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Turandot erstarrt im AusstattungsplunderVon Thomas Tillmann / Fotos von Thilo Beu
Hatte man nach erstem Blättern im Programmheft mit seinen Bemerkungen über die Vorlagen von Gozzi und Schillers Beschäftigung mit dem Stoff angenommen, eine kopflastige Inszenierung der Turandot präsentiert zu bekommen, in der das vereinfachende Libretto von Adami und Simoni "aufgewertet" werden würde und vermeintlich zum eigentlichen Kern vorgedrungen würde, so wurde man bald eines besseren belehrt: Silviu Purcarete und Nikolaus Wolcz verlassen sich ganz auf die erschlagende, an Filmproduktionen der De Mille-Ära erinnernde, dezent den Handlungsort aufgreifende Optik von Helmut Stürmer, die ähnlich imponierend wirkt wie die Kulissen von Freizeitparks, aber natürlich besser ausgeleuchtet ist. Nichts ist falsch an einer aufwändigen Ausstattung, am an Theaterränge wirkenden Bühnenaufbau, auf dem das Volk Platz findet, auf dessen höchstem Punkt in einer prunkvollen Loge Turandot und Altoum erscheinen und in dessen Mitte sich ein Durchgang befindet, der auch als Fallbeil dient, das Ganze macht anders als die durchweg scheußlichen Kostüme durchaus Eindruck, aber das Regieteam brachte darüber hinaus eben auch nicht viel mehr als Nebelschwaden, das reichliche Vergießen von Theaterblut und ein paar Gags zustande (Turandots Hofstaat etwa besteht im Wesentlichen aus martialisch gewandeten und geschminkten "Walküren", die Männerköpfe wegfegen oder in goldene Mülltonnen stopfen und wieder herausholen, die Sklavinnen, die Calaf für den Verzicht auf Turandot angeboten werden, sind für Momente völlig nackt zu sehen, wie innovativ, wie verrucht!) - anstatt dem Zuschauer des Jahres 2010 Werk und Figuren schlüssig näherzubringen. Es ist immer verdächtig, wenn Statisten dauerbeschäftigt sind, präsenter wirken und mehr Aufmerksamkeit erzielen als die Protagonisten, deren Hilflosigkeit besonders im Finale einen den Kopf schütteln ließ. Turandot (Rachael Tovey) stellt Calaf (George Oniani) die drei berühmten Fragen, von ihrem Vater Altoum (Valentin Jar, oben) gespannt belauscht.
Jede Interpretin der Turandot, die die kurze, aber vertrackte Partie durchsteht, verdient an sich schon größten Respekt, und Rachael Tovey verfügte souverän über all diese Töne, sowohl in der häufig geforderten Höhe, aber auch in der mühelos ansprechenden, klangvollen Mittellage und Tiefe, wo manche auf pure Lautstärke in der oberen Lage getrimmte Stimme Löcher aufweist, hörbar an Kraft verliert und Sprechgesang an die Stelle von gesungenen Tönen tritt. Was mir allerdings bereits nach kürzester Zeit auf die Nerven ging, war die an sich ja lobenswerte Vorgehensweise der Britin, sich die Partie geschickt einzuteilen, sich nicht zu verausgaben, die (nach wie vor eher jugendlich-dramatischen als hochdramatischen) Mittel nicht zu verschwenden, Phrasen so schnell wie möglich zu beenden, eher knappe, aber stets perfekte Spitzentöne zu präsentieren, die vokalen Möglichkeiten in homöopathischen Dosen aufblitzen zu lassen (und dann merkt man sofort, dass sie beträchtlich sind!), immer wieder vorzuführen, wie schlank, lyrisch und ohne Kraftmeierei man diesen Part doch singen kann. Hier war soviel (gesangstechnisches) Kalkül im Spiel, dass einem die Figur der Prinzessin noch ferner blieb als an sich schon vorgesehen, zumal die Künstlerin auch darstellerisch ganz tief in die Mottenkiste griff respektive dazu angehalten oder nicht genügend unterstützt wurde. Bei allem Verständnis für die Schwere der Aufgabe, aber irgendwann möchte man doch auch einfach nur eine mächtige Stimme hören, eine Sängerin, die "loslässt" und sich auf die Rolle einlässt, und nicht nur über Norma-Desmond-Gesten schmunzeln, der das goldfarbene Kostüm und die Perücke sicher auch gestanden hätten. Calaf (George Oniani) wird von Turandots "Walküren" (Statisterie) bedroht.
Alles andere als ein Darsteller ist auch George Oniani, der in vielen Momenten wie der ältere Bruder Nemorinos im falschen Stück wirkte, sich gern in der Nähe des Dirigenten und damit vorn an der Rampe aufhielt und auch über das gesungene Wort nicht eine Sekunde nachgedacht zu haben schien (mein Kollege Schmöe schrieb über seine Mitwirkung in Katja Kabanova: "ein stimmlich imposanter, im Ausdruck etwas neutraler Liebhaber Boris", ich erinnere mich an einen sehr soliden Riccardo in Verdis Ballo). Purer Wohllaut war sein Ziel, nicht nur in der berühmten, vom Publikum heiß erwarteten Szene, in der er mit satten, gesunden Spintotönen bis zum hohen B mehr als souverän "ablieferte", ohne aber wirklich berühren zu können. Vor 50 Jahren hätte der erst 35jährige Tenor aus Georgien zweifellos noch mehr Begeisterung ausgelöst; für seine der Lokalpresse gegenüber gemachte Äußerung, so wie Paul Potts singe in seiner Heimat jeder Kellner, möchte man ihn freilich küssen. Timour (Ramaz Chikviladze) stirbt in den Armen seines Sohnes Calaf (George Oniani).
Und so wunderte es nicht, dass Irina Oknina einmal mehr (sie war die Katja in der erwähnten Produktion) den meisten Applaus einheimsen konnte für eine wirklich berührende Liù, so dass man selbst die peinliche Regieidee vergaß, ihr während der zweiten Arie das Obergewand ausziehen (und damit den Blick auf eine fleischfarbene Bedeckung ihres Busens freizulegen, die man selbst unterm Dach des Hauses noch als solche erkannt haben muss) und sie mit mehreren Klingen minutenlang aufzuschlitzen zu lassen. Der etwas klingelnde, nicht durchgängig mädchenhafte Ton mag Geschmackssache sein, das Hineinwerfen in die Partie, die Auseinandersetzung mit dem Noten- und Textmaterial (noch mehr in "Tu che di gel sei cinta" als im anfänglichen "Signore, ascolta", dem trotz bemerkenswerter Piani noch etwas der Feinschliff fehlte) und der unbedingte Gestaltungswille sind hier deutlich höher zu bewerten, vor allem in diesem Umfeld. Auch Liù (Irina Oknina) wird in den Händen dieser "Walküren" und der Minister (Giorgos Kanaris, Tansel Akzeybek und Mark Rosenthal) sterben.
In souveränen Händen waren die Vaterfiguren bei Ramaz Chikviladze, der als Timur keine Verschleißerscheinungen erkennen ließ, sondern einige wirklich berührende Töne beisteuerte, und Valentin Jar, der den offenbar bereits etwas verwirrten Kaiser nicht nur mit viel Humor zeichnete, sondern seine überschaubare Aufgabe auch vokal seriöser als manch anderer bewältigte. Gut einstudiert und aufgelegt präsentierten sich Giorgos Kanaris (Ping), Tansel Akzeybek (Pang) und Mark Rosenthal (Pong) mit akzeptablen, nur in wenigen Augenblicken etwas grellen Comprimari-Stimmen (nicht mehr und nicht weniger), als korpulente Eunuchen in samtigem Lila und mit farblich abgestimmten Accessoires ausstaffiert, Sven Bakin heißt der Interpret des Mandarin. Nach etwas nervösem Beginn steigerten sich die Chöre mehr und mehr (es ist immer problematisch, wenn die Damen und Herren zu sehr mit komplexen Gesten befasst sind, die möglichst gleichzeitig auszuführen sind, und zudem noch einen anspruchsvollen Part zu singen haben), da hat Sibylle Wagner einmal mehr eine große Leistung bei der Einstudierung erbracht, und auch der Kinder- und Jugendchor, den Ekaterina Klewitz vorbereitet hatte, sang deutlich besser als manches Kollektiv diesen Alters an anderen Häusern. Schon nach dem ersten Teil entlud sich eruptiv wie vorher die Klangmassen die Begeisterung der Mehrheit des Bonner Premierenpublikums über das hervorragende Musizieren des Beethoven Orchesters (leider hatte ich den Nachteil, ziemlich direkt unter der Seitenloge zu sitzen, in die man Teile des Blechs ausgelagert hatte, so dass ich im Wesentlichen deren Stimmen am Ohr hatte). Mir persönlich imponierte mehr als die straffe Führung Stefan Bluniers in den kraftvoll-wuchtigen Momenten die Italianità des Orchesterspiels in den lyrischeren Momenten, die Farbenpracht etwa in der Ministerszene.
Musikalisch hat die Produktion durchaus ihre Meriten, die banal-oberflächliche Inszenierung indes verführt abwechselnd zum Gähnen und Schmunzeln. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Choreinstudierung
Einstudierung des
Dramaturgie
SolistenTurandot Rachael Tovey
Altoum
Timur
Liù
Calaf
Ping
Pang
Pong
Ein Mandarin
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