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Zu viel des Guten
Von Bernhard Drobig
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Fotos: © De Nederlandse Opera / Ruth Walz
Als sich anno 1749, vier Jahre nach der reserviert aufgenommenen Uraufführung, Jean-Philippe Rameaus Ballet-buffon in seiner zweiten Fassung endgültig durchgesetzt hatte, nannte es der Enzyklopädist dAlembert das Spitzenwerk des Komponisten und des Musiktheaters. Und wirklich kann man nur staunen, in welch organischer Vielfalt dort Götter-, Menschen- und Tierwelt zusammen wirken, Natur und Zivilisation einander ergänzen, Elemente des Tragischen und Komischen sich verflechten, Ausdruckswerte der französischen und italienischen Oper konkurrieren und Deklamation, Arioses, Chöre und Tänze allesamt handlungsbezogen ineinander fließen, um nicht nur die erstarrenden Formen der Tragédie lyrique, sondern auch gesellschaftliche Verhältnisse kritisch zu beleuchten. Dabei handelt es sich im Grunde genommen um eine sehr einfache, aus dem antiken Reiseführer des Pausanias gewonnene Geschichte: Juno, die ihre Wut über ihres Gatten Liebesabenteuer im böotischen Kithärongebirge austobt, soll davon überzeugt werden, dass ihre Eifersucht grundlos ist, da Jupiter doch nur eine Kröte hofiert. Thespis, der mythische Gründer der Tragödie, sollte damit so der Prolog nach dem gemeinsamen Wunsch von Winzern, Konsumenten, Muse, Amor und Bacchus die Komödie neu erfinden. Platée in ihrer Loge (1. Akt)
Es liegt auf der Hand, dass ein Libretto wie dieses den gesellschaftskritischen Bezug auf näher liegende Zeiten geradezu herausfordert: In Straßburg beispielsweise hatte jüngst die französische Regissseurin Mariame Clément für ihre Inszenierung den American Dream of life aufs Korn genommen (unser Bericht). In Amsterdam nun machten Nigel Lowery und Amir Hosseinpour die Sumpfnymphe Platée zur Aufsicht über eine Toilettengroßanlage im Hof eines mehrstöckigen Wohn- oder Verwaltungsgebäudes, mit eigener zünftig eingerichteter Portiersloge: Adrett gekleidet und frisiert, mit assistierender Reinigungskraft (Clarine) versteht sich, träumt sie von mehr als den Kleinmünzen ihrer Kundschaft eine spätere Filmeinspielung auf einem geblümten Biedermeiervorhang zeigt sie mit einem begüterten Herrn unter sich auffällig bewegender Bettdecke und sich mehrende Säuglingspuppen: Ward ihr doch kein geringerer Bräutigam als Jupiter angekündigt, der sie freilich erst einmal in den Gestalten einer übergroßen Taube und eines kleinen Spatzes narrt. Zum Besuch in seinem schmucken, mit gepflegten Hecken und Säulengeländer eingefriedeten Etagenhaus dies das Bühnenbild des zweiten und dritten Aktes putzt sie sich ladylike in Jackenkleid und Hut heraus, sieht dort übrigens den Göttervater zunächst als Esel in seinem Wohnzimmer, ehe er bei brennender Satellitenschüssel als saturierter, Pfeife rauchender Bourgeois auftritt; und im Brautgewand lächelt sie gequält gönnerhaft in die Kameras dutzender Fotografen, allzeit schick, wennschon im Gegeneinander von Wort- und musikalischem Akzent unbeholfen schwerfällig, jedenfalls nicht so hässlich, dass Juno, zur Ja-Wort-Szene im froschgrünen Talar des als Hochzeitsgott Hymen auftretenden Weihbischofs verkleidet, beim Blick unter den Brautschleier einen Mark und Bein durchdringenden Schrei des Entsetzens hätte ausstoßen müssen Platée in ihrem Reich (1. Akt) Bunt und amüsant wie diese Protagonisten war auch die übrige Personnage gedeutet: der sturmgeplagte Kithäron in kurzer Hose als Pfadfinder, zusammen mit dem Edelpostboten Merkur in Butlergala mit Schirmmütze auf die Befriedung der Landschaft sinnend; Momus, der olympische Spötter vom Dienst, als Pressefotograf in Mantel und Schlapphut auf Beute lauernd; und La Folie, zur Unterhaltung der auf den Hochzeiter wartenden Platée endlose Phantasien im Brautschmuck darbietend, zeitweise umgeben von großen und kleinen Streichinstrumenten und selbst einem Cembalo, aus dem Orchestergraben auf die Bühne gehievt, doch nicht gespielt, sondern von einer akrobatisch herumwirbelnden Ballettgruppe wie in Totentanzdarstellungen genutzt. Und ja doch, auch librettofremde Gestalten belebten die Bühne, wie etwa eine Eskimofamilie als Repräsentanten der nur musikalisch vorgesehenen Nordwinde, des Umgangs mit der Toilettenanlage natürlich ungewohnt, ihr Chef Boreas als Superman in römischem Kriegerlook, und drei wohlgenährte Grazien, die mit mal schwarzen mal weißen Riesenfederfächern ihre prallen Backen abwechselnd ent- und verhüllten. Platée vor Jupiters Haus (2. Akt)
Revue pur, in der Tat, voller Slapsticks, und einer Gestik à la Hosseinpour, wobei alles, was sich an Chorsänger- und Baletttänzerkörpern bewegen lässt, aufwärts, abwärts, seitwärts, vorwärts, rückwärts, zuckend, gedreht, gestreckt, kreiselnd oder angewinkelt den Rhythmus der Musik visualisierte, freilich ohne jede Erweiterung jenes Repertoires, das anderenorts bereits auf Telemann angewandt worden war und déja vu zu Rameau keine zusätzliche Aussage mehr machte, geschweige denn sein variantenreiches Musterbuch der Tänze spezifiziert hätte. «Het gaat ons niet om het effect», erklärte Amir Hosseinpour im Vorab-Interview des Thatermagazins wirklich ganz und gar nicht? Rameau jedenfalls kam so zu kurz, weil parodiert statt parodierend. Dabei waren die solistischen Voraussetzungen der Produktion höchst ansehnlich: René Jacobs hatte mit Colin Lee einen unwahrscheinlich schönen Haut-contre für die Titelpartie gewonnen, der feiner Nuancierungen ebenso mächtig war wie er in seinem Spiel Eitelkeit und Ungeduld der Platée entzückend pfiffig abbildete. In der Helligkeit des Timbres und seiner Geschmeidigkeit vergleichbar, wennschon mit geringerer Durchschlagskraft, zeichnete Anders J. Dahlin einen wendig raffinierten Merkur, und Marcos Fink setzte mit seinem sonoren Bass ebenso wie Anna Grevelius mit markantem Mezzo die rechten Akzente für den selbstzufriedenen Jupiter und die noch selbstbewusstere Juno. Inga Kalna ging die hochvirtuose Rolle der Folie einschließlich aller Fiorituren eher dramatisch als locker verspielt an, faszinierte aber auch so vollauf mit ihrer brillanten Gesangs- und Schattierungstechnik. Und selbst in den Nebenrollen sangen und spielten Könner ihres Fachs. Dass der Chor der niederländischen Oper es trotz aller vokalen Solidität an ausgewogener Balance gegenüber dem Berliner Orchester fehlen ließ, war bei den ihm zugemuteten Zusatzaufgaben nicht verwunderlich. Orchester und Continuo indes vermittelten zwar die von Rameau geforderte Üppigkeit des Klangs recht ordentlich, taten sich aber mit der französischen Musikern offensichtlich näher liegenden Leichtigkeit und Blumigkeit der Partitur schwer, es sei denn, dass sie gehalten waren, mit ihrem Spiel auch den der Handlung immanenten Hauch des Melancholischen einzufangen. René Jacobs erfüllte seinen Part wie immer souverän, mit der ihm eigenen Verve und Aplomb.
Überbordender Einfallsreichtum in einem an sich hübschen, doch allzu unruhigen Szenario beließ weder Rameaus hochdifferenzierter Komposition noch den aufgebotenen musikalischen Leistungen den ihnen gebührenden vollen Stellenwert. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Choreographie
Solisten
Platée
La Folie / Thalie
Thespis / Mercure
Jupiter
Junon
Cithéron / Un Satyre
L'Amour / Clarine
Momus
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