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Carmen / Boléro

Ballett von Ben Van Cauwenbergh
Musik von Georges Bizet, Wolfgang Rihm und Maurice Ravel


Aufführungsdauer: ca. 1h 50' (eine Pause)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 12. Februar 2011
(rezensierte Aufführung: 20. Februar 2011)

 


Logo:  Theater Essen

Theater Essen
(Homepage)
Im Namen der Rose

Von Thomas Molke / Fotos von Mario Perricone

Die Bilanz des Essener Ballettdirektors Ben Van Cauwenbergh nach fast drei Spielzeiten kann sich sehen lassen. Nach den beiden Ballettabenden La Vie en Rose und Tanzhommage an Queen, die seit zwei Spielzeiten Garanten für ein ausverkauftes Haus sind, scheint ihm mit seiner dritten eigenen Choreographie Carmen / Boléro erneut ein großer Coup gelungen zu sein, der das verwöhnte Essener Ballett-Publikum regelrecht von den Sitzen zu reißen vermochte und den überregionalen Ruf des Essener Corps de ballet weiter festigen dürfte. Ein Aspekt, der in Zeiten, in denen die Angst vor Spartenschließungen wie ein Damokles-Schwert über den NRW-Theatern hängt, nicht unterschätzt werden sollte.

Das Handlungsballett erzählt die Geschichte der berühmten Zigeunerin Carmen, wobei Van Cauwenbergh im ersten Teil des Abends zur Musik von Georges Bizet in großen Zügen der bekannten Geschichte nach der Novelle Prosper Mérimées folgt. Im zweiten Teil entwickelt er nach Carmens Ermordung ihre Geschichte zu Wolfgang Rihms Das Lesen der Schrift weiter, bis er sie zu Maurice Ravels furiosem Boléro wieder auferstehen lässt. Dabei verzichtet Dmitrij Simkin auf aufwendige Bühnenbilder und arbeitet hauptsächlich mit Videoinstallationen (Frieder Weiss), bei denen Bilder auf den Bühnenboden projiziert werden, die auf eine angeschrägte Spiegelwand auf der Bühnenrückseite reflektieren und somit zu einer Fortsetzung der Choreographie werden. Infrarotkameras nehmen die Bewegungen der Tänzer auf und beeinflussen so die auf den Boden projizierten Bilder.

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Carmen (Adeline Pastor) und José (Marat Ourtaev) beim Pas de deux.

Die Geschichte beginnt musikalisch mit dem Entr'acte zwischen dem 1. und 2. Akt von Bizets gleichnamiger Oper. Carmens Freundinnen (Yoo-Jin Jang, Ana Sánchez Portales und Maria Lucia Segalin) sitzen am Bühnenrand und legen die Karten, während Carmen (Adeline Pastor) majestätisch in feurigem rotem Kleid durch die auf den Bühnenboden projizierten Karten stolziert und auf ihrem Weg eine Schneise hinterlässt. José (Marat Ourtaev in unschuldigem Weiß) wird auf sie aufmerksam, doch sie nimmt noch keine Notiz von ihm. In seinem anschließenden Pas de deux mit Micaëla (Yulia Tsoi ebenfalls in Weiß)  zum 4. Satz aus der Petite Suite nach Jeux d'enfants op. 22, macht José schon sehr deutlich, dass seine Aufmerksamkeit nicht mehr Micaëla gilt. Bei der anschließenden Habanera aus der Carmen-Suite Nr. 2 ist es dann endgültig um ihn geschehen, wenn Carmen ihm in verführerischer Manier die Blume - in diesem Fall ist es eine rote Rose, die sich wie ein roter Faden durch die Beziehung zwischen Carmen und José zieht -  zuwirft. Adeline Pastor überzeugt hierbei durch sehr verführerischen lasziven Tanz.

Anders als in der Oper kommt es nun zu einem Streit zwischen Carmen und Micaëla, der zu Carmens Verhaftung führt. In dem folgenden Pas de deux zur Séguedille  aus der Carmen-Suite Nr. 1 kommt es zu einer innigen Liebesszene zwischen Carmen und José, die sehr klassisch auf Spitze getanzt wird. Wieder spielt die Rose, sowohl in Josés Hand, als auch in bildlicher auf den Bühnenboden projizierten Form, eine wichtige Bedeutung, um einerseits die reine Liebe Josés, andererseits aber auch die Vergänglichkeit in Carmens Gefühlen zu charakterisieren. Die Szene endet mit Josés Degradierung durch Zuniga (Nour Eldesouki), nachdem er die Geliebte freigelassen hat.

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Lillas Pastia (Wataru Shimizu)

Eine größere Bedeutung als in der Oper kommt dem Wirt Lillas Pastia zu. Wataru Shimizu legt zum 3. Satz aus der Petite Suite nach Jeux d'enfants op. 22 eine regelrechte akrobatische Meisterleistung hin, die in starkem Kontrast zu den eher klassischen Auftritten von Carmen, Micaëla und José steht. Mit kraftvollem modernem Ausdruckstanz charakterisiert Shimizu Lillas Pastia als einen sehr wendigen und einflussreichen Drahtzieher der Schmuggler, der auch als Taschendieb sehr erfolgreich ist, wenn er Zuniga unbemerkt das Geld aus der Hosentasche zieht, während Carmen und ihre Freundinnen mit ihm flirten.

Josés Mord an Zuniga wird relativ brutal auf die Bühne gebracht, wobei das Ensemble in einheitlichem Schwarz zunächst die Szene beobachtet, sich dann aber im entscheidenden Moment abwendet und vorgibt, nichts gesehen zu haben. Während die solistischen Leistungen bis zu diesem Zeitpunkt allesamt hervorragend sind, wirkt das Ensemble nicht hundertprozentig synchron, was aber vielleicht beabsichtigt sein mag.

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Carmen (Adeline Pastor) und Escamillo (Armen Hakobyan)

Armen Hakobyan gibt einen sehr schneidigen Escamillo, der mit kraftvollen Sprüngen zum Vorspiel der Oper Carmen durchaus nachvollziehbar macht, dass er auf die Titelfigur eine starke Anziehungskraft ausübt. Im folgenden Pas de deux mit Carmen wird auf klassischen Spitzentanz größtenteils verzichtet, um zu zeigen, dass diese Liebe sich auf einer anderen, rein sexuellen Ebene befindet. Der körperliche Aspekt wird dabei noch durch eine aufgeschnittene Orange betont, die Escamillo mit den Händen über Carmens Mund und ihren Körper ausdrückt. Doch das Schicksal meint es in dieser Inszenierung nicht gut mit dem Torero. Escamillo stirbt beim Stierkampf und sein Leichnam wird zum "Schicksals"-Motiv aus dem Vorspiel der Oper über die Bühne getragen. Carmen ist nun wieder allein, wäre somit frei für José. Erneut stolziert sie durch die auf die Bühne projizierten Karten, dieses Mal gefolgt von José. Die rote Farbe auf dem Boden lässt erneut die Rose erkennen. Aber Carmen hat keine Gefühle mehr für José. So ersticht er die ehemalige Geliebte.

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José (Marat Ourtaev) erweckt Carmen (Adeline Pastor) zu neuem Leben.

Der zweite Teil beginnt mit einer vom Band eingespielten Saeta, einem unbegleiteten flamencoähnlichen Gesang. Carmens Freundinnen trauern wie Klageweiber vor einem weißen Fadenvorhang um die verlorene Freundin. Hinter dem Vorhang flattert ein rotes Tuch im Wind, welches die Erinnerung an Carmen wach hält. Die Bewegungen entsprechen hierbei dem modernen Ausdruckstanz. Im Anschluss hebt sich der Vorhang und Carmens Leichnam wird auf einem riesigen schwarzen Tuch sichtbar, das von dem Ensemble zu dem zweiten Stück aus Wolfgang Rihms vier Stücken für Orchester Das Lesen der Schrift in Wallung gebracht wird. Mal versucht das Ensemble mit dem Tuch Carmens Leichnam zu bedecken, sie folglich zu vergessen, aber sie taucht immer wieder auf. Mal scheint man, sie ins Leben zurückholen zu wollen, wenn sie von unter dem Tuch verborgenen Gestalten hochgehoben wird. Doch alles bleibt sinnlos und leer, wie die Musik Rihms. Doch dann entsteigt dem wallenden Tuch José, wobei seine Erscheinung an den toten Komtur aus Mozarts Don Giovanni erinnert. Er zieht den Dolch aus Carmens Rücken und zu den ersten Takten des Boléro von Ravel scheint Carmen wieder ins Leben zurückzukehren.

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Carmen (Adeline Pastor, oben Mitte), die Unerreichbare (unten: Corps de ballet, auf der Schräge von links: Zuniga (Nour Eldesouki), Micaëla (Yulia Tsoi), Escamillo (Armen Hakobyan), José (Marat Ourtaev) und Lillas Pastia (Wataru Shimizu).

Der nun folgende Boléro wird von Van Cauwenbergh grandios umgesetzt. Carmen tanzt zu Ravels Klängen auf einem Bühnenpodest, das an vier Drahtseilen nach oben gezogen wird und durch Anschrägung suggeriert, dass der Boden sehr wackelig ist. Dennoch bewegt sich Adeline Pastor dem Rhythmus der Musik unbeirrt folgend, wobei von ihren Füßen kleine Lichtpunkte ausgehen, die wie Sand von dem Podest zu fließen scheinen. Je mehr die Lautstärke der Musik ansteigt, desto mehr Tänzer besteigen das Podest und stimmen in Carmens Bewegungen ein. Dabei wirken sie durch einen silbrigen Glanz auf der Haut dem Diesseits entrückt. Bei Zuniga, José, Escamillo und Carmen ist dies nachvollziehbar, bei Micaëla und Lillas Pastia eigentlich nicht. Nachdem sich die sechs Solisten auf dem Podest befinden, wird dieses Podest so weit angehoben, dass nun das Ensemble darunter tanzt. Am Ende wird das Podest zum Bühnenboden angeschrägt und alle versuchen, die in der Mitte befindliche Carmen zu erreichen, die beim Schlussakkord in einem hellen Lichtschein aufleuchtet, der von fließendem Rot umgeben wird, und als einzige oben auf dem Podest bleibt, während alle anderen in die Tiefe rutschen. So wird zum Ende die Einzigartigkeit und Unerreichbarkeit dieser Gestalt noch einmal betont.

Die unter Volker Perplies hervorragend aufspielenden Essener Philharmoniker machen mit einer punktgenauen musikalischen Umsetzung vor allem beim Boléro zusammen mit den grandiosen Solisten den Theaterabend zu einem wahren Ohren- und Augenschmaus, der den großen Applaus des Publikums in jeder Hinsicht verdient hat.


FAZIT

Das Aalto Ballett Theater Essen dürfte mit dieser Produktion Hoffnung haben, den ersten Platz bei der jährlichen Kritikerumfrage in NRW wieder zurückzugewinnen. 


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Volker Perplies

Choreographie
Ben Van Cauwenbergh

Bühne und Bildgestaltung
Dmitrij Simkin

Kostüme
Jérôme Kaplan

Interaktive Videoinstallation
Frieder Weiss

Licht
Bernd Hagemeyer

Dramaturgie
Nils Szczepanski



Essener Philharmoniker


Solisten

Carmen
Adeline Pastor

José
Marat Ourtaev

Micaëla
Yulia Tsoi

Escamillo
Armen Hakobyan

Lillas Pastia
Wataru Shimizu

Zuniga
Nour Eldesouki

Carmens Freundinnen
Yoo-Jin Jang
Ana Sánchez Portales
Maria Lucia Segalin

Corps de ballet
Paula Archangelo
Elisa Fraschetti
Bianka Fucsko
Alena Gorelcikova
Ana Carolina Reis
Michelle Yamamoto
Nwarin Gad
Davit Jeyranyan
Christopher Parker
Simon Schilgen
Dragan Selakovic
Oleksandr Shyryayev
Davit Vardanyan
Igor Volkovskyy






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