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Aus dem Maschinenraum der Gesellschaft
Von Stefan Schmöe / Fotos von Hans-Jörg Michel
Krieg ist ein schmutziges Geschäft. Die Matrosen der HMS Indomitable müssen im Jahr 1797 zum Kriegsdienst Zwangsverpflichtet werden, werden mit Gewalt und Schikanen der rauen Ordnung auf See unterworfen und passen sich bald dem brutalen Klima an. Nur einer ist anders, der junge Billy Budd, der wegen seiner außergewöhnlichen Schönheit ebenso wie durch seine naiv anmutende Begeisterung wie ein Wesen vom anderen Stern erscheint. Das Schöne muss in der Kunst bekanntlich oft sterben, und so wird Billy von dem bösartigen Offizier Claggert in eine Intrige verwickelt, auf deren Höhepunkt er Claggert im Affekt tötet und nach Kriegsrecht zum Tod verurteilt erhängt wird. Der neue auf dem Schiff: Billy Budd (Lauri Vasar) wird eingekleidet. Bosun (Daniel Djambazian, l.), Mr Redburn (Markus Marquardt), Mr Flint (Ashley Holland) und John Claggart (Sami Luttinen) schauen interessiert zu.
Natürlich ist die homoerotische Komponente, die sich durch fast alle Opern Benjamin Brittens zieht, unverkennbar, gerade in dieser hermetisch abgeriegelten Männerwelt. Regisseur Immo Karaman tut gut daran, diesen Aspekt in seiner Düsseldorfer Neuinszenierung immer präsent zu halten, aber nie allzu deutlich zu werden. Bereits in der vorigen Spielzeit hat er am gleichen Ort Peter Grimes effektvoll inszeniert (unsere Rezension), jetzt sind die Mittel in Billy Budd durchaus ähnlich, aber noch konsequenter eingesetzt. Wieder hat Fabian Posca Chor und Statisterie streng choreographiert: Wie in einem imaginären Schachspiel laufen die Personen auf rechtwinkligen Bahnen, gesteuert wie Roboter. Die Besatzung des Schiffes, die ja durchaus als Spiegel der Gesellschaft gesehen werden darf, funktioniert wie eine gut geölte Maschinerie. Kampfbereit: Claggart (Sami Luttinen)
Seefahrerromantik sucht man vergebens. Alles spielt in Innenräumen, nur in Billys Abschiedsszene vor der Hinrichtung ahnt man am Ende einer Treppe den offenen Nachthimmel. Das Bühnenbild (Ausstattung: Nicola Reichert) besteht aus verschiebbaren dunkel-metallischen Elementen, wie sie dem Inneren eines Schiffes entnommen sein könnten (tatsächlich hat sich das Regieteam vom Londoner Museumsschiff HMS Belfast inspirieren lassen). In dieser klaustrophobischen Atmosphäre sind die Männer der Besatzung in durchaus heutige Uniformen gekleidet. So bleibt Billy Budd trotz der historischen Festlegung auf das Jahr 1797 ein Gegenwartsstück. Doch keine Kampfhandlungen. Ensemble, in der Mitte Captain Vere (Raymond Very)
Karaman erzählt die Geschichte weitgehend geradlinig und verzichtet auf konkrete Ausdeutungen, was der etwas sperrigen Oper durchaus gut bekommt und Freiräume für Assoziationen lässt. Britten und seine Librettisten E. M. Forster und Eric Crozier haben der eigentlichen Handlung einen Rahmen gegeben: Der altersschwache Kapitän Vere erinnert sich unter Gewissensqualen Jahrzehnte später an die Geschehnisse (damit beginnt und endet die Oper). Karaman verstärkt diesen Effekt noch, indem er hin und wieder eine Krankenschwester auftreten und Vere umsorgen lässt und damit die Handlung durchbricht. Das verleiht dem Geschehen etwas Alptraumhaftes. Und an noch einer Stelle setzt Karaman einen unpassenden Akzent: Der alte Matrose Dansker könnte tatsächlich einem ehrwürdigen Segelschiff entsprungen sein und beschwört so etwas wie einen romantisierenden Gegenentwurf zur Wirklichkeit auf der HMS Indomitable. Die insgesamt sparsame, aber durchdachte Personenregie wirkt unprätentiös und gibt der Geschichte etwas Sachliches. Trotzdem oder gerade deshalb entwickelt sich daraus erhebliche Spannung. Der Moment, der alles ändert: Billy (rechts) hat Claggart getötet, Captain Vere ist ratlos.
Es passt, dass die Sänger den Schwerpunkt auf musikalische Glaubwürdigkeit und weniger auf stimmliche Brillanz setzen. Raymond Very gibt den Captain Vere als gebrochene Figur mit wenig glänzendem, doch sehr genau fokussiertem Tenor, der nie auftrumpft und doch alle Klippen der Partie souverän meistert. Sami Luttinen als Gegenspieler Claggart ist kein finsterer (und schon erst recht kein rabenschwarzer) Bösewicht, sondern eher der unauffällige Amtsträger, der Normalmensch, der das Schöne oder das von der Norm Abweichende? - nicht ertragen kann und deshalb vernichtet. Man mag die schwarzen Farben, die stie stimmliche Dominanz vermissen, aber unter dem Gesichtspunkt, dass Claggart der eine unter vielen ist, der die Tragödie in gang setzt, ist Luttinen eine Idealbesetzung mit schlankem, aber dennoch nicht zu kleinem, hell timbrierten Bass hat er auch die erforderliche stimmliche Präsenz. Mit ebenfalls hellem, tenoral leicht und geschmeidig geführtem Bariton verleiht Lauri Vasar der Figur des Billy Budd die Jungenhaftigkeit, die es für diese Partie braucht. Und optisch ist der schmächtige, durchtrainierte Sänger ohnehin eine Idealbesetzung. Einen starken Eindruck hinterlässt der von Gerhard Michalski einstudierte Herrenchor. Peter Hirsch am Pult der nicht immer ganz präsenten Düsseldorfer Symphoniker dosiert die Höhepunkte sorgfältig, setzt eher auf die leisen Passagen. Gesangslinie und Text haben Vorrang, ohne dass der musikalische Spannungsbogen abreißt.
Kein leichter, aber ein sehr eindrucksvoller Opernabend. Nach dem starken Peter Grimes setzt Billy Budd in einer szenisch wie musikalisch sehr konzentrierten Aufführung den Britten-Zyklus (der hoffentlich fortgeführt wird) auf hohem Niveau fort. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Choreographie
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Edward Fairfax Vere
Billy Budd
John Claggart
Mr. Redburn
Mr. Flint
Leutnant Ratcliffe
Red Whiskers
Donald
Dansker
Der Neuling
Squeak
Mr. Bosun
1. Maat
2. Maat
Ausguck
Der Freund des Neulings
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