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Nicht mehr Barock, noch nicht Klassik Von Christoph Wurzel / Fotos von Clärchen und Matthias Baus Keine Ausgrabung zwar, aber
doch sehr selten gespielt: Tommaso Traettas Antigona gibt es
nicht oft zu sehen, schon gar nicht an größeren Häusern. Seine Sofonisba, die für die Mannheimer Kurfürstliche Hofoper geschrieben
wurde, kam dort am Nationaltheater 2006 nach langem Archivschlaf wieder
auf die Bühne. Aus Anlass der 20. Berliner Barocktage hat sich René
Jacobs nun Traettas wohl bedeutendstes Bühnenwerk Antigona
vorgenommen, das 1772 während des Komponisten Anstellung am St.
Petersburger Hof entstand. Traettas Ansehen zu seiner Zeit als Reformer
begründet sich in der Überschreitung der überkommenen barocken
Seria-Form. Seine Bedeutung von uns aus gesehen besteht darin, dass er
besonders mit Antigona auf die dramaturgisch wahrhaftigere Form des
musikalischen Dramas vorausweist, wie sie bereits neun Jahre später der
sturmbewegte Mozart in seinem Idomeneo zu erster Meisterschaft
geführt hat. Und reizvoll ist seine melodisch erfindungsreiche und
virtuos ausgezierte Musik. Unerbittlicher König: Creonte (Kurt Streit) mit dem Volk von Theben (Chor)
Leider aber hat Regisseurin Vera
Nemirova im Verlauf der Handlung erst spät überzeugende
Lösungen gefunden. Erst im 3. Akt findet die Inszenierung ihren Stil,
wenn der tragische Konflikt in die Katastrophe treibt und Antigona und
ihr Geliebter Emone dem Tode im Gewölbegrab entgegen sehen. Erst hier
stellt sich in tragischem Ernst atmosphärische Dichte her. Im 1.
Akt herrscht vornehmlich Unverbindlichkeit und schale Konvention. Der
für beide tödliche Kampf der verfeindeten Brüder Eteokles und
Polyneikes wird auf der Vorderbühne als Ringkampf gezeigt, eher Show
als erschütternd. Die Einäscherungsszene dann für den verfemten
Bruder begleitet der Chor der trauernden Frauen mit peinlichem
Schunkeln. Im 2. Akt droht alles sogar in die Klamotte zu kippen.
Kreons Krönungsszene wird als albern überzeichnete Ordensverleihung
gezeigt, etwas Politsatire gemischt mit Kritik an der opportunistischen
Frauenrolle Ismenes, der es entgegen ihrer Schwester Antigona an
Widerstandsgeist mangelt. Als Reminiszenz an glücklichere Tage lässt
die Regisseurin vier Kinder unbeschwert über die Bühne tollen, was die
schicksalhafte Belastung dieser Familie von Ödipus und Jokaste doch zu
sehr verharmlost. Einzig die Trauerszene für den gefallenen Bruder, den
Antigona stellvertretend im Kind Polyneikes beweint,
kann anrühren. Und auch die sehr karge Bühne, die außer verstreuten
Lederlappen am Boden nur einen Matchrichterstuhl in der Mitte zeigt,
vermag auch mangels ausgeklügelter Lichtregie kaum Atmosphäre zu
schaffen. Trauer um den gefallenen Bruder: Antigona (Veronica Cangemi) mit Polyneikes als Kind (Jannis Engelbrecht) und Chor In der
Ausformung der Charaktere ist die Regisseurin ebenfalls kaum in
tiefere Schichten vorgedrungen. Creonte, mit gut geführtem, leicht
ansprechenden Tenor von Kurt Streit gesungen, ist anfangs zu plakativ
als leichtfüßiger Draufgänger gezeigt – zu leicht, um Bosheit in die
tragische Verwicklung zu bringen. Erst in seiner großen Wende-Arie
(„Ich habe mein Unglück selbst erzeugt...“) findet er vom Klischee zu
echten Gefühlen. Veronica Cangemi singt eindrucksvoll, koloraturstark
und stimmschön, die Rolle der Titelheldin. In ihrer Anlage der Rolle
zeigt sie aber mehr Empfindsamkeit als Entschlossenheit. Den Gegenpart
ihrer zaghaft zweifelnden Schwester gibt Jennifer Rivera durchaus
glaubhaft. Auch sie singt virtuos und makellos schön. Aus dem insgesamt
überzeugenden Gesangsquartett der Hauptfiguren ragt aber Bejun Mehta
deutlich heraus. Seine Counterstimme strahlt Glanz und Wärme zugleich
aus. Mit ihr entfaltet er eine musikalische Ausdruckspalette, die auch
diesem zwischen der Liebe zu Antigona, dem Protest gegenüber dem Vater
Creonte und der Hoffnung auf Leben innerlich zerrissenen
Rollencharakter eindrucksvoll Gestalt gibt. Schließlich gibt als
staatstreuer Adrasto der Tenor Kenneth Tarver eine insgesamt tadellose
Gesangsleitung ab.
Aus ihrer nunmehr zwanzigjährigen Zusammenarbeit in der Alten Musik schlagen die Akademie und René Jacobs wieder einmal effektvolle Funken. Dass Jacobs Traettas Musik besonders schätzt, wird Takt für Takt hörbar. Mit großem Engagement formt das Orchester ein vielgestaltiges, plastisches Klangbild, in allen Gruppen veredelt und mit farbigen Bläser-Akzenten durchsetzt sowie Harfe, Hammerklavier und Orgel in den Rezitativen. Entschlossen zum gemeinsamen Tod: Emione (Bejun Mehta) und Antigona (Veronica Cangemi) Das Finale lässt die
Regisseurin offen. Antigona und Ermione treten am Schluss aus ihrem
Verließ wieder heraus, befreit vom einsichtigen König. Während der
Jubel des Volkes wenig zu überzeugen vermag, bleibt die Regie doch eine
deutende Antwort schuldig. Musikalisch bestes
Jacobs-Format. Gesanglich durchweg auf hohem und höchstem Niveau.
Szenisch leider recht unentschieden. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamMusikalische
Leitung Inszenierung
Werner Hutterli Kostüme Licht
Komparserie der
Staatsoper
SolistenAntigona
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E-Mail: oper@omm.de
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