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Musiktheater
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Barbara Strozzi
oder Die Avantgarde der Liebe

Musiktheater von Georg Graewe

in deutscher, italienischer und englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 15' (keine Pause)

In der Reihe "Bonn Chance! -Experimentelles Musiktheater"
Auftragswerk des Theater Bonn und des Luzerner Theaters
Deutsche Erstaufführung im "Alten Malersaal / Halle Beuel" Bonn am 12. März 2011
- aufgrund technischer Probleme konzertant aufgeführt am 12.3.2011 -


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Theater Bonn
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Dem Radio abgelauscht

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu


Irgendwann in der Geschichte sind sie aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden, Frauen wie Barbara Strozzi. Geboren 1619 in Venedig als uneheliches Kind einer Hausbediensteten, vom Hausherrn, dem Dichter und Librettisten Giulio Strozzi - Barbaras Vater? - adoptiert, erfuhr das Mädchen eine hervorragende künstlerisch-musikalischee Ausbildung, unter anderem beim seinerzeit außerordentlich berühmten Komponisten Francesco Cavalli. Barbara wird Sängerin, Dichterin und Komponistin. Und wohl auch Kurtisane, denn anders wäre ihr als Frau eine solche Karriere in illustren venezianischen Männerkreisen wohl nicht möglich gewesen. Sie muss, als Erbin Strozzis, nicht ungeschickt mit Wertpapieren gehandelt haben. Gestorben ist sie 1677 in Padua.


Foto kommt später

So sieht's aus, wenn die Technik funktioniert und Barbara Strozzi szenisch gespielt wird: Stephanie Wüst in der Titelpartie ...

Der 1956 in Bochum geborene und vor allem als Jazz-Musiker hervorgetretene Komponist Georg Graewe hat über diese schillernde Frauenpersönlichkeit ein Stück Musiktheater geschrieben, das merklich vom Radio-Hörspiel inspiriert ist: Eine Collage aus 31 Mini-Szenen, die bei rund 75 Minuten Gesamtdauer kaum einmal die Länge einer „normalen“ Opernarie erreichen. Einige davon sind gesprochen (wobei die Texte in italienischer und englischer Sprache eine eigene Musikalität erlangen), einige werden vom Tonband eingespielt - es handelt sich also um Musik von überschaubarem Ausmaß. Dabei geht es um die Liebe, aus wechselnden Perspektiven überzeitlich betrachtet: Barbara raisonniert über die verschiedenen Bezahlmöglichkeiten per Kreditkarte für Liebesdienste und gestaffelte Stundenhonorare (in US-Dollar) ebenso wie über den Vorrang von Tränen oder Musik als Waffen einer Frau. Ein Diskurs über Liebe und Eros, bei dem drei namenlose Herren (ein Tenor, ein Bass, ein Bariton) als Stichwortgeber hinzu treten.


Foto kommt später

... und hier gleich alle vier Sänger: Giorgos Kanaris (Bariton), Renatus Mészár (Bass), Christian Specht (Tenor), Stephanie Wüst (Barbara Strozzi)

Verbindungslinien zum Jazz oder, was thematisch ja nahe läge, zur Renaissance, sind bestenfalls zu erahnen. Graewes Musik ist flächig, oft aus erratischen kleinen Motiven zusammengesetzt oder aus Liegetönen mit kontrastierenden Motivfetzen aufgebaut und kennt keine melodische oder harmonische Entwicklung. Die kleine Besetzung – Flöte, Englischhorn, Bassklarinette, Trompete, Vibraphon und Congas, Harfe, je zwei Violinen, Bratschen und Celli sowie ein Kontrabass – ermöglicht durchaus interessante Klangfarben, was Graewe aber nicht allzu sehr ausreizt. Die Musik hebt sich angenehm vom anbiedernd effektvollen Stil mancher am Gegenwartstheater stärker präsenten Zeitgenossen ab, bleibt aber über die Aufführung hinaus kaum in Erinnerung. Allerdings spielen die Mitglieder des Beethoven Orchesters unter Leitung von Wolfgang Lischke zwar solide, aber auch nicht mehr, und die drei männlichen Sänger versprühen wenig Wohlklang: Im kleinen Raum des „Alten Malersaals“ in der rechtsrheinischen Beueler Depandance des Bonner Theaters kämpfen Renatus Mészár, Christian Specht und Giorgios Kanaris hörbar mit der direkten Akustik, forcieren leider fast durchgängig und trauen sich kaum einmal einen leisen Ton. Da gelingen ihnen die klangvoll artikulierten Sprechpassagen doch deutlich besser. Stephanie Wüst als Barbara Strozzi kämpft sich virtuos durch halsbrecherische Intervalle in hohen bis höchsten Lagen. Dass die Partie trotzdem arg pauschal nach „irgendwie modern“ klingt, ist wohl der Komposition anzulasten.

Klangbeispiel Klangbeispiel 1


Klangbeispiel Klangbeispiel 2


Klangbeispiel Klangbeispiel 3


Seine Uraufführung erlebte das Gemeinschafts-Auftragswerk der Theater in Luzern und Bonn bereits im vorigen Jahr in der Schweiz; die deutsche Erstaufführung in Bonn blieb am angekündigten Premierenabend unfreiwillig Stückwerk: Weil die Videotechnik versagte, konnte das Stück nur konzertant gegeben werden (die weiteren Aufführungen sollen aber wie geplant szenisch ablaufen). Immerhin verheißt das aparte Bühnenbild von Karin Leuenberger – ein ganz in Rot gehaltenes Kabinett einer Kunstgalerie mit Aussparungen, in die Stilleben hineinprojiziert werden – eine geschmackvolle szenische Umsetzung, bei der das Orchester hinter der Bühne verschwinden wird. Vielleicht gibt das diesem in seiner Anlage undramatischen Werk ja die entscheidenden Impulse. In konzertanter Form wirkt Barbara Strozzi wie ein uneingelöstes Versprechen.


FAZIT

Musiktheater wie eine Radiocollage - in der konzertanten Version nicht ganz uninteressant, aber auch nicht übermäßig aufregend.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Wolfgang Lischke

Inszenierung
Jörg Behr

Bühne, Kostüme, Video
Karin Leuenberger

Licht
Sirko Lamprecht

Dramaturgie
Ulrike Schumann (Theater Bonn)
Christian Kipper (Luzerner Theater)


Mitglieder des
Beethoven Orchester Bonn


Solisten

Barbara Strozzi
Stephanie Wüst

Bass
Renatus Mészár

Tenor
Christian Specht

Bariton
Giorgio Kanaris



Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Theater Bonn
(Homepage)



Da capo al Fine

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