Spritzige Offenbachiade in Dortmund
Von Ursula
Decker-Bönniger /
Fotos von Thomas M. Jauk / Stage Pictures
Lustig, unterhaltend und amüsant müsse die opéra
bouffe bzw. comique sein und der Text dürfe nicht nach bitterem
Zola und die Musik nach schwermütigem Brahms riechen,
forderte Offenbach in den 1860er Jahren anlässlich einer seiner
Meinung nach missratenen Aufführung der „Périchole“ in
Deutschland.
Vermutlich hätte er an dieser gefälligen, phantasievollen und
spielfreudigen Dortmunder Neuinszenierung der Operette Barbe bleue
seine Freude gehabt.
Noch bevor sich der Vorhang lüftet und
das Spiel beginnt, taucht man in das Operetten verrückte Paris der
2. Hälfte des 19. Jahrhunderts ein, wird uns ein prunkvolles,
jugendstilartiges Bühnenportal mit Eisenkonstruktion und Symbolen
der Vergänglichkeit, mit gerafftem, rotsamtig leuchtendem Vorhang
vor Augen geführt.
1866 im Théâtre des Variétés erfolgreich
uraufgeführt, greifen Offenbach und sein geniales Autorengespann
Henri Meilhac und Ludovic Halévy die Frauen mordende
Schauermärchengestalt vom Ritter Blaubart auf und verkehren seine
dämonische Ausstrahlung ins Gegenteil und machen einem
demokratischen Lebensgefühl Platz: zum Beispiel will der
unersättliche Schürzenjäger Blaubart mit der Heirat des
Bauernmädchens Boulotte die Epoche einleiten, wo „Palast und
Hütte“ miteinander verschmelzen. Buckelnde Höflinge werden
satirisch beleuchtet, Boulotte aber auch Königin Clémentine
schockieren mit ihrem Etikette missachtenden, rebellischen Benehmen den
Hofstaat. Blaubart lässt seine Schönen vergiften, König
Bobèche die Verehrer seiner selbstbewussten Gemahlin
Clémentine ermorden. Da weder Graf Oscar, noch der Alchimist im
Dienste Blaubarts sich an die Anordnungen halten, sondern ihre eigenen
Machtinteressen verfolgen, verabreicht Popolani den Frauen zwar Gift,
erweckt die vermeintlich Toten jedoch mittels Elektrizität wieder
zum Leben.
Graf
Oscar (Hans Werner Bramer, links) und Popolani (Christian Tschelebiew,
rechts).
Zwischen Rocky-Horror-Picture-Show, Addams
Family und Frankenstein inszenieren Leistenschneider und ihr
Produktionsteam die opéra comique Barbe Bleue wie eine
spielfreudige, auf das Verständnis des Originals angelegte
Offenbachiade, keine Politsatire. Die Dialoge und Liedtexte werden bis
auf einige Refrains in einer sprachlich ansprechenden, modernisierten,
deutschen Fassung dargeboten, die Albernheiten der Figuren durch
süße, französische bzw. englische
Akzentfärbungen unterstrichen, mit lokalpatriotischen Wendungen
gewürzt und musikalisch aufgepäppt, wenn es grotesk
komischer Wirkung dienlich ist.
So trällert die sinnenfrohe Boulotte in freudiger Erwartung ihrer
Liebesnacht mit Blaubart ein flottes „I wanna be loved by you“,
während sie nichts Böses ahnend in die Friedhofstiefen
hinabsteigt. Sie stellt gutgläubig Hypothesen besonderer sexueller
Vorlieben auf, bevor ihr Schritt für Schritt die nahende
Ermordung bewusst wird.
Geschickt werden den Klängen des Orchesters in der ersten Szene,
eine gelungene Satire auf das klassische Schäferspiel, zartes
Blöken, Muhen und Kikeriki vom Band beigemischt, bevor
Vogelrufmotive in der Komposition selbst motivisch aufgegriffen werden.
Und während das Mutterschaf erwartungsvoll mit dem Fernrohr aus
dem Wohnwagenfenster ins Publikum blickt, verlässt Schäfer
bzw. Prinz Saphir als blonder Elvis in rosa Hemd und hellblauem
Seidenhosenanzug die bescheidene Hütte, um sich mit seiner
Fleurette, seinem „Mon chéri“ zu vergnügen....
Königin
Clémentine (Johanna Schoppa), König Bobèche (Hannes Brock), Hermia (Anke
Briegel) und Prinz Saphir (Stefan Boving)
Im Unterschied zum Original wird der Dortmunder Blaubart von einem
nächtlichen Friedhofsvorspiel eingeleitet. Angeführt vom
Alchimisten Popolani beweinen zunächst zu den Klängen von
Chopins Trauermarsch für Banjo und Kazoo eine Trauergemeinde und
ein mit schwarzem Gehrock und Zylinder ausgestatteter Blaubart den
„rätselhaften“ Tod seiner 5. Frau. Anschließend – vor der
eigentlichen Ouvertüre - folgt die im Original lange
hinausgezögerte Auftrittsarie Blaubarts, des „tönenden
Pfauenrads mit Trauerrand“. Sie beginnt mit einem pathetisch tragischen
Bläser-Lamento und kippt blitzartig in lustige
Revue-Atmosphäre. Dazu flackert ein Strahlenkranz aus
Glühbirnen im Takt. Der Freude am Grotesken und Makabren wird mit
neckischen Tanzbewegungen und Hüftschwüngen Ausdruck
verliehen.
Bei solch hintersinniger Situationskomik, anderen augenzwinkernden
Regieeinfällen, schrägen, skurrilen Requisiten und bis auf
Blaubart wechselnden, phantasievollen Kostümen – z.B. König
Bobèche als blonde Louis XIV-Imitation in wallenden, pink bzw.
lila farbenen, liliengemustertem Gewande - gibt es viel zu sehen,
zu schmunzeln und zu lachen. Und das Premierenpublikum machte reichlich
Gebrauch davon.
Einziges Problem ist die Platzierung des Orchesters. Warum entschied
man sich, die Musiker nicht im Orchestergraben zu belassen, sondern sie
fernab vom Publikum, hinten auf der Bühne zu platzieren - zwischen
einem dem Spiel vorbehaltenen vorderen Bereich und dem den jeweiligen
Schauplatz spezifizierenden Bühnenprospekt? Das führte,
zumindest am Premierenabend, zu akustischen Problemen und kleinen
Abstimmungsschwierigkeiten. In den Ensembleszenen war die spritzig
leichte, tänzerische Orchestermusik in der 11. Parkettreihe kaum
zu hören.
Unter der musikalischen Leitung Lancelot Fuhrys agieren Solisten und
die verschiedenen Chorensembles spritzig und spielfreudig. Musikalisch
überzeugt das Solistenensemble der vermeintlich toten Ehefrauen
Blaubarts und vor allem der Opernchor durch seine homogene, rhythmisch
präzise, dynamisch differenzierte, textverständlich
artikulierende Darbietung.
Craig Bermingham gibt einen schlank geführten, geschmeidigen
Blaubart, dessen Stimme sich jedoch – zumindest an diesem Abend - in
den höheren Lagen nicht genug öffnete. Vera Semieniuk ist
eine sinnenfreudige, textverständlich singende, mit dramatischen
Koloraturen ausgestattete Boulotte, Christian Tschelebiew ein gewitzter
Alchimist Poplani. Hannes Brock stellt einen kindischen, herrlich
grimassierenden, selbstverliebten König Bobèche dar. Hans
Werner Brahmer ist der ob der Sitten bei Hofe leicht verstörte,
englische Kammerherr des Königs. Johanna Schoppa präsentiert
eine selbstbewusste Clémentine mit Spitzentönen von
leichter Hand. Schauspielerisch und sängerisch überzeugen
auch Anke Briegel als Fleurette bzw. Prinzessin Hermia sowie Stephan
Boving als Daphnis bzw. Prinz Saphir.
FAZIT
Ein
spielfreudiges, amüsantes Theatervergnügen für dunkle
Januartage.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Lancelot Fuhry
Inszenierung
Anette Leistenschneider
Bühne
Christian Floeren
Kostüme
Ulrike Kremer
Lichtgestaltung
Stefan Schmidt
Choreinstudierung
Granville Walker
Dramaturgie
Verena Harzer
Choreographie
Adriana Naldoni
Statisterie des Theater Dortmund
Opernchor des
Theater Dortmund
Dortmunder Philharmoniker
Solisten
Ritter Blaubart
Craig Bermingham
Boulotte
Vera Semieniuk
König Bobèche
Hannes Brock
Königin Clémentine
Johanna Schoppa
Daphnis/Prinz Saphir
Stephan Boving
Fleurette/Hermia
Anke Briegel
Graf Oscar
Hans Werner Bramer
Popolani
Christian Tschelebiew
Alvarez
Johannes Knecht
Eloise
Lusine Ghazaryan
Rosalinde
Vera Fischer
Blanche
Renate Höhne
Eléonore
Natascha Valentin-Hilscher
Isaure
Maria Hiefinger
Kuh Babybell
Adriana Naldoni
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