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Streng kontrollierter Kontrollverlust
Von Stefan Schmöe / Fotos von Gert Weigelt
Mit Two wollte ich meine ungewissen Gefühle angesichts der Endgültigkeit eines solchen Abschieds ausdrücken: Am Ende schaut der Mann der Frau nach, seiner Mutter, und senkt den Kopf. Er akzeptiert, dass er angesichts des Todes nichts tun kann. Man sollte sich von Hans van Manens Kommentar zu dieser1990 für das Nederlands Dans Theater I entstandenen Choreographie Two nicht auf die falsche Fährte setzen lassen: Die zierliche Marlúcia do Amaral wirkt gegenüber dem deutlich größeren und sehr muskulösen Remus Sucheana nun wirklich nicht mütterlich, und Two ist keine romantisierende Abschiedselegie, sondern ein vitales und auch athletisches Tanzstück. Was da zu den fremdartig schönen Klängen von Ferruccio Busonis Berceuse élégique mit dem Untertitel Des Mannes Wiegenlied am Sarge seiner Mutter getanzt wird, ist ein durchaus erotisches und sehr kraftvolles Ringen zwischen Mann und Frau. Noch dynamischer ist das ebenso kurze, 1997 am Nederlands Dans Theater II uraufgeführte Solo zu Musik von Johann Sebastian Bach (die Corrente und deren Double aus der h-Moll-Partita für Solovioline). Wie schon bei Two ist die spartanische Bühne in erster Linie ein Lichtraum (Bühne und Kostüme: Keso Dekker, Licht: Joop Caboort), in dem beim Solo die rasant schnellen Armbewegungen des Tänzers Spuren wie aus Licht zu hinterlassen scheinen. Genau genommen sind es drei Tänzer, die sich wechselseitig ablösen wie in einer Staffette. Sonny Locsin, Alexandre Simões und Maksat Sydykov bewältigen ihr Hochleistungsprogramm mit Atem raubender Intensität und finden sicher den Grat zwischen der eigenen Tänzerpersönlichkeit und der Einordnung in den Rotationsprozess. Two: Remus S,ucheana(, Marlúcia do Amaral (Foto © Gert Weigelt) Obwohl Two und Solo unabhängig voneinander und mit sieben Jahren Abstand entstanden sind, bilden diese beiden Miniaturen als Doppel eine Einheit und den Mittelteil des Tanzabends b.08. Eingerahmt sind sie von zwei Arbeiten des Hausherrn Martin Schläpfer. Vom Staffettenwechsel aus Solo gehen Verbindungslinien zum Streichquartett (nämlich dem von Witold Lutoslawski aus dem Jahr 1964, leider vom Band eingespielt). Entsprechend der in Abschnitte unterteilten Musik (die innerhalb dieser Abschnitte aleatorisch frei ist) lösen sich auf der Bühne große und kleine Formen ab, wobei die jeweils nächste Formation bereits im Hintergrund sichtbar Aufstellung nimmt, den Staffettenwechsel erwartet. Das erinnert durchaus an große klassische Ballettdramaturgie, und es wird auch immer wieder auf Spitze getanzt. Der in der Musik vorgezeichnete Diskurs zwischen Struktur und Freiheit findet in Schläpfers souveräner Tanzsprache ihr abstraktes Gegenstück. Ob man in Lutoslawskis Musik wirklich eine katastrophenartige Gesamtatmosphäre heraushört, wie im Programmheft angemerkt ist (was wiederum auf die Todesnähe der Musik von Two verweisen könnte), sei dahin gestellt; man kann die 2005 am balletmainz entstandene Choreographie auch ohne diese leicht romantisierende Sicht wegen ihrer Eleganz bewundern. Die ziemlich unerotischen grauen Einheitsbodies, die den Tänzerinnen und Tänzern etwas Androgynes verleihen, und die nur durch gestaffelt herab hängenden Tanzboden strukturierte Bühne sprechen eher für eine formale, tanzimmanente Sichtweise. Solo: Sonny Locsin, Maksat Sydykov, Alexandre Simões (Foto © Gert Weigelt)
Der letzte, mit 50 (kurzen) Minuten längste Teil Unleashing the Wolf ist eine Uraufführung (die Premiere war vor einigen Wochen in Düsseldorf, die hier besprochene Vorstellung ist die Übernahme-Premiere am Duisburger Haus der Rheinoper). Die Musik stammt von Paul Pavey, der schon mehrfach Auftragswerke für Martin Schläpfer komponiert hat, u.a. auch 3 im Tanzabend b.05 (unsere Rezension). Pavey spielt seine Musik für drei Pauken, allerlei Schlaginstrumente, Flügel, Stimme und Elektronik live. Oft auf wenige Töne und Tonschritte reduziert, hat diese Musik etwas zurückhaltend Archaisches, ist dabei spannungsgeladen, ohne zur vollständigen Entladung zu kommen. Dominierten vorher kühle graublaue Farbtöne, so ist die von drei Wänden wie ein Ballett- oder Ballsaal eingefasste Bühne (die Schläpfer selbst entworfen hat) durch Boden und Beleuchtung in Rottönen gehalten. Die Kostüme (Marie Thérèse Jossen) bestehen aus braunen Korsagen, hier (ganz anders als im Streichquartett deutlich nach Frau und Mann unterschieden. Die auf Brusthöhe verrutschten Tutus geben den Tänzerinnen das Aussehen fremdartiger Vögel, unwirklich vampirhaft durch die dunkel eingefärbten Augenhöhlen. Pavey sitzt mit seinem Instrumentarium am Ende des Raums auf einem Podium, als wolle er gleich einer Kapelle zum Tanztee (oder doch im Zirkus zur Wolfsnummer?) aufspielen. Auf den Wänden stecken Pfähle mit pelzartigen Gebilden auf der Spitze wie Trophäen, und Schafspelze werden auch als Requisiten genutzt. Unleashing the Wolf: Jackson Carroll, Camille Andriot, Sonny Locsin (Foto © Gert Weigelt)
Die Choreographie (in die sich mehrere von Regina van Berkel choreographierte Intermezzi organisch, aber ohne nennenswerten Effekt einfügen) hat viel stärker als in den anderen Stücken des Abends narrative Elemente, kleine Aktionen und Ereignisse, oft auch am Rand der Bühne. Ganz kleine, oft nur angedeutete oder nur erahnbare Geschichten werden erzählt. Es geht viel um die Beziehung zwischen Mann und Frau (was auf Two zurück verweist. Manches kann man als kleine Referenz an Pina Bauschs Tanztheater deuten. Dann wieder wird man an die Archaik von Strawinskys Sacre du printemps erinnert. Das alles ist weniger streng choreographiert als das Streichquartett, wirkt mitunter fast verspielt, dabei ungeheuer phantasievoll. Trotz seiner Assoziationsvielfalt und der riesigen Bandbreite der tänzerischen Mittel verläuft die Choreographie in sehr stark kontrollierten Bahnen. Den Wolf von der Leine lassen so in etwa die Übersetzung des Titels das mag der Subtext sein, zur Entfesselung lassen es weder Paveys Musik noch Schläpfers Tanz kommen. Nicht zuletzt die bestechende Eleganz und kraftvolle Geschmeidigkeit des Ensembles machen den Abend zum Ereignis. Großer Jubel beim Duisburger Publikum.
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ProduktionsteamStreichquartett
Choreographie
Bühne und Kostüme
Kostüme
Licht
Einstudierung Tänzerinnen und TänzerSachika AbeMarlúcia do Amaral Camille Andriot Mariana Dias Carolina Francisco Sorg Yuko Kato So-Yeon Kim Nicole Morel Louisa Rachedi Julie Thirault Christian Bloßfeld Andriy Boyetskyy Martin Chaix Helge Freiberg Antoine Jully Bogdan Nicula Ordep Rodriguez Chacon Remus Sucheana Pontus Sundset Maksat Sydykov Solo
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