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Musiktheater
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Candide

Eine „comic operetta“ in zwei Akten
Musik von Leonard Bernstein
Scottish Opera Version (1989)
Buch von Hugh Wheeler nach dem Roman von Voltaire
Texte von Richard Wilbur
Weitere Texte von Stephen Sondheim, John LaTouche, Dorothy Parker, Killian Hellman und Leonard Bernstein


In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Veranstaltungsdauer: ca. 2h 30' Std. (eine Pause)

Premiere an der Staatsoper Unter den Linden im Schillertheater am 24. Juni 2011


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Staatsoper Berlin
(Homepage)
Nur Candierte Früchte

Von Joachim Lange / Fotos: Clärchen und Matthias Baus

Seiner West Side Story kann Bernsteins Candide nicht das Wasser reichen. Egal in welcher der nach 1956 kursierenden Versionen. In Berlin gab es jetzt die der Scottish Opera von 1989. Dabei hat die Story nicht nur einen Problemstadtteil, sondern gleich die ganze Welt im Visier und geht obendrein auf nicht weniger als Voltaires berühmte Roman-Attacke auf Leibnitz zurück. Wenn jetzt im Schillertheater am Ende der „comic operetta“ der Marthaler-Mime Graham F. Valentine sein „Noch Fragen?“ in kaum verständlichem Englisch ins Publikum krächzt, dann drängt sich nach der vielzitierte Brechtsatz „Vorhang zu und alle Fragen offen“ wie von selbst auf.

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Candide – beobachtet wie in einem Experiment

Die XL-Brecht-Gardine und die Kostüme hat sich Regisseur Vincent Boussard nämlich, markenbewusst und auf den Glamourfaktor schielend, vom Nobel-Modisten Christian Lacroix aufpeppen lassen. Das erinnert auf den ersten Blick an Robert Wilsons formenbewusste Ironie. Die Bühne hinter Rahmen und Gardine sieht aus wie ein Plastik-Pool ohne Wasser und soll wohl ein metaphorisches Labor sein. Der Chor steckt in einem dunklen Ancien-Régime-Look und sieht vom Rand aus zu und auf das Gewimmel zu seinen Füßen herab. Für den Habitus des quirligen Candide (Leonard Capalbo) und des Philosophen-Alter-Egos Pangloss hat man sich offensichtlich auch von Wilhelm Buschs spitzer Feder anregen lassen. Die Damen, allen voran die koloraturglänzende Maria Bengtsson als Cunegonde und Bühnenlegende Anja Silja als Old Lady, dürfen wenigstens zwischendurch auch mal Eleganz zur Schau tragen.

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Die Old Lady tanzt auf dem Tisch

Bis sie dann am Ende im Venedig-Bild, nicht beim Karneval, sondern, dank eines (zu) späten Aufflackerns von Regie-Ehrgeiz in der Irrenanstalt landen. Auf dem Weg dorthin wird Bengstons "Glitter and be Gay" zum hinreißend hingeräkelten Koloraturhit. Und die Silja ist, selbst wenn sie sich jetzt im Habitus eher Heidi Kabel annähert, immer noch ein Hingucker, bei dem auch das Hinhören lohnt.

Kann ja sein, das Boussard die Musik und das Stück mag, aber mit seiner bunt verpackten Vorhang-auf-Vorhang-zu-Nummernfolge hat er weder die sowieso schon krude Geschichte in den Griff bekommen noch ihre Gegenwartsrelevanz aufscheinen lassen. Immerhin geht es während Candides Weltreise ja um Mord und Todschlag, um Naturkatastrophen und die Syphilis, um Prostitution und das Auswandern, um das große Scheitern und das kleine Glück.

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Candide staunt über die Welt

Die eingeblendeten Handlungskommentare ersetzten die gestrichenen Dialoge jedenfalls nicht mal ansatzweise. So bleiben die Episoden, ob nun in Westfalen oder Lissabon, in Paris oder in Buenos Aires, ob in Eldorado oder Neu-Westfalen und dann schließlich in Venedig, und die daraus destillierten Erkenntnisse zur Demontage der These von der besten aller Welten durch Welterfahrung nur Behauptungen. Mit einem Kalauer gesagt: Serviert werden candierte Früchte, wo man die Chance für ein pfiffig aufgepepptes Philosophen-Dinner gehabt hätte. Der Zusammenhang des Ganzen bleibt so einleuchtend wie die Glastür in dem Rahmen an der Rampe.

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Hauptsache bunt, Hauptsache ein Tür – egal wohin sie führt

Am Pult der Staatskapelle kann Wayne Marshall immerhin über weite Strecken das Potenzial von Bernsteins Musik aufscheinen lassen. Dass die Verbindung von Nobelkapelle mit musikalischem Staatsopernhabitus und Candide keine Liebesheirat ist, sondern eher eine Vernunftsehe, kann auch er nicht überspielen.

FAZIT

Die Neuproduktion von Leonard Bernsteins Candide im Schillertheater taugt nicht zum Durchstarter für sein problematisches Musical. Die Inszenierung ist kommt über eine bunte Oberflächlichkeit nicht hinaus. Vielleicht hat eine der notorischen Berliner Doubletten ja auch mal was Gutes, denn nach der Produktion hat die Deutsche Oper, gleich nebenan, im nächsten Jahr selbst mit ihrer konzertanten Version mit Loriot gute Chancen, dem Stück näher zu kommen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Wayne Marshall

Inszenierung
Vincent Boussard

Bühnenbild
Vincent Lemaire

Kostüme
Christian Lacroix

Licht
Guido Levi

Video
Isabel Robson

Choreographie
Helge Letonia

Chorleiter
Eberhard Friedriche

Dramaturgie
Katharina Winkler


Chor der Staatsoper
Unter den Linden

Staatskapelle Berlin


Solisten

Candide
Leonardo Capalbo

Pangloss, Martin, Senor II
Graham F. Valentine

Maximilian, Inquisitor II, Judge II,
Captain, Maximilian as Jesuit,
Hermann Augustus
Stephan Loges

Cunegonde
Maria Bengtsson

Paquette
Stephanie Atanasov

The Old Lady
Anja Silja

Governor, Senor I, Vanderdendur,
Sultan Achmet, Crook
Stephan Rügamer

Inquisitor I, Judge I, Charles Edward
Michael Smallwood

Inquisitor III, Judge III, Tsar Ivan
Bernt Zettisch



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Unter den Linden Berlin
(Homepage)



Da capo al Fine

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