Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Die Frau ohne Schatten

Oper in drei Akten
Libretto von Hugo von Hofmannsthal
Musik von Richard Strauss

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4h 20' (zwei Pausen)

Premiere im Opernhaus Zürich am 13. Dezember 2009
Besuchte Aufführung: 19. Dezember 2009


Homepage

Opernhaus Zürich
(Homepage)
Ein großer Strauss-Abend an der Limmat

Von Thomas Tillmann / Fotos von Suzanne Schwiertz


Der Kern der Frau ohne Schatten ist für David Pountney die Suche der vier Protagonisten nach ihrer psychischen Bestimmung in einer Welt, in der sich "ein ungeheurer Abgrund zwischen den Habenichtsen und den Besitzenden auftut": "In ganz Europa gab es während der 1920er und 1930er Jahre mit ihren tiefen wirtschaftlichen und sozialen Krisen diesen Gegensatz zwischen krasser Genusssucht und Reichtum und, unmittelbar daneben, extremer Armut, verursacht durch die rohen Exzesse der industriellen Revolution. Das sind die sozialen Realitäten, aus denen heraus das Stück lebt." Und so hat der Brite sich entschieden, das komplizierte Werk "im habsburgischen Milieu anzusiedeln und in wiedererkennbaren Räumen spielen zu lassen, in denen diese Figuren heimisch sind: Räume, in denen man sich vorstellen kann, wie zwei Eheleute ihre Beziehungskämpfe ausfechten oder eine junge Frau die Erfahrung macht, was es heisst, sich als eine Art Prinzessin in die Welt wirklicher Menschen zu begeben - wo man nicht einfach mit dem Finger schnipsen kann, und alle Wünsche werden erfüllt". Und so lernt die Kaiserin bei ihrem Abstieg ins Färbermilieu, das sehr realistisch gezeigt wird mit Nähmaschinen, an denen Kinder arbeiten müssen, zum ersten Mal das Proletariat kennen. Märchenhaft wirkt das alles nicht, nur die an den Kostümen der Amme, des Geisterboten und des Falken angebrachten Federn weisen auf eine andere Welt hin (und lassen an Max Ernsts „Vorstellungsvermengung von Menschen mit Vögeln" denken), die Stelzen des Geisterboten symbolisieren die höhere soziale Schicht der "Keikobads".


Vergrößerung Die Kaiserin (Emily Magee) verlässt ihre kleine heile Aristokratenwelt.

In der wirkungsvollen, von Jürgen Hoffmann exzellent beleuchteten Ausstattung von Robert Israel (Bühne) und Marie-Jeanne Lecca (Kostüme) finden sich in der aristokratischen Welt aber auch surreal-psychologisierende und symbolische Elemente: Da gibt es Kugeln verschiedener Größe und Farbe in der Luft, auf denen etwa der Falke sich herunterschlängelt, Eier als Symbole der Fruchtbarkeit, die Ungeborenen tauchen mit riesigen Babymasken tatsächlich auf der Bühne auf, was vielleicht nicht zwingend ist, aber manchem Zuschauer die ja als wahnsinnig komplex geltende Handlung plausibler macht. In diese Richtung geht wohl auch der riesige, auf Fählen gebaute Laufstall, an deren Gitterstäben riesige Babypuppen hängen und in dem die Kaiserin ihren Alptraum im zweiten Akt erlebt. Ich fand es auch keinen schlechten Einfall, für die Verführungsszenen eine kleine Varietébühne hereinzufahren (die Technik des Hauses ist zweifellos gut beschäftigt), auf der orientalische Exotik, Bauchtanz und Fische-Jonglieren geboten wird - kein große Attraktion für den Zuschauer im Jahre 2009, aber zweifellos für eine schlichte Färbersfrau in der von Pountney gewählten Handlungszeit. Im dritten Akt dann sieht man einen Ort der Zerstörung mit Zitaten aus den ersten Bildern, alles wirkt tatsächlich versteinert oder verklebt in der weißen Einheitsfarbe, eine "Welt", wie man sie sich nach einer Atomkatastrophe vorstellen könnte, wofür auch die Kutten der Protagonisten stehen, auf denen unwirklich wie in Röntgenbildern das Skelett durchschimmert, eine Art Hölle, in der die Paare keine Orientierung mehr finden (der Einsatz der Drehscheibe macht hier wirklich Sinn und ist keine Spielerei eines hilflosen Regieteams!) und trotz räumlicher Nähe aneinander vorbeistolpern.

Pountney erzählt das alles in größtmöglicher, erstaunlicher Klarheit und Dichte und ohne das Werk noch weiter zu verkomplizieren. Er scheitert meines Erachtens erst beim Finale, wenn alle Mitwirkenden sich zur Jubelmusik ihrer Kostüme entledigen und nun in Alltagskleidung quasi als Privatmenschen auf der jetzt ganz hellen Bühne stehen. Selbst die Darstellerin der Amme wird reintegriert und verteilt aus der mitgebrachten Terrine Suppe an die übrigen, und schließlich darf sogar noch die Inspizientin mit dem Regiebuch über die Bühne laufen - ein allzu abrupter, wenig nachvollziehbarer utopischer Brückenschlag in unsere Zeit und Wirklichkeit, der Kopfschütteln auslöst und Emphase und Pathos der Vorlage unangemessen banalisiert.


Vergrößerung

Der Färber Barak (Michael Volle) begegnet seiner Frau (Janice Baird) lange Zeit mit Güte und Nachsicht.

Grundsätzlich aber behält man die Meriten dieser Neuinszenierung in bester Erinnerung: Endlich erlebt man einmal wieder präzis gezeichnete Figuren aus Fleisch und Blut auf der Bühne, man interessiert sich für das Geschick der beiden Paare, man freut sich, dass hier Sänger nicht nur Töne abliefern oder in enervierendem Aktionismus Absurdes tun müssen, sondern eine jeweils eigene Körpersprache und Interaktion entwickeln - wichtige Indikatoren für die Sorgfalt, mit der der Intendant der Bregenzer Festspiele bei seiner bereits dreizehnten Regiearbeit für die Zürcher Oper im Vertrauen auf eine durchaus individuelle, aber bis auf den Schluss nicht egozentrische Lesart inszeniert hat.

Einen großartigen Partner hat er dabei in Franz Welser-Möst gefunden, der mit beharrlicher Arbeit und hoher Präsenz seit 1995 aus dem Orchester der Oper Zürich ein Kollektiv der ersten Kategorie geformt hat. Bemerkenswert war die Durchsichtigkeit, der mitunter fast kammermusikalische Ansatz, ohne dass darunter der Farbenreichtum gelitten hätte und man auf den typischen Strauss-Klangrausch hätte verzichten müssen. Der designierte Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper hat auch die Souveränität für eher ruhige Tempi, die den vielen intimen Momenten sehr entgegenkommen, die zu dem Bemerkenswertesten gehören, das man an diesem Abend zu hören bekommt, er muss nicht durch Hektik und vordergründige Brillanz blenden und die Zuhörer überrumpeln, auch nicht durch derbe Effekte und peitschende Rhythmik etwa in der Mahlszene des zweiten Aktes, er behält die Übersicht auch in den dramatischsten Momenten und ist den ohnehin stark geforderten Sängerinnen und Sängern, von denen die meisten als eher leichte Besetzung zu bezeichnen sind, ein verständnisvoller Partner.

Über besonders viel Applaus konnte sich Michael Volle freuen, der in dieser Serie seinen ersten Färber singt (die Premiere war überhaupt ein Abend der Rollendebüts, nur die beiden Soprane hatten ihre Partien schon anderswo gegeben) und sich mit seinem klangvollen, aber nach wie vor lyrischen Bariton, edler Gesangslinie und immensem Nuancenreichtum, exemplarischer, sehr natürlicher Diktion und erfüllter, aber nie aufdringlicher Darstellung in die Liste der ganz großen Rollenvorgänger einreihte, da fielen einzelne Töne in der tiefen Lage, für die er hörbar arbeiten musste, kaum ins Gewicht. Und doch fragt man sich, ob Partien wie Kurwenal, Jochanaan, Mandryka, Wozzeck und eben auch Barak - zumal an größeren Häusern wie dem an der Limmat und mit weniger rücksichtsvollen Dirigenten - nicht doch zu früh kommen.

Janice Baird überzeugte mich vor allem durch ihr engagiertes, erfreulich wenig plakatives, differenziertes Spiel: Bei allem Spott und aller Aggressivität sieht man eine zutiefst unglückliche, verunsicherte Frau, und so sind die Sympathien nicht so rasch verteilt wie in manch anderer Produktion: Beide Partner tun einem leid. Der harsche, mitunter geradezu schneidende, manchmal auch über Gebühr flackernde Ton indes, der immer mehr an ihre Lehrerin Astrid Varnay erinnert, ohne deren Intensität ganz zu erreichen, wird manchen irritieren, aber man ist schon beeindruckt von ihrem vokalen Stehvermögen und der puren Phonstärke, die zu erzeugen die Amerikanerin imstande ist, dann wieder von sehr zarten Passagen, die man nicht erwartet hätte und die viel vom ursprünglichen Charakter dieser Stimme erkennen lassen. Schade nur, dass sie sich gerade bei den großen Ausbrüchen gar nicht mehr um die Aussprache kümmert, trotz aller Vertracktheit ist das keineswegs eine quantité négligeable, auch wenn der Zuschauer den Text oberhalb der Bühne mitlesen kann, und man hört auch bereits ein "Loch" in der Mittellage, das mitunter mit harten Brusttönen kaschiert werden soll - eine riskante Art zu singen.


Vergrößerung Der Kaiser (Roberto Saccà) ist bereits gerettet und nicht mehr länger versteinert.

Emily Magees schlanker Sopran ist geläufig genug für die ersten Takte, und die Künstlerin hat auch keine Probleme mit den nicht wenigen Tönen über dem System, aber sie ist kein jugendlich-dramatischer Sopran, die Stimme klingt sehr hart und wenig liebenswürdig im nichtsdestotrotz sehr präsenten Forte, die Tiefe ist viel zu schwach ausgebildet, und man könnte sich auch einen etwas mädchenhafteren, weniger kühlen Ton vorstellen (was natürlich Geschmackssache ist). Spätestens im dritten Akt kommt die Sängerin trotz einiger bemerkenswerter inniger Momente bei schweigendem oder sehr leisen Orchester immer häufiger an Grenzen und schreit eher als dass sie noch singt, was mancher ausdrucksstark findet und manchen eher besorgt.

Birgit Remmert ist keine keifende, kreischende Sängerin im Spätherbst ihrer Karriere, die sich bei ihrer Interpretation auf außermusikalische Mittel, darstellerische Intensität oder auch Outrage verlassen muss, sondern eine Künstlerin im Vollbesitz ihrer Kräfte, die auf soliden Gesang und Zurückhaltung setzte und dem einen oder der anderen vielleicht eine zu diskrete Amme war, aber sicherlich eine, die ins Regiekonzept passte, das sie als eine Art Gouvernante oder Haushälterin sah, die für das Beibehalten sozialer Schranken und Contenance steht und versucht, das Mitleid der Kaiserin im Keim zu unterdrücken.


Vergrößerung

Barak (Michael Volle) und seine Frau (Janice Baird) haben noch nicht wieder zueinander gefunden. Der Falke (Beate Vollack) beobachtet die beiden.

Roberto Saccà gefällt als Kaiser auf Grund seiner exzellenten Diktion und der geschmackvollen Phrasierung, die zweifellos ihre Wurzeln in der Erfahrung mit Mozartrollen und im italienischen Repertoire hat. Die Stimme ist sicher nicht die eines Heldentenors, sondern verbindet lyrische Grundierung und dunkle Farbe, wobei man mitunter doch ein wenig Glanz vermisste und zumindest an diesem Abend die harte Arbeit für manche Pianophrase durchaus bemerkte, ohne dass der Künstler jedoch seine darstellerischen Bemühungen deswegen beschränkt hätte - mancher Kollege kämpft erheblich härter und weniger erfolgreich mit der unangenehmen Tessitura, so dass man hier doch von einer überzeugenden Besetzung sprechen kann, zumal der Tenor sich sicher mit wachsender Erfahrung noch steigern kann.

Die Inszenierung ist sehr auf die Hauptfiguren zugeschnitten, so dass man den Sängerinnen und Sängern etwas weniger Aufmerksamkeit schenkt, als sie verdienen. Herausragende Leistungen bleiben nicht in Erinnerung, weder in positiver wie in negativer Hinsicht, sieht man von der Tänzerin und Choreografin Beate Vollack, die die heiklen Klettereien in den wechselnden Federkostümen des Falken mit bemerkenswerter Sicherheit und Ausdruckskraft bewältigt, und Reinhard Mayr ab, der so selbstverständlich auf hohen Stelzen agierte, als täte er nie etwas anderes, und den Part des Geisterboten zudem sehr expressiv, wenn auch etwas ungeschlacht und im letzten Akt mit deutlichen Problemen in der Höhe sang.


FAZIT

Die Frau ohne Schatten bleibt ein schwieriges Stück, das weder szenisch noch musikalisch in einer einzigen Produktion in jeder Hinsicht wird überzeugen können. Trotz der gemachten Einschränkungen war dies aber ein großer Abend, der den guten Ruf der Oper Zürich bestätigt.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Franz Welser-Möst

Inszenierung
David Pountney

Bühnenbild
Robert Israel

Kostüme
Marie-Jeanne Lecca

Lichtgestaltung
Jürgen Hoffmann

Choreinstudierung
Ernst Raffelsberger

Choreographie
Beate Vollack



Chor, Zusatzchor,
Kinderchor und
Jugendchor
der Oper Zürich

Statistenverein und
Kinderstatisterie der
Oper Zürich

Orchester der
Oper Zürich


Solisten

Der Kaiser
Roberto Saccà

Die Kaiserin
Emily Magee

Die Amme
Birgit Remmert

Barak
Michael Volle

Sein Weib
Janice Baird

Der Einäugige
Valeriy Murga

Der Einarmige
Andreas Hörl

Der Bucklige
Martin Zysset

Der Geisterbote
Reinhard Mayr

Die Stimme des
Falken/Ein Hüter der
Schwelle des Tempels
Sandra Trattnigg

Der Falke
Beate Vollack

Erscheinung eines
Jünglings
Peter Sonn

Die Wächter der Stadt
Gabriel Bermúdez
Kresimir Strazanac
Tomasz Slawinski

Die Stimme von oben 
Wiebke Lehmkuhl

Dienerinnen/
Kinderstimmen 
Sen Guo
Rebeca Olvera
Irène Friedli
Anja Schlosser
Wiebke Lehmkuhl
Susanne Grobholz

Dienstbare Geister
und Erscheinungen 
Jaymee Bellprat
Linda Roncato
Beate Vollack
Adrian Hochstrasser
Andreas Schwarzer






Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Opernhaus Zürich
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2009 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -