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Musiktheater
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Körper. Tanzen. Formen

Choreographien von George Balanchine, Benjamin Millepied
und William Forsythe

Rubies
Choreographie von George Balanchine, Musik von Igor Strawinsky

Sarabande
Choreographie von Benjamin Millepied, Musik von Johann Sebastian Bach

The Second Detail
Choreographie von William Forsythe, Musik von Thom Willems

Aufführungsdauer: ca. 1h 40' (zwei Pausen)

Premiere im Opernhaus Dortmund am 26. März 2011
(rezensierte Aufführung: 21.04.2011) 


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Theater Dortmund
(Homepage)
Gang durch die Geschichte des modernen Tanzes

Von Thomas Molke / Fotos von Bettina Stöß (Stage Pictures)

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Barbara Melo Freire und Arsen Azatyan beim Pas de deux in Rubies.

Das Ballett Hagen und das Ballett Dortmund haben vieles gemeinsam. Beide verfügen über ein hoch motiviertes Ensemble, das den drohenden finanziellen Kürzungen bis hin zum Damokles-Schwert der Spartenschließung ein sehr hohes tänzerisches Niveau entgegensetzt. Des Weiteren haben beide das Glück einen sehr ambitionierten Ballettdirektor zu besitzen, der zum einen großen Zuspruch beim Publikum genießt, zum anderen durch ein sehr breit gefächertes Programm die Notwendigkeit der Ballettsparte in beiden Städten unterstreicht. In dieser Spielzeit haben sich sowohl Ricardo Fernando, als auch Xin Peng Wang - wahrscheinlich unabhängig voneinander - entschieden, mit einem dreiteiligen Ballettabend anderer Choreographen ihrem Ensemble die Möglichkeit zu geben, neue Tanzstile und andere Arbeitsweisen kennen zu lernen und somit ihr Repertoire zu erweitern. Während Ricardo Fernando in Hagen mit seinem Ballettabend drei-mal-tanz Uraufführungen beziehungsweise eine Produktion des 21. Jahrhunderts präsentiert, macht Xin Peng Wang gewissermaßen einen Gang durch die Geschichte des modernen Tanzes des 20. und 21. Jahrhunderts, wenn er mit drei großen Werken von George Balanchine, Benjamin Millepied und William Forsythe die verschiedenen Strömungen und Auswirkungen auf den Tanz des 21. Jahrhunderts vor Augen führt.

Der Abend beginnt mit dem Wegbereiter der modernen Tanzkunst: George Balanchine. 1967 kreierte er das abstrakte dreiteilige Ballett Jewels, mit dem er beabsichtigte, die Vitalität der Musik auf die Möglichkeiten des menschlichen Körpers zu übertragen, so dass jede Bewegung zum Morsezeichen eines inneren Monologs zwischen dem Ausführenden und der Musik wird. Aus diesem Werk wird der zweite Teil präsentiert, der sich dem Mineral widmet, das schon wegen seiner leuchtenden roten Farbe als Stein des Lebens und der Liebe gilt. Die musikalische Grundlage ist Igor Strawinskys Capriccio für Klavier und Orchester, das leider nur vom Band eingespielt wird und mit einem gewissen Rauschen den Genuss ein wenig beeinträchtigt.

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Bojana Nenadovic Otrin (Mitte) mit dem Ensemble in Rubies.

Wenn der Vorhang sich hebt, prangt ein überdimensionaler Rubinstein im Bühnenhintergrund, vor dem 13 Tänzerinnen und Tänzer in ebenfalls rubinrot glitzernden Kostümen in nahezu klassischer Ballettpose aufgestellt sind. Diese opulente Kostümierung ist wohl einerseits dem Geschmack des Broadways geschuldet, dem Balanchine bei allen Neuerungen in seiner Zeit in New York nicht völlig ausweichen konnte. Andererseits passt sie aber auch hervorragend zum Titel gebenden Stein. Der nun folgende Tanz ist trotz Spitze alles andere als klassisch, wobei die Homogenität und die Akkuratesse des Ensembles, das in vier Dreiergruppen, bestehend aus zwei Frauen und einem Mann, tanzt, ausdrücklich hervorzuheben ist. Risa Tateishi zeigt ein hervorragendes Solo mit großer Eleganz und kraftvollen Sprüngen. Svetlana Robos und Adrian Robos präsentieren im Anschluss ein Pas de deux, das die bekannte Form sprengt, indem es inhaltsbefreit einfach der eruptiven Spontaneität der Musik folgt und daher bei aller ästhetischen Schönheit doch eher unkonventionell wirkt. Ein direkter Handlungsstrang lässt sich in diesem Teil nicht verfolgen, versucht man doch lediglich, auf experimentelle Art der Faszination des leuchtenden Edelsteins Schritt für Schritt nachzuspüren.

Nach der Pause folgt die 2009 für vier Tänzer choreographierte Sarabande von Benjamin Millepied, die dieser Mikhail Baryshnikov gewidmet hat. Als Musik wählte Millepied Auszüge aus den Sonaten und Partiten für Violine Solo von Johann Sebastian Bach, die gänzlich auf eine Begleitung verzichten und von Shinkyung Kim live auf der Bühne präsentiert werden. Warum ihre Violine dabei verstärkt werden muss, ist diskutabel. Als nämlich nach leichten technischen Störungen im vierten Teil die Lautsprecher kurzzeitig ausfallen und die Violine in ihrer natürlichen Lautstärke erklingt, hat man nicht das Gefühl, dass die Solovioline als Begleitung für den Tanz komplett ohne technische Verstärkung zu leise gewesen wäre.

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Sergio Carecci (links) und Howard Lopez Quintero in der Corrente, dem zweiten Teil der Sarabande.

Die von Jason Fowler einstudierte Choreographie - Millepied ist für diese Produktion nicht nach Dortmund gekommen - besteht aus einer fünfteiligen Tanzfolge. Es beginnt mit dem 3. Satz der Sonata für Violine Solo Nr. 2, Andante. Luke Forbes, Eugeniu Cilenco und Philip Woodman schleichen langsam zu der Musik hintereinander im Takt auf die Bühne. Gelegentliche Berührungen werden durchbrochen. Allmählich wird das Tempo etwas schneller und die drei Tänzer treten in Interaktion, ohne dabei aber direkt zueinander zu finden. So bleibt jeder der Tänzer genauso allein, wie das Musikinstrument, das auf jegliche Begleitung verzichtet. Es folgen nun der 3., 5. und 6. Satz aus der Partita für Violine solo Nr. 1. Zunächst präsentieren Luke Forbes und Philip Woodman eine Corrente, einen Barocktanz, der mit seinen verspielt trotzigen Synkopen sehr lebensbejahend wirkt. Als Mittelstück folgt die Sarabande, dargeboten von Eugeniu Cilenco. Mit sehr biegsamen und unkonventionellen Bewegungen macht Cilenco deutlich, dass die Sarabande unter den Tänzen des Barock die wohl rätselhafteste und geheimnisvollste ist. Jede Bewegung kommt in gewisser Weise überraschend und unerwartet, so dass man diesen Tanz gar nicht richtig einordnen kann. Das Tempo erhöht sich in dem folgenden Double. Philip Woodman wirbelt über die Bühne, wobei seine Bewegungen im Gegensatz zur Bach-Musik sehr deutlich dem Modern Dance verhaftet sind. Nach diesem Teil schließt der 4. Satz aus der Sonata für Violine solo Nr. 1 das Werk ab. In einem Presto wird das Tempo noch einmal erhöht. Wie die Musik nimmt auch die Anzahl der Tänzer zu. Während erst Mark Radjapov ein kraftvolles Solo tanzt, wird er von Philip Woodman und Luke Forbes abgelöst, bis am Schluss alle vier Tänzer wieder auf der Bühne vereint sind, wobei sie aber keine Einheit bilden, sondern jeder allein für sich stehen, wie die Violine, die diesen Teil begleitet hat.

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Adrian Robos und Alessandra Spada mit dem Ensemble in The Second Detail.

Nach der zweiten Pause folgt die 1991 entstandene Kreation The Second Detail von William Forsythe, der von 1984 an 20 Jahre lang das Ballett der Frankfurter Oper  nachhaltig prägte. In Zusammenarbeit mit dem 1955 geborenen niederländischen Komponisten Thom Willems schuf Forsythe ein Werk von Ordnungen, die in sich selbst schon den Keim ihrer Auflösung bergen, und Bewegungen, die zu Raumvermessungen werden und den Körper gegen den vermessenen Raum setzen; kurz: ein Plädoyer für die Freiheit. Dazu schafft Forsythe einen weißen Einheitsraum, der in sich abgeschlossen erscheint und optisch an einen Proberaum für Tänzer erinnert. An der Rückwand stehen mehrere Hocker, auf denen die Tänzer bisweilen Platz nehmen und den Tanzenden bei ihren Ausführungen zuschauen. Die Tänzerinnen und Tänzer sind in weiß-graue Kostüme gekleidet, die sich farblich kaum vom Bühnenhintergrund abheben und somit eine Verschmelzung mit dem Raum symbolisieren könnten. Zu den eigens für diese Choreographie komponierten Klängen von Thom Willems bewegen sich die Tänzer punktgenau und energiegeladen, so dass eine Symbiose zwischen Rhythmus und Bewegung stattfindet. Der Tanz ist sehr ausdrucksstark, auch wenn oder gerade weil er sich jeder Einordnung vehement widersetzt. Die Bewegungen wirken teilweise sehr reflexartig und spiegeln die Erfahrungen wider, die der Körper im Lauf seines Bestehens und Funktionierens mit sich und der Welt macht. Nachdem der Rhythmus immer eindringlicher geworden ist und plötzlich alle Tänzer bis auf zwei zusammengebrochen sind, scheint der Abend schon fast vorbei. Aber der Rhythmus setzt erneut ein. Die liegenden Tänzer werden zu neuem Leben erweckt und tanzen weiter. Im Hintergrund erscheint eine Frau in einem leuchtend weißen Kostüm, das sich farblich vom Hintergrund und den anderen abhebt. Begehrt da jemand gegen die bestehende Ordnung auf? Am Ende fällt auch sie, und völlig unvermittelt verharren die anderen Figuren in ihrer Position. Das Licht verlischt.

Bleibt am Ende nur noch die Bedeutung des Titels des Ballettabends zu klären. Zum einen deuten die drei Begriffe sicherlich auf die Dreiteiligkeit des Abends hin. Zum anderen drücken sie aber auch genau das aus, was im Zentrum dieses Ballettabends steht: das Wechselspiel von Körpern, Räumen und Formen. Welche Möglichkeiten hat der Mensch heute, seinen Lebensraum zu gestalten? Lebt er in festgefahrenen Formen oder kann er sich aus diesen befreien? Schafft es der Tanz, diese Formen zu durchbrechen? Mit diesen Fragen stellt Xin Peng Wang mit den drei ausgewählten Choreographien ein spannendes Tanzerlebnis zusammen, das vom Publikum mit frenetischem Beifall bedacht wird.

 

FAZIT

Ein sehr lehrreicher und interessanter Blick auf drei Stationen der Geschichte des modernen Tanzes. Mit Spannung kann schon das Projekt der nächsten Spielzeit Körper: Tanzen. Lieder erwartet werden.


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Produktionsteam

 

Rubies

Choreographie
George Balanchine

Einstudierung
Nanette Glushak

Tänzerinnen und Tänzer

*Besetzung der rezensierten Aufführung

*Svetlana Robos /
Barbara Melo Freire
*Adrian Robos /
Arsen Azatyan

Bojana Nenadovic Otrin /
*Risa Tateishi /
Esther Perez Samper

Jelena-Ana Stupar
Sayo Yoshida
Emilie Nguyen
Alessandra Spada
Jelena Grjasnowa
Eveline Drummen
Kerry-Anne O'Brien
Madeleine White

*Eugeniu Cilenco /
Yuri Polkovodtsev
*Sergio Carecci /
Luke Aaron Forbes
*Andrei Morariu /
Tomoaki Nakanome
*Howard Lopez Quintero /
Christian Tarcea

 

Sarabande

Choreographie
Benjamin Millepied

Lichtdesign
Rick Murray

Kostüme
Jula Reindell

Einstudierung
Jason Fowler

Violine
*Shinkyung Kim /
Alexander Prushinskiy

Tänzer

*Besetzung der rezensierten Aufführung

Howard Lopez Quintero /
*Luke Forbes
Tomoaki Nakanome /
*Eugeniu Cilenco
Sergio Carecci /
*Philip Woodman
Andrei Morariu /
*Mark Radjapov

 

The Second Detail

Choreographie
William Forsythe

Bühnenbild und Lichtdesign
William Forsythe

Kostüme
Issey Miyake

Einstudierung
Noah Gelber

Tänzerinnen und Tänzer

*Besetzung der rezensierten Aufführung

Esther Perez Samper /
*Eveline Drummen
Risa Tateishi / Emilie Nguyen /
*Anudari Nyamsuren
Jelena-Ana Stupar /
*Barbara Melo Freire /
Sayo Yoshida
Svetlana Robos / *Sayo Yoshida
Alessandra Spada /
*Madeleine White
Emilie Nguyen /
*Jelena Grjasnowa
Rosa Ana Chanzá Hernandez /
*Risa Tateishi /
Anudari Nyamsuren

Mark Radjapov /
*Sergio Carecci
Adrian Robos /
Howard Lopez Quintero /
*Luke Forbes
Eugeniu Cilenco /
*Arsen Azatyan
*Philip Woodman /
Luke Forbes
Arsen Azatyan /
*Tomoaki Nakanome
Yuri Polkovodtsev /
*Howard Lopez Quintero
Andrei Morariu /
*Christian Tarcea


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