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Musiktheater
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Ariodante
Dramma per musica in drei Akten
Text: Anonyme Bearbeitung eines Librettos von Antonio Salvi (1708)
nach einer Episode aus Ludovico Ariostos Orlando furioso
Musik von Georg Friedrich Händel (1735)

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Aufführungsdauer mit Donna Leons Einführungen: ca 3h 45' (eine Pause)

konzertante Aufführung im Festspielhaus Baden-Baden am 20. Mai 2011


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Festspielhaus Baden-Baden
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Markante Künstlerprofile

Von Bernhard Drobig / Fotos: Festspielhaus Baden-Baden

Monate lang rätselte man, was wohl die plakative Ankündigung der Präsentation von Händels Ariodante durch Donna Leon mit Joyce DiDonato, Alan Curtis und Il Complesso Barocco bedeuten sollte, ob sie etwa auf der Grundlage der im Libretto angedachten neun Bühnenbilder stimmungsbildend von Szene zu Szene führen oder gar die Rezitative durch spannungsvolle Situationsbeschreibungen ersetzen wolle. Nein doch, wie man endlich dem Abendprogramm entnahm, wo die deutsche Übersetzung dessen zum Mitlesen abgedruckt war, was sie in schwarzem Hosenanzug zu leuchtend roten Schuhen in englischer Sprache verlas, hier wie dort ohne besondere schriftstellerische oder musikologische Note und ohne dass man den Pulsschlag ihrer vielerorts immer wieder betonten Liebe zu Händel hätte hören können. Wer sich also fragte, warum sie, der die lange Schlange Ihrer glühenden Verehrer am Autogrammtisch auch ohnedem sicher gewesen wäre, vor versammeltem Konzertpublikum ans Mikrofon trat, wurde im Impressum der druckfrisch zum Konzert erschienenen und selbstverständlich hier Ausgespartes vollständig bietenden CD-Box fündig, wo sie als «supporting producer» gelistet ist und es weiter heißt: «Il Complesso Barocco wishes to thank Donna Leon for having given every conceivable form of support, encouragement and inspiration for this project.» Sapienti sat – Ehre, wem Ehre gebührt: Schließlich war sie es, die seinerzeit Alan Curtis, dem alternden Pionier der historischen Aufführungspraxis, neuen Schwung gab, eine Händel-Oper nach der anderen, wennschon nur konzertant, durch die Lande zu tragen und Tonträgern anzuvertrauen.

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Donna Leon

Jetzt also Ariodante, jenes Werk, das entstand, nachdem Händel das führende Londoner Opernhaus am Haymarket der konkurrierenden Opera of the Nobility hatte überlassen müssen, und diese mit den Gesangsstars Cuzzoni, Farinelli, Senesino und Montagnana die größere Attraktivität besaß. Händel hielt jedoch dagegen, wählte ein älteres, bereits von Perti vertontes Libretto, das er möglicherweise während seiner ersten Italienreise kennen gelernt hatte, ergänzte die ihm verbliebenen italienischen Starsänger um solche heimischer Provenienz und nutzte die Gelegenheit, die an Covent Garden engagierten Tänzer der Marie Sallé mit einzuspannen. Und wirklich gelang ihm ein Werk, dessen vielleicht von ihm selbst bearbeitetes Libretto zu Händels besten, weil packendsten und schlüssigsten zählt: Ariodante, glücklich in Ginevra verliebt und von deren königlichem Vater als Nachfolger erkoren, erliegt der List des Rivalen Polinesso, der Dalinda, eine Bedienstete, verkleidet als ihm zugetane Ginevra präsentiert und den Prinzen verzweifeln lässt. Wenn dann dessen Tod gemeldet wird, erhebt sein Bruder Lurcanio Anklage, bereit zum Duell, wenn wer für Ginevra einträte. Als der dies dreist wagende Polinesso fällt, will ein anderer statt seiner kämpfen – Ariodante, der Dalinda vor Auftragsmördern rettete und dabei von der Verkleidung erfuhr, jetzt die Intrige enthüllt, die der sterbende Polinesso bekennt.


Vergrößerung in neuem Fenster Joyce DiDonato und Alan Curtis

Händels Vertonung, im Entstehungsjahr mit 12 Aufführungen mäßig erfolgreich, heute im Mittelfeld der Top Ten aller Händelinszenierungen stehend, zählt mit der anschaulichen Schilderung der oft weit ausgreifenden, varianten- und kontrastreich gespiegelten Gefühlslagen sowie mit der subtil gestalteten Klangdifferenzierung des mitdeutenden Orchesters zu jenen bühnenwirksamen Partituren, die überreich an raffinierten Einfällen nach Spitzeninterpreten rufen. An ihnen mangelte es jetzt in Baden-Baden fürwahr nicht. An ihrer Spitze machte Joyce DiDonato in der Titelrolle mit makellos schönem Mezzosopran, höchst erlesener Klangkultur, unwahrscheinlicher Prägnanz in allen Techniken und unglaublicher Gestaltungskraft jede ihrer Arien zu einem an Wunder grenzenden Erlebnis, zumal sie in Freude wie Leid, Liebe und Zorn bis in ihre Körpersprache hinein den Glanz des Adels ihrer Natürlichkeit wie den des dargestellten Prinzen ausstrahlte.

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Schlusschor

Karina Gauvin, in der Primadonnenrolle der umworbenen Königstochter war da von anderem Gewicht, da sie anstelle barockspezifischer Eleganz und Leichtigkeit die einer späteren Zeit gemäße Leidenschaftlichkeit auslebte, stark beeindruckend, doch nicht mehr in der Fülle der ihr früher eigenen Artikulationsprägnanz. Auch den eher dramatisch gefärbten Mezzo von Marie-Nicole Lemieux hat man mit brillanteren Koloraturen und deutlicherer Tiefe als jetzt geboten in Erinnerung, hörte sie nun für Polinessos Verschlagenheit und Dreistigkeit zwar voller Emotionalität, aber eher als Muster dafür, wie sehr Händel musikdramatisch seiner Zeit voraus war. Mit rundem leichtem Sopran fing hingegen Sabina Puértolas die Naivität der von Polinesso eingespannten und nach der glücklichen Errettung vor Auftragsmördern zu Lurcanio zurückfindenden Dalinda ein, vielleicht ein wenig zu sehr auf korrekten Vortrag und handlungsgerechte Attitüden als auf eine stärker gefühlsbetonte Stimmführung achtend. Bewegter und freier gab Nicholas Phan mit sowohl zarten wie kraftvollen Werten seines lyrischen Tenors der Empörung wie den Glücksgefühlen des Ariodante-Bruders Lurcanio rollengemäßes Profil, während Matthew Brook als Ginevras Vater Zufriedenheit, Kummer und Abschiedsschmerz mit kräftigem, doch etwas konturschwachem Bass königliche Würde verlieh, auch er wie alle im angedeuteten szenischen Verhalten von gefälliger Zurückhaltung bestimmt.

Alan Curtis leitete das gut Einstudierte unspektakulär, und doch nicht ohne Temperament, gab Tempi vor, die auf Anhieb überzeugten, ließ die Dacapi wie Kadenzen moderat verzieren, reduzierte den Continuo anders als in der CD-Einspielung auf das musikalisch Notwendige – nur eine Theorbe und ein Cembalo nebst Bassinstrument –, hätte indes bei einer für diesen Großraum vorteilhaften stärkeren Streicherbesetzung die unterschiedliche Klangdichte des Instrumentalsatzes sicher deutlicher zum Tragen bringen können. Gleichwohl, Motivation und Engagement im Orchester fügten sich ebenso wie die Balance unter allen Künstlern zu einem in seiner Art geschlossenen Bild, auch wenn die Ballettmusiken des ersten und letzten Aktes wie die ausgewogene Chorbesetzung offensichtlich Sparzwängen zum Opfer fielen. Sei's drum: Curtis ist im vielstimmigen Ensemble engagierter Händel-Interpreten mit seinen 77 Lenzen unbeirrter Hüter eines Interpretationsstils, den man unumwunden als werkgerecht ansehen kann: er sucht nicht nach überspitzten Instrumentaltönen, nicht nach dynamischen und agogischen Extremen, nicht nach allzeit glattem Sound oder ruppigen Akzenten, nicht nach übermäßig weich gezeichneten Melodielinien oder überpointierter Schnittigkeit, erst recht weder nach unterkühlter Sachlichkeit noch überbordender Aufwertung der Rezitativbegleitung, er lässt Händel aus sich heraus wirken und kann so auch die Spannkraft eines selbst durch permanenten Zwischenapplaus gestörten Zusammenhangs sichern.

FAZIT

Ein großer Abend mit markanten Künstlerprofilen, zu Recht frenetisch gefeiert.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alan Curtis


Il Complesso Barocco


Solisten

Ariodante
Joyce DiDonato

Ginevra
Karina Gauvin

Polinesso
Marie-Nicole Lemieux

Dalinda
Sabine Puértolas

Lurcanio
Nicholas Phan

König von Schottland
Matthew Brook

Odoardo
Paolo Borgonovo


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)




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