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Der zweite Blick auf
den Zaren Von Thomas Molke / Fotos von Pedro Malinowski
Die Bojaren (Statisterie) während der Ouvertüre. Dabei beginnt alles ganz harmlos. Bereits vor Beginn der Ouvertüre sitzen alte russische Bojaren mit langen Bärten auf der Bühne und blicken durch Ferngläser in den Zuschauerraum. über ihnen prangt auf einer großen schwarzen Wand: Wanted Peter! Das passt alles noch ganz gut zum Libretto, weil Zar Peter, der im holländischen Hafenstädtchen Saardam als Zimmermann inkognito auf einer Werft arbeitet, einen Aufstand der Bojaren und Strelitzen unter Anführung seiner Schwester fürchten muss. Mit Beginn der Ouvertüre beginnen diese Bojaren nun zunächst im Takt mitzuwippen, bevor sie mit zwei Stricknadeln an ihren langen Bärten weiterstricken. Während man noch darüber rätseln kann, ob man diesen Regieeinfall für albern oder ironisch hält, wird die komische Szene gebrochen. Am Ende der Ouvertüre tritt die russische Miliz auf und jagt die Bojaren mit Feuersalven von der Bühne. Es folgt der musikalische Bruch, indem nach den herrlichen Klängen Lortzings Mossolows Zavod vom Band eingespielt wird, und als ob diese Musik nicht schon Strafe genug sei, wird das Publikum auch noch mit grellen Scheinwerfern von der Bühne geblendet. Damit ist jeder Anflug von Romantik im Keime erstickt. Es mag stimmen, dass Peter I. nach seiner Rückkehr sehr gnadenlos gegen die Bojaren und Strelitzen vorgegangen ist, aber ist der Anfang der Oper wirklich der richtige Zeitpunkt, um diesen pädagogischen Zeigefinger zu heben? Ja, er ist klug und weise und ihn betrügt man nicht: Van Bett (Joachim Gabriel Maaß mit der Statisterie). Der Chor der Werftarbeiter tritt in Oranje-Bauarbeiter-Anzügen mit gelben Schutzkappen auf und karikiert einerseits mit rhythmischen Hammerschlägen im Takt jegliche Biedermeierlichkeit, die Roland Schwab diesem Stück ja unbedingt austreiben möchte, und gebärdet sich andererseits nahezu notgeil, wenn Marie (Alfia Kamalova) auftritt und sich über Peter Iwanows (E. Mark Murphy) Eifersuchtsattacken lustig macht. Wieso Almuth Herbst als Witwe Browe mit einem Atombusen auftreten muss, der dann auch noch - wie platt - zum Läuten der Glocken herhalten muss, bleibt ebenso wenig nachvollziehbar wie der Regieeinfall, das Hochzeitspärchen des zweiten Aktes von zwei Männern spielen zu lassen. Soll das lustig oder ironisch sein? Zur Aktualisierung des Stückes trägt es jedenfalls nicht bei. Auch Dong-Won Seo als englischer Gesandter Lord Syndham muss einige dümmliche Regieanweisungen über sich ergehen lassen. So stolziert er stets wie ein Storch mit erhobenem ausgestrecktem Bein über die Bühne. Was das nun wieder soll? Britischer Manierismus? Auch dem sehr spielfreudigen Chor wird einiges abverlangt. So müssen die Sängerinnen und Sänger sich bisweilen vom Zaren mit Alkohol bis zur Besinnungslosigkeit abfüllen lassen, weil dem Zaren - so kann man es im Programmheft nachlesen, damit der Theaterbesucher es auch versteht - solche sadistischen Folterungsspiele bei seinen zahlreichen Saufgelagen große Freude bereitet haben sollen. Diese Mätzchen führten dazu, dass sich nach der zweiten Pause die Reihen ein wenig gelichtet hatten und selbst der Holzschuhtanz nicht zum Bleiben verleiten konnte. So viel sei den Zuschauern, die gegangen sind, auch verraten. Auch hierbei ist der Regie nichts allzu überzeugendes eingefallen. Aber die Inszenierung hat auch gute Ansätze, die keinesfalls verschwiegen werden sollen. Bürgermeister Van Bett (Joachim Gabriel Maaß) bei seinem ersten Auftritt von Spiegeln und Lampen umgeben auftreten zu lassen, zeigt die Selbstverliebtheit und Geckenhaftigkeit dieses dümmlichen Spießbürgers sehr deutlich. Auch der Anfang des dritten Aktes gerät zu einem regelrechten Kabinettstückchen, wenn Van Bett mit dem Chor die Huldigungskantate einstudiert. Das Klavier zunächst vom Bühnenhimmel hinabschweben zu lassen, um es dann während der Probe wieder emporzuheben, so dass der Kantor (Alexander Poetsch) die Tasten gar nicht mehr erreichen kann, ist Komik pur. Wie Alexander Poetsch dann auf eine Leiter klettert und in der Horizontalen sich auf dieser Leiter weit über dem Bühnenboden hält, ist zirkusreif. Marquis von Chateauneuf (Jean-Noël Briend, links) ärgert den eifersüchtigen Peter Iwanow (E. Mark Murphy, rechts mit dem Frauenchor). Auch musikalisch gelingt der Abend auf recht gutem Niveau. Heiko Mathias Förster lotet mit der Neuen Philharmonie Westfalen die vielschichtige Partitur Lortzings sehr klangschön aus und präsentiert eine beschwingte und leichte Musik, die leider in Kontrast zu den Regieeinfällen von Roland Schwab steht und dann auch noch von Mossolows Klängen unterbrochen wird. Der Chor unter der Leitung von Christian Jeub zeigt sich trotz der ihm abverlangten Mätzchen erneut sehr homogen und spielfreudig. Dagegen hat das Solistenensemble bei den Tutti noch kleine Probleme beim Einhalten der Tempi, die aber vielleicht auch auf eine Premierennervosität zurückgeführt werden können. Das wird sich sicherlich in den Folgeaufführungen noch einspielen. Nicolai Miassojedov und Jean-Noël Briend haben als russischer und französischer Gesandter im Gegensatz zu Dong-Won Seo den Vorteil, dass sie Muttersprachler sind. Somit kann Miassojedov mit dem aus Polen stammenden Piotr Prochera sehr natürlich russisch parlieren, während Briend der französische Charme geradezu in die Wiege gelegt worden ist. Die schmachtende Ballade für Marie stattet Briend mit einem sehr lyrischen Tenor aus, so dass man Peter Iwanows Eifersucht gut nachvollziehen kann. E. Mark Murphy und Alfia Kamalova geben als Peter Iwanow und Marie ein sehr glaubhaftes Pärchen ab, das gesanglich und darstellerisch zu überzeugen weiß. Besonders lobenswert ist bei beiden die Textverständlichkeit. Chaos beim Einüben der Huldigungskantate: (auf der Leiter links: Van Bett (Joachim Gabriel Maaß), oben: Kantor (Alexander Poetsch), Damen und Herren des Chores). Piotr Prochera gibt optisch und darstellerisch einen sehr überzeugenden Zaren, der auch die dunkle Seite der historischen Figur glaubhaft auf die Bühne bringt, ob man dieses Regiekonzept nun mag oder nicht. Stimmlich muss sein Bariton allerdings in den lyrischen Passagen wie der Arie "Einst spielt ich mit Zepter" noch ein bisschen reifen. Joachim Gabriel Maaß kann nach dem hervorragenden Tevje in Anatevka mit dem Bürgermeister Van Bett seinem Repertoire eine weitere Paraderolle hinzufügen. Stimmlich und darstellerisch lotet er diesen dümmlichen Spießbürger bis zum äußersten aus und wird wie das restliche Ensemble ein Garant dafür sein, dass die Oper bei aller Fragwürdigkeit der Regieeinfälle mit Erfolg in Gelsenkirchen weiterlaufen wird. So ernteten die Solisten, der Chor und das Orchester am Ende großen und verdienten Applaus. Nur das Regieteam musste ein lautes Buhkonzert über sich ergehen lassen. Da nützten auch vereinzelte Bravorufe nichts. Der Applaus blieb so verhalten, dass wohl deutlich wurde, dass der größte Teil der Zuschauer mit dieser Sichtweise Lortzings nicht einverstanden sein dürfte.
FAZIT Wenn man dem Publikum schon vollmundig verspricht, die Spieloper als einen Programmschwerpunkt zu pflegen, sollte man die Erwartungen der Zuschauer vielleicht nicht gerade in diesem Genre so verstören.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie Opern- und Extrachor des Musiktheater im Revier Statisterie des Musiktheater im Revier
Neue Philharmonie
Solisten*Besetzung der Premiere
Peter I.
Peter Iwanow Van Bett
Marie
Admiral Lefort
Lord Syndham
Marquis von Chateauneuf
Witwe Browe
Mädchen
Kantor Informationen erhalten Sie vom Musiktheater im Revier (Homepage) |
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