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Der Tod ist totVon Stefan Schmöe / Fotos: Matthias BausEs ist ein Schnitter, heißt der Tod. Der Sensenmann geht um, gesichtslos im weiten Mantel, und auch wenn er statt der Sense eine Fahne schwingt, ist der Gestus eindeutig: Das Schicksal kann auch den Tapferen hinstrecken, wie es in deutscher Übersetzung des Eingangschores von Carl Orffs Carmina Burana heißt. Auf dem Boden kauern unzählige Gestalten, in stilisierte mittelalterliche Gewänder gehüllt (Kostüme: Ruth Pulgram). Aber nicht lange, da erheben sie sich und tanzen auf der leeren Bühne, die den Orchestergraben überdeckt (Chor und Orchester sind auf der Hinterbühne platziert). So leicht, wie es scheint, hat es der Tod hier nicht. Das Ungewöhnliche an dieser Produktion ist natürlich, dass das Tanzensemble aus rund 130 Schülerinnen und Schülern von fünf Schulen im Kölner Raum besteht. Für Royston Maldoom, den künstlerische Leiter und Choreographen der Produktion, ist das nichts Neues; bekannt geworden ist er vor allem durch seine Kooperation mit Simon Rattle und den Berliner Philharmonikern, mit denen er Strawinskys Sacre du Printemps aufführte mit rund 250 Berliner Schülern, was durch den Film Rhythm is it! grandios dokumentiert worden ist. Maldoom arbeitet aber nicht nur regelmäßig mit Kindern und Jugendlichen, sondern auch mit Menschen, die von der Hochkultur abgeschnitten sind Gefängnisinsassen zum Beispiel. In einem Interview für das Programmheft spricht Maldoom den Blickwinkel auf ein solches Projekt unverblümt an: Im deutschsprachigen Raum ist das immer das Thema: Ist es Kunst oder soziale Arbeit. Ich sage: keines und beides. Es ist, was es ist. Es ist in jedem Fall eine gute Stunde sehr bewegendes, vom Premierenpublikum zurecht frenetisch bejubeltes Theater geworden. Maldoom hat viel Gespür dafür, mit sehr einfachen Mitteln sehr wirkungsvoll zu choreographieren. Dazu gehört ein immens hohes Tempo ohne Leerlauf, große Souveränität im Ausfüllen des Bühnenraums, aber eben auch die Unbedingtheit, mit der von allen Beteiligten getanzt wird. Und Maldoom hat eine Idee für das Stück. In der Mitte werfen die Darsteller ihre historisierenden Gewänder ab und machen in ihrer normalen Alltagskleidung weiter, und da wird ganz unvermittelt deutlich, wie sehr dieses raffiniert mit vordergründiger Naivität spielende Werk eben auch passt auf diejenigen, die es gerade tanzen und erleben und für das Publikum austragen. Das in der Choreographie sehr dezent stilisiert (und himmelhoch über dem Kitsch der so beliebten Mittelalter-Märkte stehende) historisierende Moment wird zum Spiegelbild der Gegenwart, die allein durch die Natürlichkeit der Tänzer ausgedrückt wird: Maldoom muss umgekehrt auch die Jetztzeit nicht durch irgendwelche aktuellen Gesten herbeizitieren. Er bleibt jederzeit souverän in der Kunst-Sphäre des Tanzes. Es gibt keine durchlaufende Handlung, aber kleine, teils sehr amüsante Anekdoten. Das große Oberthema ist die Liebe, was Maldoom sehr unverkrampft ausbreitet, die Orffs durchaus derb-sexuellen Akzente keineswegs unterschlägt, aber auch nie sentimental wird. Am Ende gibt es eine Art Stafette, bei der sich Paare in flüchtiger Umarmung begegnen, auseinander gehen und sich dem nächsten Partner zuwenden. Nur ein Mädchen steht verloren am Bühnenrand, hat niemanden bis irgendwann doch der ersehnte Junge kommt und sie schnell mit sich zieht. Das ist ein ganz wunderbarer Moment, der in seinem großen Pathos alle Kraft des Tanztheaters beschwört und doch von unerhörter Leichtigkeit ist. Diese Carmina Burana mögen ein soziales Projekt sein, aber das spielt auf der Bühne keine Rolle und gleichzeitig natürlich doch. (Nebenbei: Die Vielfalt der Namen auf der Besetzungsliste deutet auch an, welche integrative Kraft hiervon ausgeht.) Den Stellenwert der Produktion kann man daran ablesen, dass GMD Markus Stenz persönlich am Pult des Gürzenich-Orchesters steht (und bei flotten Tempi und unpathetischen Akzentuierungen - mit viel Sinn für Klangfarben dirigiert) und mit der leuchtend-warm timbrierten Anna Palimina, dem auch in Orffs unmenschlicher Schwanengesangs-Tenorhöhe klangschönen Martin Koch und dem für die Trinklieder beinahe zu noblen Miljenko Turk die erste Sängerriege aus dem hauseigenen Ensemble aufgeboten werden. Der Chor der Oper Köln singt sehr pointiert und detailgenau mit großer Präsenz, der Kinderchor der Liebfrauenschule glänzt mit zupackend-frechem" Tonfall als selbstbewusster Pendant. Gegen so viel Lebensfreude hat der Sensenmann keine Chance. Zu der das Werk beschließenden Reprise des Eingangschores erhebt er noch einmal die Sensenfahne, aber ohne Wirkung. Zuletzt sinkt er selbst leblos dahin. Da ist er einfach tot, der Tod.
Mitreißender und ungewöhnlicher Abschluss einer tollen Saison der Kölner Oper. Größtes, angesichts des immensen Aufwandes wohl unvermeidliches Manko: Es sind nur drei Aufführungen angesetzt. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Künstlerische Leitung
Probenleitung
Kostüme
Licht
Chor
Projektleitung /
Sänger
Sopran
Tenor
Bariton
TänzerSchülerinnen und Schülerder folgenden Schulen: Eichendorff-Realschule Köln Gesamtschule Rodenkirchen Humboldt-Gymnasium Köln Rheingymnasium Köln Stiftisches Gymnasium Düren
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- Fine -