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Un ballo in maschera
(Ein Maskenball)


Oper in drei Akten
von Antonio Somma
nach einem Libretto von Eugène Scribe
Musik von Giuseppe Verdi

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 40' (eine Pause)


Premiere im Theater Hagen am 15. Januar 2011
Besuchte Aufführung: 21. Januar 2011

Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Zuviel zwischen Sein und Schein

Von Thomas Tillmann / Fotos von Stefan Kühle (© Theater Hagen)

Als "Attentat auf die Phantasie" sieht Roman Hovenbitzer Verdis Un ballo in maschera: Renato, dessen Leben von "Verwaltung, Bürokratie und Organisation" bestimmt ist (und dessen großzügiges Büro im zweiten Teil sein natürlicher Lebensraum zu sein scheint, in dem Amelia sich zurecht emotional vernachlässigt vorkommen muss und das Schaukelpferd seines Sohnes wie ein Fremdkörper wirkt), tötet Riccardo, der für Begriffe wie "Phantasie, Libertinage, vermeintliche Schwerelosigkeit" steht und der sich in seinen Traumwelten zwischen Spaß, Ernst und Selbststilisierung als geliebter Herrscher verfängt. Gespielt wird die so genannte Bostoner Fassung - zurecht betont der Regisseur, dass die Fassungsfrage beim Ballo nicht so rasend relevant ist, wenngleich Gustav III. natürlich die Züge eines "Schauspielers auf dem Thron" hatte, "dessen Leben oftmals wie eine Selbstinszenierung anmutet", was Verdi als Ausgangspunkt seiner Geschichte interessiert haben dürfte. Amerika als Handlungsort kommt dem Regieteam indes entgegen, weil das Medium Film in seine Inszenierung stark einbezogen wird: Häufig sieht man auf der Projektionswand die Darsteller in einer Art Rückschau oder Traumhandlungen im Stil eines Stummfilms agieren, während ein weiteres Geschehen auf der Bühne sich abspielt (sehr berührend war der Film, der Szenen von der Hochzeit Renatos und Amelias und weitere Momente aus dem Alltagsleben der kleinen Familie zeigte). Und dann gibt es noch eine weitere Ebene bei Hovenbitzers "Vexierspiel zwischen Sein und Schein als Abbild des menschlichen Daseins": Riccardo und Oscar spielen auf der linken Seite mit einem Bühnenbildmodell, sie ändern die Kulissen, sie nehmen Figuren hinaus oder stellen sie hinein (mitunter kann der Zuschauer auf der Leinwand dabei zusehen), es gibt in der linken Bühnenloge eine Art Kostümfundus, Ulrica etwa wird gezwungen, sich für eine Art schwarzer Messe (mit kläglichem Bühnenzauber) vor einem riesigen glitzernden Totenkopf satanisch zu verkleiden und sich eine Rastaperücke überzustülpen, die Protagonisten werden auch für den Maskenball auf offener Bühne umgezogen. Spätestens am Schluss der Oper kann man Realität nicht mehr vom Traum unterscheiden: Illusion und Irdisches sind miteinander verwoben, das Spiel hinter vorgehaltenen Masken verselbständigt sich mehr und mehr, Riccardo scheint seinen Tod geradezu zu provizieren oder mindestens zu inszenieren. Und am Ende wird man dann doch auch ein wenig müde zu verfolgen, ob Riccardo nun wirklich stirbt oder nicht.

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Das Theaterblut auf der Weste Riccardos (Rafael Vázquez) suggeriert, dass der Herrscher sterben wird, aber in der Hagener Inszenierung steht er kurz drauf wieder auf (im Hintergrund Christine Graham als Oscar sowie Damen und Herren von Chor, Extrachor und Statisterie).

Mit einem schlafenden oder bereits toten Riccardo hatte der Abend begonnen, nachdem der rote Vorhang auf der Bühne sich geöffnet hat, sieht man einen Kinosaal in Art-deco-Optik, eine Projektionswand trennt Riccardos Privatbereich vom Rest der Bühne (der nach oben hin offen ist, was akustisch immer schwierig ist für Sängerinnen und Sänger), in entscheidenden Momenten, nämlich immer dann, wenn aus Spaß tödlicher Ernst zu werden droht, fällt sie herab, etwa wenn die als Sensenmänner gewandeten Verschwörer Amelia und Renato am Ende des zweiten Aktes nicht nur verhöhnen, sondern auch wirklich demütigen.

Vergrößerung in neuem Fenster Riccardo (Rafael Vázquez) und Oscar (Christine Graham) inszenieren ihr Spiel, auf der Leinwand ist das Gesicht des Herrschers in voller Größe zu sehen.

Jan Bammes' Bühne und seine Kostüme waren konsequent in schwarz und weiß gehalten, man erkannte auch die Botschaft, dass Amelia beispielsweise die meiste Zeit in weiß gekleidet ist und nur unter der Anklage ihres Mannes für einen Akt schwarz trägt. Manches dieser Kostüme indes sahen allerdings noch in der fünften Reihe ersckreckend nach Karnevalsbedarf aus, namentlich die Perücken für den Chor und die reichlich eingesetzte schwarze Boa im Schlussbild - sicher ein Tribut an die beklemmende Finanzsituation des rührigen Hauses.

So klug (mit Sätzen wie "Mensch-Sein heißt, sich verkörpern zu müssen", "Es gibt keine maskenlose Existenz" und "Maskerade ist ein humanogener Mechanismus, der ... tief in der biologischen Evolution verankert ist" wird im Programmheft Hartmut Böhme zitiert, auch Elias Canetti hat sich natürlich zu Masken geäußert, an theoretischer Begründung fehlt es also nicht) und richtig und insgesamt überzeugend das alles ist, so natürlich und engagiert die Mehrheit der Darsteller dieses Konzept umsetzen: Bereits nach kurzer Zeit wird man den Eindruck nicht los, dass die Hälfte an Einzelideen, an gut gemeinten Aktionen auf der Bühne es auch getan hätte, dauernd tut irgendjemand etwas, das keineswegs im Widerspruch zum Libretto steht, aber einen einfach nervös macht. Man spürt geradezu die Angst des Regisseurs, jemand könne ihm szenischen Stillstand vorwerfen, und so freut man sich richtig, dass Amelia ihre zweite Arie dann endlich ohne irgendwelche Nebenhandlungen singen darf (und Kelly God diese mit wohlüberlegter Phrasierung und schönem Legato auch musikalisch zu einem Höhepunkt des Abends werden lässt).

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Renato (Jaco Venter) bedroht Amelia (Dagmar Hesse).

Für das Hagener Publikum ist das alles ein bisschen viel - meine Sitznachbarin etwa konnte auf der Bühne nicht viel von dem erkennen, was sie im Opernführer ihres Mannes gelesen hatte und wollte sich auch nicht damit abfinden, dass das Werk nicht in einer schönen deutschen Übersetzung gegeben wurde (mein einfacher Hinweis, dass man die Darsteller, die aus ganz verschiedenen Ländern kommen, trotzdem vermutlich nicht verstanden hätte, verhallte unbeachtet). Immerhin, sie war gekommen und freute sich über manch gelungenen musikalischen Moment, während wirklich viele Plätze in der erst dritten Vorstellung an diesem Freitagabend gleich leer blieben. Dass diejenigen, die sich aufgemacht hatten und blieben, das Gesehene lange beklatschten, muss die Verantwortlichen bestärken, dem Publikum auch in Zeiten sehr knapper Kassen Anspruchsvolles zu präsentieren - es gibt auch in Hagen Menschen, die nicht nur Das weiße Rössl und My Fair Lady sehen wollen.

Rafael Vázquez gibt darstellerisch alles bei seinem ersten Engagement in Deutschland, er rennt über die Bühne, springt, tanzt, lässt sich total auf das Regiekonzept ein, und auch vokal hat er die erste Hälfte des Abends viele gute Momente mit seinem zwar durchaus dunkel gefärbten, aber insgesamt doch sehr lyrischen Tenor, den man angesichts der Grenzen, die im weiteren Verlauf hörbar wurden, wirklich nicht in Partien wie Cavaradossi, Pollione oder gar Manrico hören möchte, die er in seiner Biografie stehen hat. Und so freut man sich an der Eleganz mancher Phrasierung, zunächst auch am Glanz in der Höhe, aber je länger der Abend dauert, desto mehr verliert die überstrapazierte Stimme gerade in der oberen Lage viel von ihrer ursprünglichen Farbe, und er singt das "Sì, rivederti, Amelia" vor Beginn des eigentlichen Balls in einem solch forschen Tempo, dass man den Eindruck bekommt, er müsse einen Zug bekommen. Jaco Venter, der zur Zeit noch am Nationaltheater Mannheim engagiert ist, hat zweifellos nicht die schönste Stimme, namentlich in der Höhe fasert sie unangenehm aus, verliert jede Farbe und weist zudem ein riesiges Vibrato auf, er singt meines Erachtens auch mit zu viel Druck, so dass Feinheiten in ruhigeren Passagen wie die Melismen im "Eri tu" kaum noch korrekt ausgeführt werden können, aber ein intensiver Sängerdarsteller ist er schon (natürlich erinnerte sich mancher im Publikum an Horst Fiehl in dieser Partie, der ja bis heute in kleineren Rollen am Haus zu erleben ist und der damals wirklich einen prächtigeren Kavaliersbariton einzubringen hatte).

Kelly God hatte bereits in der Premiere die erkrankte Hausprimadonna Dagmar Hesse als Amelia ersetzt. Die Niederländerin, die am Staatstheater Hannover bereits am Tag drauf die Fata Morgana zu singen hatte und in dieser Saison dort auch als Liù, Sieglinde, Gutrune und Mutter in Hänsel und Gretel zu hören sein wird, ist eine große stattliche Frau, die in den dünnen Kleidern der Produktion nicht immer vorteilhaft gewandet war und auch keine erste Darstellerin ist (sie ist ja in der dritten Vorstellung keine wirkliche Einspringerin mehr, sondern hätte sich das Regiekonzept in der Zwischenzeit ein bisschen mehr aneignen können). Ihr ebenfalls sehr weiblicher, fülliger, aber nicht riesiger, mitunter auch etwas herber, jugendlich-dramatischer Sopran ist ein interessanter, und sie bewältigte die Schwierigkeiten der Partie mit großer Souveränität - durchaus eine Entdeckung in einem nicht übermäßig besetzten Fach.

Vergrößerung in neuem Fenster Riccardo (Rafael Vázquez) und Amelia (Dagmar Hesse) gestehen sich ihre Liebe, wissen aber auch, dass sie sie nicht werden leben können.

Dagegen bereitete (mir) Yanyu Guo als Ulrica wenig Freude, die fade Stimme hat wenig Glanz in der steifen, wobbligen Höhe, wobei man fairerweise erwähnen muss, dass die Künstlerin leider auch sehr weit hinten stehen musste. Stefania Dovhan war in dieser Inszenierung als Drahtzieher praktisch in jeder Szene beschäftigt und ein mit wechselnden glänzenden Outfits ein wenig an den Emcee in Cabaret erinnernder Oscar. Nicht nur für das "Saper vorreste" fehlte es ihrem gehaltvollen Sopran an dem letzten bisschen Leichtigkeit, Beweglichkeit und "Glitzern" (während das interpolierte D ziemlich überflüssig war), aber ihre bisher in Hagen und anderswo gesungenen Partien wie Adina, Violetta, Fiordiligi oder Charpentiers Louise zeigen ja auch, dass sie das Koloraturfach bereits hinter sich gelassen hat. Oliver Weidinger gab einen ordentlichen Silvano, Orlando Mason bleibt als Tom vor allem wegen seiner enormen Körpergröße in Erinnerung, Rainer Zaun wegen seiner charaktervollen, auch in Bayreuth erprobten Stimme; Götz Vogelgesang bot nicht gerade solchen als Richter. Keinen schlechten Eindruck hinterließ der von Wolfgang Müller-Salow vorbereitete verstärkte Chor.

Auch wenn manches noch ein wenig polternd und ungeschliffen aus dem Graben dröhnte, man beim Spiel der Hagener Philharmoniker unter Florian Ludwigs Leitung mitunter ein bisschen Glanz und Fluss vermisste, so gab es doch auch sehr ausgewogene, dichte Momente; vor dem letzten Akt allerdings hätte der Generalmusikdirektor noch einmal stimmen lassen müssen.


FAZIT

Ein durchaus eigenwilliger, aber letztlich überzeugender Ballo, der auch musikalisch seine Momente hat.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Florian Ludwig

Inszenierung
Roman Hovenbitzer

Ausstattung
Jan Bammes

Licht
Ulrich Schneider

Film
Volker Köster

Choreinstudierung
Wolfgang Müller-Salow

Choreografische Mitarbeit
Andre Baeta

Dramaturgie
Anja Oeck


Opern- und Extrachor
des Theater Hagen

Statisterie des
Theater Hagen

Philharmonisches
Orchester Hagen


Solisten

Riccardo
Rafael Vázquez

Renato
Jaco Venter

Amelia
Kelly God

Ulrica
Yanyu Guo

Oscar
Stefania Dovhan

Silvano
Oliver Weidinger

Samuel
Rainer Zaun

Tom
Orlando Mason

Ein Richter
Götz Vogelgesang


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen (Homepage)




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