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Musiktheater
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Gespräche der Karmelitinnen

Oper in drei Akten und zwölf Bildern
Musik von Francis Poulenc
Text vom Komponisten nach einer Novelle von
Gertrud von le Fort und Dialogen von George Bernanos
Deutsche Textfassung von Peter Funk und Wolfgang Binal


In deutscher Sprache mit mehrsprachigen Untertiteln

Aufführungsdauer:  3 Stunden – eine Pause

Premiere am 26. Juni 2011
an der Komischen Oper Berlin


Homepage

Komische Oper Berlin
(Homepage)
Nonnen im Stapel-Regal

Von Christoph Wurzel / Fotos: Monika Rittershaus

Kann Religion Trost in Unglück und Verzweiflung spenden? Die Antwort, die Calixto Bieito mit seiner Inszenierung der Gespräche der Karmelitinnen der intensiv gläubigen Katholiken Francis Poulenc und Georges Bernanos gibt, vermittelt über diese Frage eher Skepsis als Gewissheit. Dabei hat Bieito, selbst Jesuitenschüler aber erklärter Ungläubiger, den tief religiösen Gehalt dieser Oper nicht zerstört oder gar skandalträchtig desavouiert, sondern durchaus bewegend und auch packend befragt. Ob es eine Erlösung aus existentieller Lebensangst durch die Kraft der Transzendenz geben kann, so wie sie als letzte Konsequenz im freiwilligen Martyrertod der Protagonistin Blanche de la Force, die sich als Schwester den Ordensnamen „von der Todesangst Christi“ gegeben hat, um gerade dadurch ihre eigene Todesangst zu überwinden - ob es also ein religiöses Motiv ist, das Blanche ihren unausweichlichen Tod am Schluss annehmen lässt oder der Wunsch nach einem Ende endlos erscheinender Qualen: dies bleibt in der Inszenierung an der Komischen Oper in Berlin schlussendlich offen. Eine religiöse Überhöhung des grausamen Endes der Nonnen, die  zuerst als Huren Gottes geschmäht, dann geschändet und sich in dieser Lesart schließlich selbst zur Hinrichtung ergeben auf den Boden legen, findet hier auf der Bühne jedenfalls nicht statt. Ihr Tod erscheint wohl als Erlösung -  aber nicht in einem christlichen Sinne, sondern eher als Erlösung aus schier unerträglich gewordener Lebensangst.

Vergrößerung Voller Todesangst: die verfolgten, geschmähten und misshandelten Ordensfrauen

Bieito und sein Inszenierungs-Team haben sich auf dieses Grundmotiv als bestimmendes Element der menschlichen Existenz konzentriert und es stellvertretend am Leben der Klosterfrauen exemplifiziert. Schon Gertrud von le Fort, nach deren Novelle das Libretto entstand, hatte darauf hingewiesen, dass die Geschichte der französischen Nonnen aus der Zeit der jakobinischen Terrorherrschaft für sie nicht allein  historische Bedeutung hat, sondern ihr „das Historische nur als Gewand für ein sehr aktuelles Problem“ gelte, wobei sie den Schrecken ihrer Zeit, den Nationalsozialismus, meinte. Mehr als legitim also, wenn Bieito im Schicksal dieser klösterlichen Opernfiguren nun auch ein Spiegelbild für Todesängste von Menschen in  ganz gegenwärtigen Situationen sieht. So tragen seine Karmelitinnen auch keinen Ordenshabit und jeder Bezug auf eine klösterliche Umgebung ist eliminiert. Stattdessen bleiben Position, Ort und Zeit der Handelnden unbestimmt. Deutlich beherrschen aber die Situation von Verfolgung und die daraus resultierenden Gefühle von Angst und Schrecken alle Szenen. Bereits das erste Bild findet nicht im Palais des Marquis  de la Force statt, sondern wirkt wie eine Straßenszene mit Menschen, die sich auf der Flucht befinden und schon nach dieser Szene wird man den vom Mob ermordeten Adligen, Blanches Vater, blutverschmiert auf einem Gerüst liegen sehen, was eigentlich im Libretto nur als Bericht an späterer Stelle eingefügt ist.

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Klösterliche Klausur: ein Stapelregal

In ihren metallenen Stockbetten kauern die meist verschreckten Frauen, und Angst bestimmt ihre hektischen Bewegungen. In aller Drastik zeigt Bieito den qualvollen Todeskampf der alten Priorin mit allen schrecklichen Attributen des Sterbens, darauf folgt später ausführlich die Totenwaschung. Religiöse Verfolgung wird augenfällig im dramatischen Auftritt des geschundenen Beichtvaters und schließlich wird das Todesurteil über die Nonnen von den Rängen des Zuschauerraums aus beklemmend per Lautsprecher verkündet. Gezeigt wird deutlich, wie Blanches Angst zunimmt. Ihre Flucht ins Kloster aus Furcht vor dem Leben draußen erweist sich als Angstspirale, aus der sie nicht entrinnen kann. Maureen McKay spielt das ganz eindrücklich und übermittelt auch stimmlich die Grenzsituation zwischen dem Ertragen und ihrem Überwältigtsein von Angst.
 

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Gebet gegen die Angst: Maureen McKay als Blanche de la Force

Immer wieder bricht auch in die Hoffnung auf Sicherheit und Geborgenheit im Kloster die pure Angst hinein. Vor Beginn der Oper singen die Nonnen (großartig die Solistinnen des Opern- und Ernst Senff Chores) Poulencs "Ave verum" wie eine Art tröstlichen Abendsegen und am Schluss klingt das "Salve Regina" wie ein letztes Aufbäumen gegen die Todesangst. Der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen der religiösen Botschaft und den erlebten Gefühlen bleibt unauflöslich bestehen. In genauer, subtil ausgefeilter Körpersprache lässt Bieito diese Situationen naturalistisch erstehen. Präzise sind die Figuren charakterisiert. Besonders Irmgard Vilsmaier gibt der Rolle der Mutter Marie, sozusagen Chefpropagandistin der Durchhalteparolen, darstellerisch vehementes Profil. Auch stimmlich dominiert sie die Szene. Als sterbende alte Priorin bietet Christiane Oertel eine wahrhaft erbarmungswürdige Szene, während Erika Ross als neue Priorin nicht genug Profil entwickelt. Großartig in ihrem naiven Gottvertrauen stellt Julia Giebel die Rolle der Schwester Constance dar. Gegen die Frauen fallen die männlichen Hauptcharaktere erheblich ab: Claudio Otelli singt einen allzu derben Marquis de la Force und  Dmitry  Golovin bleibt als Bruder von Blanche nichtssagend blass.

Unter Stefan Blunier spielt das Orchester der Komischen Oper ausgesprochen klangschön, Poulencs instrumentales Raffinement kommt herrlich zur Geltung. Besonders in den Zwischenspielen dringt die Musik zu ihrem emotionalen Gehalt eindrücklich vor. Durch Zäsuren und kleine Pausen gelingt eine Steigerung der Intensität, was dem Bühnengeschehen eindrucksvoll entgegenkommt.  


FAZIT

Wieder einmal zeigt Bieito sein Geschick für die überzeugende Ausdeutung einer Operngeschichte aus dem Blickwinkel der Gegenwart. Musikalisch kommt Poulenc voll zu seinem Recht.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Stefan Blunier

Inszenierung
Calixto Bieito

Bühne

Rebecca Ringst

Kostüme

Ingo Krügler

Licht
Franck Evin

Chöre
André Kellinghaus

Dramaturgie

Bettina Auer

Video
Robert Lehninger
Bert Zander

 

Komparserie der
Komischen Oper Berlin

Chorsolisten der
Komischen Oper Berlin

Mitglieder des
Ernst Senff Chores Berlin

Orchester der
Komischen Oper Berlin



Solisten

Marquis de la Force
Claudio Otelli

Blanche de la Force
Maureen McKay

Chevalier de la Force

Dmitry Golovnin

Madame de Croissy, alte Priorin

Christiane Oertel

Madame Lidoine, neue Priorin

Erika Roos

Mutter Marie
Irmgard Vilsmaier

Schwester Constance

Julia Giebel

Mutter Jeanne
Caren van Oijen

Schwester Mathilde
Maren Schäfer

Beichtvater
Peter Renz

1. Kommissar

Hans-Peter Scheidegger

2. Kommisssar

Thomas Ebenstein

Kerkermeister

Carsten Sabrowski

Schwester Anne

Margita Zalite



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Komischen Oper Berlin
(Homepage)



Da capo al Fine

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