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Machtfragen an kapitalistischem OrtVon Stefan Schmöe / Fotos: Paul LeclaireEs ist eine Story von Macht und Sex, und am Ende steht eine Frau ganz oben, die zielstrebig ihren Weg auch über Leichen verfolgt hat. Das irritierend Moderne daran ist, dass Claudio Monteverdi und sein Librettist Giovanni Busanello in dieser Geschichte auf ein moralisches Koordinatensystem verzichten. Was gut ist und was böse, das bleibt ambivalent. Die Kölner Oper spielt die Krönung der Poppea im Gerling-Quartier, dem ehemaligen Hauptsitz des Gerling-Versicherungskonzerns – ein Gebäudekomplex, der in seiner nicht immer geschmackssicheren Monströsität das Selbstbewusstsein eines patriarchalisch geführten Familienkonzerns der „alten" Bundesrepublik widerspiegelt. Ein Ort von erheblicher Symbolkraft, nicht zuletzt weil er vom Aufstieg, aber eben auch vom Untergang des einst so mächtigen Unternehmens, das nach über 100-jähriger Firmengeschichte 2006 von der Konkurrenz übernommen wurde, spricht. Demnächst sollen hier betuchte Kölner in Luxuswohnungen residieren, entsprechende Prospekte liegen im Foyer aus, und Teile des Opernpublikums dürften als Zielgruppe nicht uninteressant sein. Jetzt aber erst einmal Oper, und das im „Jahrhundertsaal", der ehemaligen Mitarbeiterkantine. Ottavia (Romina Boscolo), Virtú (Adriana Bastidas Gamboa) und Nerone (Franco Fagioli)Anlass für den Ortswechsel war ursprünglich die vorgesehene Sanierung des Opernhauses (die sich nun doch um ein Jahr verzögert, wodurch das Opernhaus nach wie vor bespielbar ist), aber ungeachtet dessen sind Dramaturgen erfahrungsgemäß schnell mit hehren Worten von der „Authentizität des Ortes“ bei der Hand. Natürlich „passt“ der Ort zur Handlung (zudem er – wie fast alles in der Kölner City – auf römischen Hinterlassenschaften gebaut ist). Aber genauso natürlich braucht Theater keine „authentischen“ Orte, weil es kein Doku-Drama ist, sondern sich seine Räume selbst schaffen sollte. Tosca an der Engelsburg oder Rigoletto im nächtlichen Mantova sind fernsehschaurige Beispiele dafür, wie man Oper pseudoauthentisch ad absurdum führen kann. Im Falle dieser L'Incoronatione di Poppea allerdings ist einem hochintelligenten Team ein großes Kunststück gelungen, wie es an einem anderen Ort gar nicht denkbar wäre. Poppea (Sandrine Piau) und Nerone (Franco Fagioli) Unter den kreisrunden Ausschnitt in der Decke des Jahrhundertsaals, der den Raum in die obere Etage erweitert, hat Bühnenbildner Dieter Richter eine ebenso kreisrunde Bühne, erweitert in beide Richtungen um eine Art Laufsteg, gebaut, darauf steht ein langer Tisch von kühler Eleganz. Das Publikum sitzt auf beiden Seiten dieser Spielfläche und damit sehr nah am Geschehen. Regisseur Dietrich Hilsdorf kann dadurch, im riesigen Opernhaus in dieser Form undenkbar, ein äußerst konzentriertes Kammerspiel entwickeln, in dem jede kleine Geste „sitzt“ und ihre dramaturgische Funktion hat. Viele Requisiten braucht es da nicht, die sehr heutigen, dennoch leicht abstrahierten und dadurch nicht ganz eindeutig zu ortenden Kostüme von Renate Schmitzer sind sprechend genug. Dabei ist die Szene nie von der Musik zu trennen. Das kleine Orchester ist zweigeteilt und auf verschiedenen Seiten der Kreisfläche postiert, eine Art Superstereo sozusagen, was die dialogische Struktur unterstreicht. Musikalische und szenische Interpretation sind aufs Engste verzahnt, und die Regie ist offensichtlich auch sehr genau auf die Sängerpersönlichkeiten eingegangen. So entsteht der seltene Fall einer Aufführung, in der alles zusammenpasst. Selbst der Bau darf mitspielen. Auf die Stirnseite des Raumes wird ein Video projiziert, das in den leeren Räumen des Gerling-Quartiers aufgenommen wurde. Das erscheint auf den ersten Blick überflüssig (zumal kaum Gelegenheit bleibt, den Blick von den agierenden Personen abzuwenden), ist es aber nicht, sondern stellt eine weitere und keineswegs unwesentliche Dimension dar. Die Aufnahmen korrespondieren mit dem Bühnengeschehen; wenn Kaiser Nero singt, so sieht man das Büro des Firmenchefs in endlosen Kamerafahrten. Eigentlich muss man gar nicht hinschauen, es reicht das Wissen um die Existenz dieser Bilder, die ja auch Abbild der Vergänglichkeit von Kapital und Macht sind und damit die Handlung – Poppeas Aufstieg zur Macht – gleich wieder relativieren. So entsteht ein vielfältiges Geflecht von Assoziationen. Drusilla (Claudia Rohrbach) und Ottone (David DQ Lee)Dirigent Konrad Junghänel hat sich im Einklang mit dem Regisseur bei der Einrichtung der ohnehin interpretationsbedürftigen Partitur einige Freiheiten genommen, etwa Szenen umgestellt und Zwischenspiele eingefügt. Das folgt sehr schlüssig dem Regiekonzept und ermöglicht das passende Timing für Auf- und Abtritte – eine sehr theaterpraktische Einrichtung, was den Gepflogenheiten der Barockoper durchaus entspricht. Das kleine Orchester lebt vor allem von den beiden sehr farbigen Continuo-Gruppen (hinzu kommen solistische Streicher, Zinken und Blockflöten). Die weiche, besonders in den Streichern breite Spielweise ist ziemlich weit entfernt von dem aufgerauten Klangbild, das die historische Aufführungspraxis von „alter Musik“ während der letzten Dekaden geprägt hat. Es wird ausgesprochen beweglich und wortgenau musiziert (die Musiker des Gürzenich-Orchesters werden um einige „Gäste“ an den historischen Instrumenten verstärkt). Poppea (Sandrine Piau) Ganz entscheidend für den Erfolg einer solchen Produktion ist natürlich die Sängerbesetzung, und die ist hier exquisit, auch weil bis zur kleinsten Partie alles absolut rollendeckend besetzt ist, und das in sehr genauer Abstufung gemäß der Hierarchie in der Oper. Sandrine Piau gestaltet die Poppea mit betörend schönem Timbre und verleiht ihr den eleganten Habitus einer französischen Filmschauspielerin, Franco Fagiolini (in der Erscheinung einem anderen Imperator, nämlich Napoleon, nicht unähnlich) mit intensiv strahlendem, aber immer geschmeidigen Countertenor steht ihr als Nero nicht nach – das ist nicht nur im abschließenden Duett ganz großes Opernglück. David DQ Lee, der zweite (und ebenfalls absolut souveräne) Countertenor, erreicht als Poppeas gehörnter Gatte Ottone nicht ganz Fagiolis Leuchtkraft, Romina Boscolo als verstoßene Kaisergattin Ottavia ist dramatischer, weniger subtil, im Vibrato stärker „flackernd“ als die Poppea. Claudia Rohrbach ist mit jugendlich hell timbrierten, dennoch warmen Sopran eine hingebungsvoll liebende Drusilla (die ihren angebeteten Ottone leidenschaftlich zum Morden drängt). Poppea (Sandrine Piau) und Nerone (Franco Fagioli)Brillant auch der dritte Countertenor, Daniel Lager, wenn auch auf ganz andere Weise: Als Amme Arnalta liefert er spielerisch wie sängerisch ein komödiantisches Kabinettstückchen ab, das bei komischen Figur aber Shakespeare'schen Tiefgang aufblitzen lässt – und in den seriösen Passagen wie dem Schlaflied für Poppea mit vergleichsweise kleiner, aber interessant eingefärbter Stimme große Musik macht. Souverän und unprätentiös gesungen ist der präsente Seneca von Wolf Matthias Friedrich. Aus den durchweg hervorragend besetzten kleineren Partien ist Maike Raschke als jugendlich jubelnder Amor und Valletto hervorzuheben. Aber es ist eben nicht „nur“ die hohe Gesangskultur, sondern die Ernsthaftigkeit, mit der jede Note und jedes Wort gestaltet und ausgespielt wird, die das außerordentliche Niveau dieser Produktion ausmacht.
Eine Produktion, bei der jede Note, jede Geste ihren Sinn ergibt – das gehört sicher zum Aufregendsten, was es derzeit international zu sehen und hören gibt. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Poppea
Nerone
Ottone
Ottavia
Seneca
Drusilla
Nutrice
Arnalta / 1. Famigliare
Littore / Tribuno / 3. Famigliare
Fortuna / 2. Amorino
Virtù / Damigella / 3. Amorino
Amore / Valetto / 1. Amorino
Liberto / 2. Soldato / Console
Lucano/ 1. Soldato/ 2. Famigliare
4. Amorino
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- Fine -