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Nonnen im Stapel-Regal Von Christoph Wurzel / Fotos: Monika Rittershaus Kann Religion Trost in Unglück und Verzweiflung spenden? Die Antwort, die Calixto Bieito mit seiner Inszenierung der Gespräche der Karmelitinnen der intensiv gläubigen Katholiken Francis Poulenc und Georges Bernanos gibt, vermittelt über diese Frage eher Skepsis als Gewissheit. Dabei hat Bieito, selbst Jesuitenschüler aber erklärter Ungläubiger, den tief religiösen Gehalt dieser Oper nicht zerstört oder gar skandalträchtig desavouiert, sondern durchaus bewegend und auch packend befragt. Ob es eine Erlösung aus existentieller Lebensangst durch die Kraft der Transzendenz geben kann, so wie sie als letzte Konsequenz im freiwilligen Martyrertod der Protagonistin Blanche de la Force, die sich als Schwester den Ordensnamen „von der Todesangst Christi“ gegeben hat, um gerade dadurch ihre eigene Todesangst zu überwinden - ob es also ein religiöses Motiv ist, das Blanche ihren unausweichlichen Tod am Schluss annehmen lässt oder der Wunsch nach einem Ende endlos erscheinender Qualen: dies bleibt in der Inszenierung an der Komischen Oper in Berlin schlussendlich offen. Eine religiöse Überhöhung des grausamen Endes der Nonnen, die zuerst als Huren Gottes geschmäht, dann geschändet und sich in dieser Lesart schließlich selbst zur Hinrichtung ergeben auf den Boden legen, findet hier auf der Bühne jedenfalls nicht statt. Ihr Tod erscheint wohl als Erlösung - aber nicht in einem christlichen Sinne, sondern eher als Erlösung aus schier unerträglich gewordener Lebensangst. Voller Todesangst: die verfolgten, geschmähten und misshandelten OrdensfrauenBieito und sein Inszenierungs-Team haben sich auf dieses Grundmotiv als bestimmendes Element der menschlichen Existenz konzentriert und es stellvertretend am Leben der Klosterfrauen exemplifiziert. Schon Gertrud von le Fort, nach deren Novelle das Libretto entstand, hatte darauf hingewiesen, dass die Geschichte der französischen Nonnen aus der Zeit der jakobinischen Terrorherrschaft für sie nicht allein historische Bedeutung hat, sondern ihr „das Historische nur als Gewand für ein sehr aktuelles Problem“ gelte, wobei sie den Schrecken ihrer Zeit, den Nationalsozialismus, meinte. Mehr als legitim also, wenn Bieito im Schicksal dieser klösterlichen Opernfiguren nun auch ein Spiegelbild für Todesängste von Menschen in ganz gegenwärtigen Situationen sieht. So tragen seine Karmelitinnen auch keinen Ordenshabit und jeder Bezug auf eine klösterliche Umgebung ist eliminiert. Stattdessen bleiben Position, Ort und Zeit der Handelnden unbestimmt. Deutlich beherrschen aber die Situation von Verfolgung und die daraus resultierenden Gefühle von Angst und Schrecken alle Szenen. Bereits das erste Bild findet nicht im Palais des Marquis de la Force statt, sondern wirkt wie eine Straßenszene mit Menschen, die sich auf der Flucht befinden und schon nach dieser Szene wird man den vom Mob ermordeten Adligen, Blanches Vater, blutverschmiert auf einem Gerüst liegen sehen, was eigentlich im Libretto nur als Bericht an späterer Stelle eingefügt ist. Klösterliche Klausur: ein Stapelregal In ihren
metallenen Stockbetten kauern die meist verschreckten Frauen, und Angst
bestimmt ihre hektischen Bewegungen. In aller Drastik zeigt Bieito den
qualvollen Todeskampf der alten Priorin mit allen schrecklichen
Attributen des Sterbens, darauf folgt später ausführlich die
Totenwaschung. Religiöse Verfolgung wird augenfällig im dramatischen
Auftritt des geschundenen Beichtvaters und schließlich wird das
Todesurteil über die Nonnen von den Rängen des Zuschauerraums aus
beklemmend per Lautsprecher verkündet. Gezeigt
wird deutlich, wie Blanches Angst zunimmt. Ihre Flucht ins Kloster aus
Furcht vor dem Leben draußen erweist sich als Angstspirale, aus der sie
nicht entrinnen kann. Maureen McKay spielt das ganz eindrücklich und
übermittelt auch stimmlich die Grenzsituation zwischen dem Ertragen und
ihrem Überwältigtsein von Angst.
Gebet gegen die Angst: Maureen McKay als Blanche de la Force Immer wieder bricht auch in
die Hoffnung auf Sicherheit und Geborgenheit im Kloster die pure Angst
hinein. Vor Beginn der Oper singen die Nonnen (großartig die
Solistinnen des Opern- und Ernst Senff Chores) Poulencs "Ave verum" wie
eine Art tröstlichen Abendsegen und am Schluss klingt das "Salve Regina"
wie ein letztes Aufbäumen gegen die Todesangst. Der Widerspruch
zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen der religiösen Botschaft
und den erlebten Gefühlen bleibt unauflöslich bestehen. In genauer,
subtil ausgefeilter Körpersprache lässt Bieito diese Situationen
naturalistisch erstehen. Präzise sind die Figuren charakterisiert.
Besonders Irmgard Vilsmaier gibt der Rolle der Mutter Marie, sozusagen
Chefpropagandistin der Durchhalteparolen, darstellerisch vehementes
Profil. Auch stimmlich dominiert sie die Szene. Als sterbende alte
Priorin bietet Christiane Oertel eine wahrhaft erbarmungswürdige Szene,
während Erika Ross als neue Priorin nicht genug Profil entwickelt.
Großartig in ihrem naiven Gottvertrauen stellt Julia Giebel die Rolle
der Schwester Constance dar. Gegen die Frauen fallen die männlichen
Hauptcharaktere erheblich ab: Claudio Otelli singt einen allzu derben
Marquis de la Force und Dmitry Golovin bleibt als Bruder
von Blanche nichtssagend blass.
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ProduktionsteamMusikalische LeitungStefan Blunier Inszenierung Calixto Bieito Bühne Rebecca Ringst Kostüme Ingo Krügler Licht Franck Evin Chöre André Kellinghaus Dramaturgie Bettina Auer Video Robert Lehninger Bert Zander
Komparserie der
Solisten
Marquis
de la Force
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E-Mail: oper@omm.de
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