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Der Dämon im Forscher
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Stefan Kühle (© Theater Hagen)
Die Theatersaison beginnt denkbar blutrünstig: Mit dem Schocker-Musical Jekyll & Hyde eröffnet das Theater Hagen die neue Spielzeit nicht unbedingt geeignet für die ganze Familie, denn für empfindsame Kinderseelen wird dann doch ein bisschen zu lustvoll erwürgt, ertränkt, erstochen und erschossen aber das jugendliche und erwachsene Premierenpublikum zeigte sich begeistert. Die dunkle Seite des Menschen, eben der Mr. Hyde, zu dem der ehrbare Dr. Jekyll nachts mutiert, erweist sich als ausgesprochen theaterwirksam. Nicht zuletzt deshalb, weil das Hagener Theater sich mit großer Energie darauf stürzt und mit einer hoch konzentrierten Aufführung die Konkurrenz der kommerziellen Musical-Tempel nicht scheuen muss. Wissenschaftler kurz vor dem Selbstversuch: Dr. Jekyll (Henrik Wager) testet ein Serum, mit dem das Böse im Menschen separieret werden soll
Die Regie von Philipp Kochheim blendet das viktorianische Ambiente der Vorlage (die Novelle von Robert Louis Stevenson aus dem Jahr 1886) völlig aus und siedelt die Geschichte in der Gegenwart an. Das Bühnenbild (Ausstattung: Uta Fink) zeigt die unterkühlt moderne Lobby einer Privatklinik, deren klobige Architektur im Hintergrund an technokratische Bauexzesse der 70er und 80er-Jahre erinnert. Hier ist Dr. Jekyll Forscher und Chefarzt, in seinem Gestaltungsspielraum von einem mäßig interessierten Kuratorium abhängig. Kochheim zeigt nicht die Polarität von Gut und Böse in dieser Figur, es gibt keine Verwandlung des ehrbaren Bürgers in den Triebtäter; vielmehr hat dieser Dr. Jekyll von Beginn an etwas Dämonisches und Gefährliches, das durch die Einnahme des von ihm entwickelten Medikaments nur verstärkt wird. Henrik Wager spielt das großartig, er hat von Beginn an etwas nervös Raubtierhaftes, wie ein eingesperrtes Tier. Die Stimme ist nicht schön, aber er singt mit großer Intensität auch da zeigt sich der besessene Außenseiter, der sich nicht anpassen kann und will. Dr. Jekyll (Henrik Wager) und seine Verlobte Lisa Carew (Tanja Schun)
Kochheim führt einen Mediziner vor, der seine Forschung ohne Rücksicht auf Gesellschaft oder Menschlichkeit kompromisslos voran treibt. Nun ist ein Musical natürlich eher auf Unterhaltung denn auf Gesellschaftskritik angelegt. Kochheim versteht es aber gut, den Plot aus diesem Kontext heraus spannungsvoll zu inszenieren, ohne den Stoff interpretatorisch überstrapazieren zu müssen. Ein Teil der Beklemmung entsteht eben gerade daraus, dass persönlichkeitsändernde oder persönlichkeitssteuernde Stoffe längst nicht mehr der Fantasie angehören. Kochheim bleibt auf der anderen Seite Theaterpraktiker genug, um auch bewährte Elemente wie den vertrottelten Assistenten (Robert Schartel agiert mit viel Spielwitz, zeigt aber auch die Verletzlichkeit der Figur) einzubauen. Und ästhetisch ist die Inszenierung spätestens dann in der You-tube-Gegenwart angekommen, wenn Dr. Jekyll seinen Selbstversuch mit der Videokamera aufzeichnet und sofort am Monitor mitlaufen lässt. Jekyll (Henrik Wager) und die Prostituierte Lucy (Maricel)
Die unumgängliche Liebesgeschichte, eine klassische Dreierkonstellation mit braver bürgerlicher Verlobter (Tanja Schun aus dem hauseigenen Ensemble spielt und singt das sehr souverän und verleiht der Figur durchaus ein paar interessante Ecken und Kanten) und liebesbedürftiger Prostituierter (Mariel, die bereits bei der deutschen Erstaufführung 1999 in Bremen die Lucy gespielt hat, imponiert mit toller Stimme und viel Bühnenpräsenz), gerät fast ein wenig in den Hintergrund, was nicht weiter schadet. Norbert W. Conrads verkörpert einen sehr akkuraten, eine Spur zu stromlinienförmigen Anwalt Utterson, gleichzeitig Jekylls letzter Freund und Vertrauter. Ein durchweg ausgesprochen spielfreudiges Ensemble, der gute Chor eingeschlossen, wertet auch die kleineren Partien auf. Gefeilt werden könnte hier und da noch an der Textverständlichkeit. Musikalisch gestützt wird das Ganze durch das sehr zuverlässige Philaharmonische Orchester Hagen, das unter der umsichtigen Leitung von Steffen Müller-Gabriel dem Bühnengeschehen den Vorrang lässt, aber jederzeit stilsicher die passenden Klangfarben beisteuert.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten
Jekyll / Hyde
Lisa Carew
Lucy Harris
John Utterson
Sir Danvers Carew
Simon Stride
Lady Beaconsfield
General Lord Glossop
Sir Archibald Proops
Lord Savage
Bischof von Basingstoke
* Michael Ophelders
Reverend Brown
* Jeffrey Krueger
Dr. Poole
Spider
Soul Girls
* Verena Grammel / * Seija Koecher / * Nicole Nothbaar / Margarethe Nüßlein / Julia Steinhaus
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