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Premiere im Opernhaus Hannover am 17. April 2011 Hannovers neuer
Ring des Nibelungen geht
in die dritte
Runde. Nach einem fulminanten Rheingold und
einer vor allem szenisch eher enttäuschenden Walküre
waren Spannung und Vorfreude auf den Siegfried
offenbar etwas
gedämpft. So
blieben am Premierenabend im Opernhaus einige Plätze leer, was
für eine
Wagner-Premiere in Hannover eher ungewöhnlich ist. Für den
ersten Akt kommen
Bühnenbildner Klaus Grünberg und
Regisseur Barrie Kosky auf den Revue-Gedanken des ersten Rheingold-Bildes
zurück. Man sieht eine Bühne auf der Bühne,
muschelförmige Verkleidungen für
das Rampenlicht, im Hintergrund eine metallne Wand mit archetypischen
Werkzeugen. Die Szene wird durch einen Vorhang eingegrenzt, dessen
dreibogiger
Ausschnitt gleichermaßen an einen Dom, eine Industriehalle
vielleicht auch an eine Synagoge erinnern kann.
Oder an
ein Kasperltheater, denn das passt am besten zu dem, was nun kommt. Mime sitzt –
wie könnte es anders sein
– auf einer Kiste
(kein Kosky ohne Kisten…). Diesmal ist sie aus Metall und dient als
Sitzgelegenheit, Backofen, Vorrats- und Küchenschrank, Schmelzofen und Amboss. Mime schmiedet nicht,
sondern betet und schlägt die komponierten Hammerschläge mit
dem Siddur auf die
multifunktionale Kiste. Tallit, Kippa und die typischen
Körperbewegungen beim
Gebet lassen unmissverständlich klar werden, dass Mime
praktizierender Jude
ist. Durch die
schlüssellochförmige
Tür jagt Siegfried einen sehr
realistischen Zirkusbären. Siegfried selbst ist der Comic-Held
„Superman“, der
wohl gerade von einem Einsatz kommt. Zusammen mit dem Kostüm
streift er die
eingenähten Muskeln ab und zeigt sich in kurzen Hosen mit
Altherrensocken in
braunen Halbschuhen (Kostüme: Klaus Bruns). Diese
Kleidung
scheint
derzeit
groß in Mode zu
sein. Mime trägt sie auch und der Wanderer steckt sogar in einem
besonders
kurzen Höschen, so dass man zuweilen Angst um das Verborgenbleiben
des Inhalts
hat. Nur zum Kochen, Backen und Schmieden wirft sich Mime Sieglindes
Kleid als
eine Art Kittelschürze über. Siegfried (Robert Künzli)
Ein ausgesprochen starker Moment gelingt dem
Regisseur mit
dem Auftritt des Wanderers. Während
der
noch, fast dämonisch, aus dem Off seine ersten Phrasen singt,
schiebt sich im
Zeitlupentempo bedrohlich die Spitze seines Speeres durch die Tür.
Doch der
Effekt wird sogleich (ironisch?) gebrochen. Denn Wotans Speer hat
Überlänge, ist
in der Handhabung umständlich und erinnert eher an eine
Balancierstange. Aber
all die eingeschnittenen Vertrags-Runen brauchen wohl nun einmal ihren
Platz. Durch den Einsatz einer Kurbel wird die
Metallkiste zu einer
Metallmühle, Siegfried mahlt das Schwert zu Spänen,
bearbeitet das irgendwie
zum Schwert gewordene Metall zuerst mit einer
Edelstahl-Rührschüssel, dann mit
einem überdimensionalen Hammer von der Rückwand und zuletzt
tatsächlich mit
einem echten kleinen Hämmerchen. Doch die meisten
„Hammerschläge“ erzeugt der
wild umherhüpfende Mime durch das Aufeinanderschlagen
zweier
Schüsseln.
Dabei zischt
und brodelt es
gewaltig mit Feuer und Dampf. Zu „So schneidet Siegfrieds Schwert!“
stülpt Siegfried Mime
den bei der ganzen Schmiederei etwas zu dunkel gewordenen
Gänsebraten über den
Kopf. Unter einem Regen von metallisch
glitzernden Schnipseln (Schwertspänen?) geht der erste Akt zu
Ende. Tätä! Das ist zwar alles recht kurzweilig
-
aber
überwiegend doch albernes,
oberflächliches Kasperltheater. Die Begegnung
des Wanderers mit Alberich zeichnet sich durch
die Erkenntnis aus, dass Alberich auf der Bühne eine lange Hose
tragen darf –
auch wenn es nur eine schmuddelige, ausgebeulte Jogginghose ist.
Während Siegfried über das Aussehen seiner Eltern sinniert,
reißt er den Vorhang vom mittleren Eingang und schaut in einen
Spiegel. Harry
Potter-Leser erinnert das an den Spiegel im Raum der Wünsche, in
dem Harry
seine Eltern sieht. Die Gestaltung
Fafners als einen blinden,
von Geschwülsten
entstellten sogenannten „Elefantenmenschen“ überzeugt in keinem
Moment. Zwar
wirkt die Erscheinung zunächst gruselig, dann aber überaus
mitleiderregend. Doch Fafner ist ein
Riese, der aus Habgier
seinen Bruder gemordet und sich in einen Lindwurm verwandelt hat, um
seinen
ungenutzten Reichtum zu bewachen, kein durch Krankheit entstelltes,
unbeholfenes Wesen. Fafner
(Albert Pesendorfer), Die Waldvogel-Mädchenpuppenfigur singt,
das heißt, sie bewegt
den Mund übertrieben deutlich auch schon zu den instrumental
gespielten
Vogelsangpassagen – also, bevor Siegfried Drachenblut geleckt hat und
„der
Vöglein Stammeln“ verstehen kann. Das ist ein sehr schöner
Regieeinfall. Warum
der Waldvogel zwischendurch immer wieder laut, ja geradezu dreckig
lachend die Musik
zerstört, bleibt dagegen ebenso ärgerlich wie
unerklärlich. Aus Fafners „Höhle“ kommt Siegfried mit
einem Karton (…)
voller Gold zurück. Inzwischen hat der Waldvogel Siegfrieds Stulle
verspeist
und führt ihn gut gestärkt und laut lachend gen
Brünnhilde. Alberich –
inzwischen wohl von der Krätze heimgesucht oder noch
verhaltensgestörter als im Rheingold
– macht sich über die Reste des von Mime
sorgfältig vorbereiteten
Picknicks her und setzt sich zwischen den toten Fafner und den toten
Mime auf
die Bank. Gut
beschützt schläft Erda in
einer geschlossenen Muschel.
Man denkt zunächst an „Die Geburt der Venus“ von Botticelli,
vielleicht auch an eine Perle, dann aber doch
eher – auch in Bezug auf die muschelförmigen
Rampenlichtverkleidungen des
ersten Bildes – an die klassische Verkleidung eines Souffleurkastens.
Das wäre
nachvollziehbar, denn Wotan will von Erda die ausschlaggebenden
Stichworte
hören. Aber nicht nur: Wie ein kleiner Junge, der Schutz und Trost
sucht,
kuschelt er sich an die nackte, alte, ausgemergelte Frau, mit der er
einst
Brünnhilde gezeugt hat. Im anschließenden
Konfliktgespräch mit Siegfried
erweist sich Wotans überlanger Speer als wenig praktikable Waffe,
der Siegfried
kurzerhand die Spitze abschlägt. Wotan hatte
Brünnhilde in der Walküre auf einer Tankstelle mit
einer Fackel in der Hand
schlafen gelegt. Diese Tankstelle steht nun auf dem Kopf –
Brünnhilde liegt
aber immer noch auf dem Rücken, wobei sie jetzt doch eigentlich
auf dem Bauch
liegen müsste. Aber viele Menschen drehen sich ja im Schlaf.
Projizierte
Zeichentrickflammen verlöschen bei Siegfrieds Eintreffen und dann
wird
gesungen, was das Zeug hält. Dankenswerterweise ohne regieliche
Sperenzien. Die Inszenierung bewegt grenzwertig
zu Persiflage
und Parodie und geht oft auch darüber hinaus. Das Vergnügen
des
Regisseurs alles anders zu
machen (statt des Ambosspaltens stülpt Siegfried eine gebratene
Gans über Mimes
Kopf), Bühnenaktionen zu übertreiben (das Schmieden mit
zuviel Trara), Musik
mit Geräusch zu zerstören (das kreischende Lachen des
Waldvogels), mit den
Grenzen der Scham zu spielen (die nackte, alte Erda) und dergleichen
mehr lässt - wieder einmal – die
Frage offen, ob uns das
weiter bringt und wenn ja wohin. Alberich und Mime als Juden zu zeigen
macht
Unbehagen und es stellt sich die Frage, ob das ein notwendiges
Unbehagen ist. Wagners
Antisemitismus mag man aus Musik und Text herauslesen können -
wenn man will.
Aber muß man das zwingend? Wanderer (Béla Perencz), Kosky
bezeichnet Siegfried im
Programmheft
als „eine Welt
männliches Spotts, männlicher Rache und Impotenz“. Vielleicht
sollen die kurzen
Hosen, die eher Jungen als Männer charakterisieren, ein Hinweis
darauf sein.
Aber Impotenz? Das Finale des dritten Aktes spricht da musikalisch eine
ganz
andere Sprache. Da hört man einen testosteronstrotzenden jungen Mann, der mit einiger
Überredungskunst,
aber doch Erfolg seine Tante herumbekommt. Und das macht
er atemberaubend! Gesungen
wird auf sehr hohem
Niveau in dieser Produktion. Allen voran begeistert Robert Künzli
als ein
Siegfried allererste Güte. Das Timbre und die stimmliche Substanz
sind ideal
für diese Partie. Die Höhe strahlt kraftvoll heldisch, ohne
rauh zu klingen. Mit
solider Stimmführung und schier unerschöpflichen
Kraftreserven singt er die
Partie, ohne sich zu schonen und hat im dritten Akt noch genügend
Energien, die
er in leidenschaftliches Jubeln umzusetzen vermag. Brigitte Hahn ist
als Brünnhilde nicht ganz so stimmkräftig
wie ihr Siegfried. Mit eher dunklem Timbre singt sie die Partie
tadellos und
die technischen Schwierigkeiten bewältigt sie ohne Mühe. Aber
es entsteht nicht
der Eindruck, dass sie in diesem Fach heimisch ist und hier eine
neue
Brünnhilde auf der Bühne steht. Johannes Preißinger
singt den Mime – ja, er singt ihn
tatsächlich mit viel Stimmkultur, guter Artikulation und
Intonation. Damit
beweist er einmal mehr, dass in dieser Partie viel mehr steckt als nur
ein
alberner, keifender Zwerg. Das gilt ebenso für Frank Schneiders,
der als
Alberich mit ungewöhnlich viel Wohlklang angenehm auffällt.
Als Wanderer lässt
Béla Perencz seinen gewaltigen Bass-Bariton üppig
strömen und herrliche
Wotan-Töne erklingen. Ausgesprochen nobel
klingt Albert Pesendorfers Fafner,
Julie-Marie Sundal bewegt mit sanft strömendem Alt als Erda und
Hinako Yoshikawa zwitschert lieblich den Waldvogel.
GMD Wolfgang
Bozic legt mit dem
ausgesprochen sauber und
engagiert spielenden Orchester die Grundlage für den musikalisch
bisher
beeindruckendsten Abend dieses neuen Rings.
Ist
für die ersten
beiden Akte
ein solides, aber nicht spektakuläres Dirigat zu loben, so
reißt Bozic Sänger
und Publikum im dritten Akt mit leidenschaftlichen, schwelgerischen und
spannungsreichen Orchesterwogen mit. Die Vorfreude
auf die musikalische Seite des Ring-Finales
wird
mit
diesem Siegfried geschürt.
Die
Spannung auf die
Inszenierung der Götterdämmerung
ist nicht mehr so groß, denn der Regisseur hat ganz
offensichtlich das Konzept
der Produktion für Hannover am Aalto Theater in Essen sozusagen im
Voraus wiederverwendet.
Wer schon mal durchs Schlüsselloch lunzen möchte, kann dies
dort oder hier
tun. Regisseur Barry Kosky wollte Siegfried als
„sarkastisches
Scherzo“ inszenieren. Herausgekommen ist irgendetwas zwischen
Kasperltheater
und kopfstehender Bedeutungsschwangerschaft. Musikalisch ein
großartiger Abend.
Robert Künzli begeistert als Siegfried. Musikalische
Leitung
Inszenierung
Bühnenbild Kostüme Licht Dramaturgie
Siegfried
Mime Wanderer Alberich Fafner Stimme
der
Erda Brünnhilde Stimme des
Waldvogels Weitere
Informationen
Siegfried
Zweiter Tag des Bühnenfestspiels für drei Tage und einen
Vorabend
Text und
Musikvon Richard Wagner
Aufführungsdauer: Stunden 5 Stunden (zwei Pausen)
Staatsoper Hannover
(Homepage)
Tri tra
trullala
Von Bernd
Stopka / Fotos Thomas M.
Jauk
Siegfried (Robert Künzli)
Erda (Statistin)
Mime (Johannes Preißinger)
FAZIT
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Produktionsteam
Wolfgang Bozic
Barrie Kosky
Klaus Grünberg
Klaus Bruns
Klaus Grünberg,
Susanne Reinhardt
Ulrich Lenz
Niedersächsisches Staatsorchester
Hannover
Komparserie der
Staatsoper Hannover
Solisten
Robert Künzli
Johannes Preißinger
Béla Perencz
Frank Schneiders
Albert Pesendorfer
Evelyn Gundlach
Julie-Marie Sundal
Brigitte Hahn
Hinako
Yoshikawa
erhalten Sie von der
Staatsoper
Hannover
(Homepage)
© 2011 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de
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