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Schön, obwohlVon Bernhard Drobig / Fotos: ©Theater Bonn / Thilo Beu
Schön, dass das Theater Bonn sich erneut zu Albert Lortzing bekannte, diesmal mit dessen künstlerisch anspruchsvollstem und erfolgreichstem Werk. Schön auch, dass diese in Kooperation mit dem Theater Chemnitz und der Wiener Volksoper entstandene Produktion sich in aufwändiger Ausstattung präsentierte. Zwar spielte man anders als im Libretto vorgesehen alle Akte in geschlossenen Räumen, den ersten in einer Schulstube mit dem Alphabet auf großer Klapptafel und Mundstellungsabbildungen zu den einzelnen Buchstaben an den Wänden anstelle eines von Schul-, Wirts- und Wohnhaus gerahmten Dorfplatzes, den letzten in einem Saal des nahe gelegenen Schlosses, durch dessen Fenstertüren im späten Rokokostil man in einen morgenrötlich eingefärbten Schlosspark sah, die zweite offene Szene der Oper; das Bühnenbild des zweiten Aufzugs indessen stellte comme il faut einen zur abendlichen Dichterlesung mit Wandkerzen und Standleuchtern stimmungsvoll illuminierten Salon des gräflichen Schlosses mit einer Rotunde korinthischer Ordnung dar und fand sogleich nach Öffnung des Vorhanges verdientermaßen spontanen Beifall. Auch die Kostümierung trug das Ihre zur rundum ansprechenden Optik bei, obschon bei den vielen das Spiel der Protagonisten umgebenden Berufsbildern Schwarz dominierte, das sich dennoch für scharfe Augen mitsamt imposanter Hutmode individuell differenziert erwies, während sich die herrschaftliche Personnage bis hin zur Studententracht in standesgemäßem Outfit heller Farbwerte darstellte: alles in allem eine die Orientierung erleichternde Augenweide im prickelnden Spiel zweier sich verschränkender, durch Verkleidungen zusätzlich verwickelter Handlungen, stark genug, Ärgernisse in den Hintergrund zu drängen. Guter Rat ist teuer (Baculus, Gretchen / 1. Akt)
Zum Inhalt: Schulmeister Baculus, des Junggesellendaseins überdrüssig und zur Verlobungsfeier auf Wunsch seines geliebten Gretchens im Park des Dienstherrn wildernd, wurde ertappt und seines Amtes enthoben. Ein zufällig auftauchender Student, in Wirklichkeit die verkleidete Baronin Freimann, bietet sich an, bei Hof in Gretchens Gewand um Begnadigung nachzusuchen. Sie, übrigens Schwester des Grafen, lenkt natürlich nicht nur dessen Aufmerksamkeit auf sich, sondern auch die seines Bruders, des Barons Kelheim, der als künftiger Mann der Baronin vorgesehen ist. Er bietet dem Schulmeister gar 5000 Taler, wenn dieser auf seine Verlobte verzichtet. Als ihm freilich das echte Gretchen zugeführt wird, fliegt der Schwindel auf und erkennen die Geschwister einander, sodass der Hochzeit von Baron und Baronin nichts mehr entgegensteht, und auch Baculus rehabilitiert werden kann, zumal er im Park seinen eigenen Esel erschossen hatte. Man resümiert, sich nicht getäuscht zu haben in dem, was den Untertitel der Oper lieferte, der «Stimme der Natur». Billardzene (Baculus, Baron, Gräfin, Graf, Pankratius / 2. Akt)
Lortzing, der für sein selbst verfasstes Libretto Kotzebues Lustspiel Der Rehbock oder Die schuldlosen Schuldbewussten als Vorlage nutzte, hatte ein viel zu ausgeprägtes dramaturgisches Gefühl, als dass er in Kenntnis der Eleganz von da Pontes bzw. Mozarts Grafen die derbe Frivolität und Rüde der Vorlage nicht seiner durchaus auch Zeitlosem zugewandten Ästhetik anverwandelt hätte. Er wertete auch den wildernden Pächter der Vorlage zum Schulmeister auf, und machte so seine Sicht gesellschaftlicher Ungleichheiten am Kontrast zwischen unbewältigter Reformpädagogik und jenem hochgespieltem Bildungsdünkel fest, der gerade aktuell nach einer Antigone-Aufführung mit Mendelssohns Musik in einer Begeisterungswelle für die griechische Antike neue Blüten trieb. Derlei schien dem Regisseur wohl zu fein gesponnen, er kam plakativer daher. Streicht gleich die Ouvertüre, die mit dem Flintenschuss als komprimierte Vorgeschichte ein pfiffiges Vorspiel mit nicht nur potpourriartig aneinander gereihten Einfällen ist, geht nach verstecktem Auftritt des Dirigenten gleich Knall auf Fall zur Sache. Ach ja, es war eh nicht Freischütz, Meistersinger oder Fledermaus, sondern Lortzing, und der hätte sich offensichtlich ohnehin mehr an die Vorlage halten sollen. Also wird aus Braut Gretchen bei geändertem Text wieder Frau wie bei Kotzebue, und schon heißt der Untertitel Ein unmoralisches Angebot, datiert auf ein Maidatum des Uraufführungsjahres (1842) damit man sich nicht mit dem des Kotzebueschen Lustspiels (1815) und seiner ein Jahrzehnt zurückliegenden Handlungszeit verhedderte? Und natürlich mussten dicke Taue her, mit denen Baculus librettofremd sein Gretchen, Untreue unterstellend, fesselt. Plakate zu gesundheitsschädigendem Rauchen, das fleißig praktiziert wurde, fehlten, nicht aber schwarz-rot-goldene Demofähnchen und Georg Büchners sozialistische Parolen auf Hunderten Flugblättern für Bühne und Auditorium zum Schlussbild, auf dass man nur ja nicht übersah, dass man sich im Vormärz befand. Blitzgescheit, doch ebenso überflüssig wie die zwei reinrassigen Windhunde mit Betreuerin, die anders als der die Jagdgesellschaft narrende Großhase nicht einmal punktuell die überwiegend schwerfällige Personenführung auflockern konnten, in deren Zentrum, nach dem Bildmaterial des Abendprogramms zu urteilen, eine während der Aufführung so nicht wahrnehmbare Mienenvielfalt zu stehen schien. Gescheiterter Transfer (Baculus, Baron, Gretchen / 3. Akt)
Nun ist freilich einzuräumen, dass die vielen, teilweise auch langatmigen Ensembleszenen als solche nur schwer in lockeren Attitüden darstellbar sind, abgesehen davon, dass die Schlagtechnik des Dirigenten nicht gerade koordinationsförderlich war und die Sängerschauspieler verstärkt auf das Musikalische als auf den Einsatz optimaler Körpersprache lenkte. Mit den gewählten Tempi konnte man sich im Großen und Ganzen anfreunden, weniger allerdings mit der das Ganze durchziehenden Unausgewogenheit zwischen dem insbesondere von den Holzbläsern subtil artikulierten Filigran der Faktur und mancher zu pathetisch gestalteten Orchesterpassage, was sich leider dann und wann auch nachteilig auf die Balance zwischen Bühne und Graben auswirkte, das so grandiose Billardquintett gar überdramatisiert ausfallen ließ. Die vokalen Leistungen konnten insgesamt zufrieden stellen. Tenor Mirko Roschkowski als Baron Kronenthal ließ mit geschmeidig kraftvollem Timbre viel amouröse Leidenschaft hören, während Bariton Giorgos Kanaris, so überzeugend lässig er den Grafen spielte, seiner großen Arie etwas zu wenig Schwung gab, der routinierte Bassist Carlos Krause hingegen dem Haushofmeister Pankratius eine Charakterstudie vom Feinsten schenkte. Julia Kamenik überzeugte in der Doppelrolle als verkleidete Baronin wie als vorgetäuschte Schulmeisterbraut mit nuancenreichem Sopran und raffiniert variierter Verhaltenheit, die klangschöne Mezzosopranistin Anjara I. Bartz gestaltete die Gräfin in der Rezitation sophokleischer Verse ebenso wie in der resoluten Gestaltung ihrer Gesangsanteile mit echt wirkender, weil nie überzogener Selbstgefälligkeit, und Kathrin Leidig gab mit zarteren Mezzotönen dem Wechselbad von Gretchens Gefühlen klug differenzierte Schattierungen. Renatus Mészár mühte sich redlich, der offensichtlich von der Regie gewünschten Überzeichnung der Schulmeisterrolle zu genügen, geriet dabei jedoch insbesondere in seiner Bravourarie in die Gefahr, die Schönheit ihm obliegender Melodik der Wucht seines stentoralen Basses und übertriebener Theatralik zu opfern. Eine solide Leistung bot der Kinderchor, eine in seinen vielen Aufgaben untadelige der Chor des Theaters.
Ein optisch beglückendes Szenario war stark genug, die durch plakative Verzerrung der Eleganz von Lortzings Libretto und durch Unausgewogenheit im Klangbild gestörte Trübung des Gesamteindrucks zu verdrängen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Co-Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Choreinstudierung
Einstudierung des Kinderchors
Solisten
Graf von Eberbach
Die Gräfin
Pankratius
Baron Kronthal
Baronin Freimann
Nanette
Baculus
Gretchen
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