Erraught, links) und Tebaldo (Dimitri Pittas, rechts) erfahren kurz vor ihrem Duell, dass Giulietta gestorben sei.

Musikalisch hat man für die Festspiele und die in der folgenden Spielzeit geplanten Aufführungen Kammersängerin Vesselina Kasarova für die Hosenrolle des Romeo verpflichtet. Während Kasarovas Mezzo in der Mittellage sehr voluminös und warm klingt, hat sie doch im ersten Akt gerade bei den extremen Notensprüngen leichte Intonationsprobleme und wirkt in den Höhen bisweilen etwas schrill. Der zweite Akt gelingt ihr wesentlich souveräner, wobei er aber auch deutlich weniger Koloraturläufe in ihrer Rolle aufweist. Mit glockenklarem Sopran avanciert Ekaterina Siurina als Giulietta zum eigentlichen Star des Abends. Ihr leuchtender Sopran besticht in seinem emotionalen Ausdruck und rührt den Zuhörer zu Tränen. Absoluter Höhepunkt wird das Duett der beiden Liebenden kurz vor ihrem Tod, in dem sich Kasarovas und Siurinas Stimmen zu einer traumhaft aufeinander abgestimmten Einheit verbinden, dass regelrecht spürbar wird, wie sich diese beiden Seelen in eine andere Sphäre begeben. Dimitri Pittas kommt im Gegenzug die undankbare Rolle des verschmähten Tebaldo zu. Mit kräftigem Tenor überzeugt er sowohl in seiner Auftrittskavatine als auch in seinem Duett mit Kasarova kurz vor dem Finale des zweiten Aktes. Carlo Cigni als Lorenzo und Ante Jerkunica als Giuliettas Vater Capellio verfügen zwar über keine eigene Arie, überzeugen aber im Ensemble mit kräftigem Bass. Auch der Männerchor unter der Leitung von Sören Eckhoff überzeugt stimmlich, wirkt aber szenisch in dem Bühnenbild etwas unentschlossen und verloren.

Yves Abel zaubert mit dem Bayerischen Staatsorchester einen sehr schwelgerischen Bellini-Sound aus dem Orchestergraben, der die lyrischen Bögen wunderbar ausleuchtet und musikalisch die emotionalen Momente spürbar macht. So gibt es am Ende großen Applaus für alle Beteiligten. Leider nicht herausfinden ließ sich, wie das Publikum die Inszenierung in diesem Zusammenhang aufgenommen hat.

FAZIT

Eine große Oper mit hervorragenden Stimmen und einer stimmigen Inszenierung, die einen Besuch in der nächsten Spielzeit, vor allem mit dem angekündigten Duo Kasarova - Netrebko, durchaus empfehlenswert macht.

 


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Yves Abel

Inszenierung
Vincent Boussard

Bühne
Vincent Lemaire

Kostüme
Christian Lacroix

Licht

Guido Levi

Chöre
Sören Eckhoff

Dramaturgie
Rainer Karlitschek

 

Bayerisches Staatsorchester

Chor und Statisterie
der Bayerischen Staatsoper



Solisten

*rezensierte Aufführung

Romeo
Tara Erraught /
*Vesselina Kasarova

Giulietta
Eri Nakanura /
*Ekaterina Siurina /
Anna Netrebko

Tebaldo
Dimitri Pittas

Capellio
Steven Humes /
*Ante Jerkunica /
Diogenes Randes

Lorenzo
*Carlo Cigni / Paul Gay


Weitere
Informationen

erhalten Sie unter

 
Bayerische Staatsoper München
(Homepage)



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