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b.08

Streichquartett

Ballett von Martin Schläpfer
Musik von Witold Lutoslawski (Streichquartett)

Two

Ballett von Hans van Manen
Musik von Ferruccio Busoni (Berceuse Elégiaque)

Solo

Ballett von Hans van Manen
Musik von Johann Sebastian Bach (Corrente und Double aus der Partita h-Moll für Violine BWV 1002)

Unleashing the Wolf (Uraufführung)

Ballett von Martin Schläpfer
mit Intermezzi von Regina van Berkel
Musik von Paul Pavey

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (zwei Pausen)

Premiere am 9. April 2011 im Opernhaus Düsseldorf
(rezensierte Aufführung: 28. Mai 2011 im Theater Duisburg - Premiere der Übernahme)


Homepage

Ballett am Rhein / Rheinoper
(Homepage)
Streng kontrollierter Kontrollverlust

Von Stefan Schmöe / Fotos von Gert Weigelt


Vergrößerung Streichquartett: So-Yeon Kim, Yuko Kato, Louisa Rachedi, Nicole Morel, Camille Andriot (Foto © Gert Weigelt)

„Mit Two wollte ich meine ungewissen Gefühle angesichts der Endgültigkeit eines solchen Abschieds ausdrücken: Am Ende schaut der Mann der Frau nach, seiner Mutter, und senkt den Kopf. Er akzeptiert, dass er angesichts des Todes nichts tun kann.“ Man sollte sich von Hans van Manens Kommentar zu dieser1990 für das Nederlands Dans Theater I entstandenen Choreographie Two nicht auf die falsche Fährte setzen lassen: Die zierliche Marlúcia do Amaral wirkt gegenüber dem deutlich größeren und sehr muskulösen Remus Sucheana nun wirklich nicht mütterlich, und Two ist keine romantisierende Abschiedselegie, sondern ein vitales und auch athletisches Tanzstück. Was da zu den fremdartig schönen Klängen von Ferruccio Busonis Berceuse élégique mit dem Untertitel „Des Mannes Wiegenlied am Sarge seiner Mutter“ getanzt wird, ist ein durchaus erotisches und sehr kraftvolles Ringen zwischen Mann und Frau. Noch dynamischer ist das ebenso kurze, 1997 am Nederlands Dans Theater II uraufgeführte Solo zu Musik von Johann Sebastian Bach (die Corrente und deren Double aus der h-Moll-Partita für Solovioline). Wie schon bei Two ist die spartanische Bühne in erster Linie ein Lichtraum (Bühne und Kostüme: Keso Dekker, Licht: Joop Caboort), in dem beim Solo die rasant schnellen Armbewegungen des Tänzers Spuren wie aus Licht zu hinterlassen scheinen. Genau genommen sind es drei Tänzer, die sich wechselseitig ablösen wie in einer Staffette. Sonny Locsin, Alexandre Simões und Maksat Sydykov bewältigen ihr Hochleistungsprogramm mit Atem raubender Intensität und finden sicher den Grat zwischen der eigenen Tänzerpersönlichkeit und der Einordnung in den Rotationsprozess.


Vergrößerung

Two: Remus S,ucheana(, Marlúcia do Amaral (Foto © Gert Weigelt)

Obwohl Two und Solo unabhängig voneinander und mit sieben Jahren Abstand entstanden sind, bilden diese beiden Miniaturen als Doppel eine Einheit und den Mittelteil des Tanzabends b.08. Eingerahmt sind sie von zwei Arbeiten des Hausherrn Martin Schläpfer. Vom Staffettenwechsel aus Solo gehen Verbindungslinien zum Streichquartett (nämlich dem von Witold Lutoslawski aus dem Jahr 1964, leider vom Band eingespielt). Entsprechend der in Abschnitte unterteilten Musik (die innerhalb dieser Abschnitte aleatorisch frei ist) lösen sich auf der Bühne große und kleine Formen ab, wobei die jeweils nächste Formation bereits im Hintergrund sichtbar Aufstellung nimmt, den Staffettenwechsel erwartet. Das erinnert durchaus an große „klassische“ Ballettdramaturgie, und es wird auch immer wieder auf Spitze getanzt. Der in der Musik vorgezeichnete Diskurs zwischen Struktur und Freiheit findet in Schläpfers souveräner Tanzsprache ihr abstraktes Gegenstück. Ob man in Lutoslawskis Musik wirklich eine „katastrophenartige Gesamtatmosphäre“ heraushört, wie im Programmheft angemerkt ist (was wiederum auf die Todesnähe der Musik von Two verweisen könnte), sei dahin gestellt; man kann die 2005 am balletmainz entstandene Choreographie auch ohne diese leicht romantisierende Sicht wegen ihrer Eleganz bewundern. Die ziemlich unerotischen grauen Einheitsbodies, die den Tänzerinnen und Tänzern etwas Androgynes verleihen, und die nur durch gestaffelt herab hängenden Tanzboden strukturierte Bühne sprechen eher für eine formale, tanzimmanente Sichtweise.


Vergrößerung Solo: Sonny Locsin, Maksat Sydykov, Alexandre Simões (Foto © Gert Weigelt)

Der letzte, mit 50 (kurzen) Minuten längste Teil Unleashing the Wolf ist eine Uraufführung (die Premiere war vor einigen Wochen in Düsseldorf, die hier besprochene Vorstellung ist die Übernahme-Premiere am Duisburger Haus der Rheinoper). Die Musik stammt von Paul Pavey, der schon mehrfach Auftragswerke für Martin Schläpfer komponiert hat, u.a. auch 3 im Tanzabend b.05 (unsere Rezension). Pavey spielt seine Musik für drei Pauken, allerlei Schlaginstrumente, Flügel, Stimme und Elektronik live. Oft auf wenige Töne und Tonschritte reduziert, hat diese Musik etwas zurückhaltend Archaisches, ist dabei spannungsgeladen, ohne zur vollständigen Entladung zu kommen. Dominierten vorher kühle graublaue Farbtöne, so ist die von drei Wänden wie ein Ballett- oder Ballsaal eingefasste Bühne (die Schläpfer selbst entworfen hat) durch Boden und Beleuchtung in Rottönen gehalten. Die Kostüme (Marie Thérèse Jossen) bestehen aus braunen Korsagen, hier (ganz anders als im Streichquartett deutlich nach Frau und Mann unterschieden. Die auf Brusthöhe verrutschten Tutus geben den Tänzerinnen das Aussehen fremdartiger Vögel, unwirklich vampirhaft durch die dunkel eingefärbten Augenhöhlen. Pavey sitzt mit seinem Instrumentarium am Ende des Raums auf einem Podium, als wolle er gleich einer Kapelle zum Tanztee (oder doch im Zirkus zur Wolfsnummer?) aufspielen. Auf den Wänden stecken Pfähle mit pelzartigen Gebilden auf der Spitze wie Trophäen, und Schafspelze werden auch als Requisiten genutzt.


Vergrößerung

Unleashing the Wolf: Jackson Carroll, Camille Andriot, Sonny Locsin (Foto © Gert Weigelt)

Die Choreographie (in die sich mehrere von Regina van Berkel choreographierte Intermezzi organisch, aber ohne nennenswerten Effekt einfügen) hat viel stärker als in den anderen Stücken des Abends narrative Elemente, kleine Aktionen und Ereignisse, oft auch am Rand der Bühne. Ganz kleine, oft nur angedeutete oder nur erahnbare Geschichten werden erzählt. Es geht viel um die Beziehung zwischen Mann und Frau (was auf Two zurück verweist. Manches kann man als kleine Referenz an Pina Bauschs Tanztheater deuten. Dann wieder wird man an die Archaik von Strawinskys Sacre du printemps erinnert. Das alles ist weniger streng choreographiert als das Streichquartett, wirkt mitunter fast verspielt, dabei ungeheuer phantasievoll. Trotz seiner Assoziationsvielfalt und der riesigen Bandbreite der tänzerischen Mittel verläuft die Choreographie in sehr stark kontrollierten Bahnen. Den Wolf von der Leine lassen – so in etwa die Übersetzung des Titels – das mag der Subtext sein, zur Entfesselung lassen es weder Paveys Musik noch Schläpfers Tanz kommen. Nicht zuletzt die bestechende Eleganz und kraftvolle Geschmeidigkeit des Ensembles machen den Abend zum Ereignis. Großer Jubel beim Duisburger Publikum.


FAZIT
Einmal mehr ein höchst intensiver Abend von Martin Schläpfers Ballett am Rhein mit einer klugen Dramaturgie, die die Arbeiten von Hans van Manen und Martin Schläpfer spannungsvoll gegeneinander setzt.


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Produktionsteam

Streichquartett

Choreographie
Martin Schläpfer (2005)

Bühne und Kostüme
Thomas Ziegler

Kostüme
Marie-Thérèse Jossen

Licht
Volker Weinhardt

Einstudierung
Kerstin Feig

Tänzerinnen und Tänzer

Sachika Abe
Marlúcia do Amaral
Camille Andriot
Mariana Dias
Carolina Francisco Sorg
Yuko Kato
So-Yeon Kim
Nicole Morel
Louisa Rachedi
Julie Thirault
Christian Bloßfeld
Andriy Boyetskyy
Martin Chaix
Helge Freiberg
Antoine Jully
Bogdan Nicula
Ordep Rodriguez Chacon
Remus Sucheana
Pontus Sundset
Maksat Sydykov

Solo

Choreographie
Hans van Manen (1997)

Bühne und Kostüme
Keso Dekker

Licht
Joop Caboort

Einstudierung
Mea Venema


Tänzerinnen und Tänzer

Marlúcia do Amaral
Remus Sucheana

Two

Choreographie
Hans van Manen (1990)

Bühne und Kostüme
Keso Dekker

Licht
Joop Caboort

Einstudierung
Brigitte Martin


Tänzerinnen und Tänzer

Sonny Locsin
Alexandre Simões
Maksat Sydykov

Unleashing the Wolf

Choreographie
Martin Schläpfer
Intermezzi von Regina van Berkel

Musik
Paul Pavey

Bühne
Martin Schläpfer
Umsetzung: Darko Petrovic

Kostüme
Marie-Thérèse Jossen

Licht
Volker Weinhardt


Tänzerinnen und Tänzer

Sachika Abe
Ann-Kathrin Adam
Marlúcia do Amaral
Camille Andriot
Aisha L. Arechaga
Doris Becker
Wun Sze Chan
Mariana Dias
Feline van Dijken
Ana Djordjevic
Carolina Francisco Sorg
Cristina Garcia Fonseca
Carrie Johnson
Yuko Kato
So-Yeon Kim
Nicole Morel
Louisa Rachedi
Daniela Svoboda
Julie Thirault
Anna Tsybina Christian Bloßfeld
Andriy Boyetskyy
Jackson Carroll
Martin Chaix
Florent Cheymol
Helge Freiberg
Niels Funke
Philip Handschin
Antoine Jully
Sonny Locsin
Bogdan Nicula
Chidozie Nzerem
Sascha Pieper
Boris Randzio
Ordep Rodriguez Chacon
Alexandre Simões
Remus Sucheana
Pontus Sundset
Maksat Sydykov



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Rheinoper
(Homepage)



Da capo al Fine

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