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Musiktheater
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Hänsel und Gretel

Oper drei Bildern
Libretto von Adelheid Wette und Engelbert Humperdinck nach dem Hausmärchen der Gebrüder Grimm

Musik von Engelbert Humperdinck


in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2 h 20' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus des Musiktheaters im Revier am 31. Oktober  2010


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Musiktheater im Revier
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Lebkuchen für alle!

Von Thomas Molke / Fotos von Pedro Malinowski


Schon im Foyer des Großen Hauses geht es los, bieten doch nette Verkäuferinnen mit dem Slogan "knisper-knasper-knusprig" in quietsch-rosafarbigen Paketen Lebkuchen und andere Fanartikel der Knusperhexe Rosina Leckermaul an. Damit soll der Zuschauer sich zumindest lukullisch in die Rolle des Geschwisterpaares versetzen, deren Geschichte er in der folgenden Oper miterleben darf. Ein witziger Einfall des Regisseurs Michiel Dijkema, neben einigen weiteren Gags während der Vorstellung, die für eine Operninszenierung doch recht ungewöhnliche Reaktionen aus dem zweiten Rang auslösten. Da reicht es, wenn Gretel (Alfia Kamalova) artistisch an einer Lampe schaukelt, Rosina Leckermaul (William Saetre) mit Dame-Edna-Brille die Bühne betritt oder eine futuristische Maschine zur Herstellung der Lebkuchen sichtbar wird, dass ein Jubel oder Applaus aus dem zweiten Rang ertönt, als ob irgendein Teenie-Schwarm die Bühne betreten hätte. Daran wird man sich wohl gewöhnen müssen, wenn man jüngere Generationen auch bei großen Opernproduktionen ins Theater bekommen will.

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Hänsel (Almuth Herbst, rechts) und Gretel (Alfia Kamalova, links) haben Angst vor der Mutter, nachdem sie den Milchkrug zerbrochen haben.

Auch während der Ouvertüre lächelt Rosina Leckermaul als Comiczeichnung von einem riesigen Prospekt, der den Vorhang ersetzt, mit optimistisch nach oben weisendem Daumen und üppiger Oberweite und verbreitet ein Gefühl von heiler Welt. "Kuchenheil dir erwirb!" verspricht die Aufschrift auf dem Prospekt. Dabei ist dieses Heil so trügerisch wie das Lächeln der Dame. Diese Erfahrung muss auch ein kleines Mädchen machen, das sich während der Zwischenaktmusik zwischen dem ersten und dem zweiten Akt von den rosafarbigen Paketen anlocken lässt und zu spät bemerkt, dass es in eine Falle getappt ist. Da wird das Kind an den Haaren von der Knusperhexe (William Saetre) von der Bühne gezerrt. Ein schockierendes Bild, was aber den Charakter der Hexe genau trifft. Michiel Dijkema nutzt die Gelegenheit, die Hexe so böse zu zeigen, wie sie wirklich ist, damit man am Ende auch mehr Verständnis für ihren Tod hat.

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Vater Peter (Bjørn Waag) und Mutter Gertrud (Noriko Ogawa-Yatake) fürchten um ihre Kinder.

Wenn der Prospekt sich zum ersten Akt hebt, sieht man eine nahezu leere Bühne. Die Wohnung des Besenbinders Peter besteht lediglich aus vier Stühlen und einem weißen Tisch, über dem eine schwarze Lampe hängt. Mehr hat der Besenbinder nicht. Auf der linken Seite befinden sich einige Besen, an denen Hänsel (Almuth Herbst mit Punker-Frisur) arbeitet. Gretel (Alfia Kamalova ebenfalls in sehr knalligem, aber unordentlichem Outfit) strickt Socken. Zu Essen gibt es nichts. Hänsel haut die Messer und Gabeln in den Tisch, ein Bild, das im Wald wieder aufgenommen wird. Da ist es durchaus verständlich, dass die Kinder Angst vor der Mutter haben, wenn sie den Krug mit der Milch zerbrechen. Soweit ist es Michiel Dijkema gelungen, die Armut und Not dieser Familie glaubhaft darzustellen. Wenn aber die Mutter Gertrud (Noriko Ogawa-Yatake) mit Lockenwicklern und Gummistiefeln auftritt, hat man eher das Gefühl, man befinde sich bei Familie Flodder. Auch das Outfit des Vaters Peter (Bjørn Waag) mit blauer Trainingshose legt die Vermutung nahe, dass diese Familie zwar zur Unterschicht gehört und arm ist, am Hungertuch jedoch gewiss nicht nagt. Da haben wohl eher einige Exemplare aus den so genannten Doku-Soaps des Privatfernsehens Pate gestanden. Trotz ihres Outfits schafft es Noriko Ogawa-Yatake aber, die Not der Mutter glaubhaft darzustellen. Sobald sie die Kinder in den Wald geschickt hat, weicht ihre anfängliche Wut und Härte der schieren Verzweiflung. Bjørn Waags Vater ist von der Regie eher lüstern gezeichnet. Mit Schnapsflasche in der Hand hat er zunächst nichts anderes im Sinn, als die Mutter direkt auf dem Küchentisch zu nehmen, und scheint zunächst ganz dankbar zu sein, dass die Kinder nicht da sind. Erst als er von der Mutter erfährt, dass sie die Kinder in den Wald geschickt hat, erschrickt er doch sehr, was durch hervorragende Lichteffekte (Patrick Fuchs) glaubwürdig unterstützt wird. Da färbt sich die Bühne zunächst bedrohlich scharlachrot, bevor durch einen Lichtwechsel überdimensionale Schatten von Vater und Mutter auf dem hinteren Prospekt erscheinen. Als Peter von den Hexen im Wald erzählt, scheinen ihre Schattenbilder mit dem Besen in der Hand wirklich diese Bedrohung darzustellen. Woher weiß der Vater eigentlich so genau, was die Hexen mit den Kindern im Wald machen? Auch eine Antwort auf diese Frage deutet Michiel Dijkema an: Er ist es, der den Hexen die Besen verkauft. Für seinen Verdienst ist er bereit, das Unglück fremder Kinder in Kauf zu nehmen. Aber wenn es um die eigenen Kinder geht, sieht die Sache doch anders aus.

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Das Sandmännchen (Nan Li, rechts) erscheint, um Hänsel (Almuth Herbst, links) und Gretel (Alfia Kamalova, Mitte) müde zu machen.

Der Wald im zweiten Akt greift das Bild des Tisches aus dem ersten Akt wieder auf. Anstelle der Bäume hängen überdimensionale Messer und Gabeln vom Schnürboden herab, die sich scheinbar so in den Bühnenboden bohren, wie Hänsel das Besteck in den Tisch gebohrt hat. Die Kinder befinden sich also quasi auf einem Tisch, ein Bild des Fressens und Gefressenwerdens, was die Bedrohung des Waldes herrlich metaphorisch zum Ausdruck bringt. Verstärkt wird diese Bedrohung noch, durch einen Lichtwechsel, der den Schatten der Messer und Gabel auf den hinteren Prospekt wirft. Da muss schon das Sandmännchen (Nan Li in silbrigem Outfit mit langem Rauschebart) mit Säcken voller "süßer Träume" kommen, damit die Kinder in so einer Umgebung überhaupt müde werden können. Nach dem Abendsegen hebt sich das Besteck gen Bühnenhimmel, bleibt aber sichtbar, so dass die Bedrohung nicht verloren geht. Die 14 herbeigerufenen Engel, die in zahlreichen Inszenierungen vom eingesetzten Kinderchor in niedlichem Puttenoutfit dargestellt werden, erscheinen hier als 14 katholische Schutzheilige, was der Inszenierung einen religiösen Unterton gibt. Kostümbildnerin Claudia Damm hat für die Kenner diese Schutzheiligen mit den für sie typischen ikonographischen Zeichen ausgestattet. Für die anderen Zuschauer ist es im Programmheft erklärt, um welche Schutzheiligen es sich handelt. So entsteht am Ende des zweiten Aktes ein Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit, obwohl das Besteck noch über den schlafenden Protagonisten schwebt.

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Die Knusperhexe (William Saetre, rechts) becirct Hänsel (Almuth Herbst, Mitte) und Gretel (Alfia Kamalova, links).

Nachdem dann das Taumännchen (Nan Li in süßem Engelskostüm mit goldenen Rauschelocken) nach der Pause die Kinder geweckt hat, weichen die Messer und Gabeln, um dem Hexenhaus Platz zu machen. Es besteht aus den gleichen grellen pinkfarbenen Paketen, die bereits im Foyer den Zuschauern angeboten wurden. Heute haftet eben nicht mehr einfacher Lebkuchen am Haus, sondern dieser muss werbewirksam verpackt sein. Hänsel und Gretel lassen sich auch von diesen hübschen Paketen verlocken, eines von der Hauswand zu reißen. Es erscheint die Knusperhexe (William Saetre) in schrillem Outfit. Mit der schwarzen Brille und der überproportionalen Oberweite wirkt sie / er wie ein Dame-Edna-Verschnitt mit knallroten Haaren. William Saetre spielt die Rolle herrlich überdreht, wobei man sofort an seine Darstellung der Zaza aus La Cage aux Folles vor zwei Spielzeiten denken muss. So reißt er sich dann auch die Perücke irgendwann vom Kopf. Aus dem Haus fährt dann, nachdem die Kinder verhext worden sind, eine riesige Maschine zur Herstellung von Lebkuchen, bei der sich wohl Michiel Dijkema, der auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet, ein bisschen von Sweeney Todd hat inspirieren lassen, erinnert die Apparatur vom Aufbau doch sehr an die Maschine, mit der der Barbier seine Opfer zu Pasteten verarbeitet hat. Diese Maschine ist mit allerhand Schnickschnack ausgestattet, lässt im Ofen enorme Feuerfontänen aufwallen und hakt beim Fleischwolf, bis die Hexe einen Teddybär aus der Apparatur entfernt. Damit erfährt der Zuschauer, was mit dem Mädchen aus der Zwischenaktmusik geschehen ist. Der Hexenritt gerät ein wenig problematisch, erscheint William Saetre nun in schwarzem Overall, was an eine  Hella von Sinnen erinnert. An dieser Stelle geht Michiel Dijkema dann vielleicht doch etwas zu weit, wenn er dem religiösen Guten in Form von den Schutzheiligen einen Transvestiten bzw. eine Feministin als das Böse gegenüberstellt. Dem Publikum jedenfalls gefällt es. Die Kinder, die nach dem Tod der Hexe vom Zauber befreit werden, sind bunt kostümiert, wobei keine einheitliche Linie erkennbar ist. Das muss aber auch nicht sein, da diese Kinder ja aus unterschiedlichen Zeiten stammen können, in denen die Hexe im Wald ihr Unwesen getrieben hat. Als dann am Ende die Eltern ihre Kinder wiederfinden, scheint das Glück perfekt zu sein. Aber Michiel Dijkema hat sich für den Schluss noch eine Besonderheit ausgedacht. Während alle auf der Bühne davon singen, dass die Not nun überwunden sei, hebt sich der Bühnenboden und offenbart Hände, die sich nach oben strecken. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass es sich hierbei um Hungernde handelt, aber sehr schnell wird sichtbar, dass diese Hände zu 14 weiteren Hexen à la Rosina Leckermaul gehören. Eine Hexe ist tot. Aber wie Peter schon im ersten Akt festgestellt hat: Der Wald ist voller Hexen. Die Gefahr ist also noch nicht gebannt. Damit wird das scheinbar glückliche Ende eben als das dargestellt, was es ist: ein Märchen.

Von dem durchweg guten Sängerensemble sind vor allem die Titelpartien hervorzuheben. Alfia Kamalova gibt eine sehr mädchenhafte Gretel mit einem wunderbar schillernden Sopran.  Almuth Herbst legt mit ihrem wohl-timbrierten Mezzosopran die Hosenrolle Hänsel sehr jungenhaft tapsig an. Aus jedem Blick, aus jeder Geste lässt sie einen liebenswerten Lausbub erkennen, was sie dann auch bis zum Schlussapplaus durchhält. Aber neben ihrem sehr guten Gesang fasziniert noch mehr das Zusammenspiel der beiden. Alfia Kamalova und Almuth Herbst schaffen es, die Geschwisterliebe zwischen Hänsel und Gretel perfekt darzustellen. Dabei sind es oft nur so kleine Gesten wie das gemeinsame Ankuscheln beim Schlafen im Wald, wenn Hänsel seine Schwester zunächst wegschubst, um sie dann aber doch wieder zärtlich an sich heranzuziehen. Zu Recht lässt sich diese Kombination als Idealbesetzung bezeichnen. Die Neue Philharmonie Westfalen unter der Leitung von Johannes Klumpp zaubert nach anfänglichen Unsicherheiten beim Blech einen sehr satten und wohligen Klang aus dem Orchestergraben, der erkennen lässt, dass der Komponist Wagner verehrt und studiert hat.

So gibt es am Ende einhelligen Applaus für das Sängerensemble, den von Alfred Schulze-Aulenkamp sehr pointiert einstudierten Kinderchor, das Orchester und das Regieteam, das es geschafft hat, diese Oper zu modernisieren, ohne die Aussage des Stückes zu verfälschen, und damit vor allem für ein jüngeres Publikum attraktiv zu machen.

 

FAZIT

Eine sehr zeitgemäße Umsetzung der Oper mit einem sehr fantasievollen Bühnenbild und liebevoll gezeichneten Charakteren, die auch der Privatfernsehen-Generation gefallen dürfte.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Johannes Klumpp

Inszenierung und Bühne
Michiel Dijkema

Kostüme
Claudia Damm

Licht
Patrick Fuchs

Kinderchor
Alfred Schulze-Aulenkamp

Dramaturgie
Juliane Schunke



Statisterie des
Musiktheater im Revier

Gelsenkirchener Kinderchor

Neue Philharmonie
Westfalen


Solisten

*Besetzung der Premiere

Peter, der Besenbinder
Bj
ørn Waag

Gertrud, sein Weib

Majken Bjerno /

*Noriko Ogawa-Yatake

Hänsel

Almuth Herbst

Gretel
Engjellushe Duka /

*Alfia Kamalova

Die Knusperhexe
E. Mark Murphy /

*William Saetre

Sandmännchen / Taumännchen
*Nan Li / Dorin Rahardja




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