Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-mail Impressum



Tancredi

Melodramma eroico in zwei Akten
Libretto von Gaetano Rossi
Musik von Gioacchino Rossini


Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere am 15. Oktober 2009 im Theater an der Wien (rezensierte Aufführung: 21. Oktober 2009)

Logo:

Theater an der Wien
(Homepage)

Szenisch bemüht, musikalisch werkgerecht brillant

Von Bernhard Drobig / Fotos: © Armin Bardel / Theater an der Wien

Rossinis erste, anno 1813 im Alter von knapp 21 Jahren für das venezianische La Fenice komponierte opera seria Tancredi hatte bislang nur zwei konzertante Wiedergaben in historischem Klangbild und frei von allen korrupten Aufführungsversionen des 19. und 20. Jahrhunderts gefunden, das erste Mal in der späteren Fassung mit tragischem Ende vor rund dreißig Jahren beim Westdeutschen Rundfunk durch die Cappella Coloniensis unter Gabriele Ferro, und dann anno 2007 in der Erstfassung mit lieto fine auf einer Europa-Tournee des Orchestre des Champs-Élysées, einstudiert von René Jacobs. Jetzt nun leitete er dasselbe Orchester, aber eine andere Vokalbesetzung, bei einer szenischen Wiedergabe im Theater an der Wien, wiederum vollständig und auf der Grundlage der seit 1984 vorliegenden kritischen Edition von Philip Gosset.

Foto kommt später Heimliche Rückkehr (Tancredi / Roggiero)

Selbstverständlich folgte Jacobs auch diesmal der Partitur und ihren Vortragszeichen vokal und instrumental mit der ihm eigenen Akribie, berücksichtigte dabei grosso modo auch die Verzierungsvorschläge Rossinischen Ursprungs und ergänzte sie für davon freie Rollen, ließ im übrigen nur an blockbildenden Schnittstellen zusätzliche Kadenzen hören und legte bei den sich in einer Cabaletta wiederholenden Kadenzen Wert auf ihre nach alter Tradition jeweils umfangreicheren Ausformungen. Dem Continuo der Seccorezitative (Hammerklavier nebst cellospezifischen Akzenten) wies er über die harmonische Stützfunktion hinausgehende Improvisationen zur Verdeutlichung situativer Stimmungen zu, den Orchestersatz reicherte er um Timpani an, die vom ausschließlich für die Ouvertüre notierten Einsatz her betrachtet auch für vergleichbare Inhalte zu ergänzen logisch ist, und den Beginn der Rossini-spezifischen großen Crescendi verlegte er früher als in der Partitur vermerkt an den Anfang der zu steigernden Blöcke, dies alles, um ebenso wie mit seiner umsichtigen Agogik ein optimales Fest des Belcanto zu gewährleisten.

Foto kommt später

Verängstigtes Wiedersehen (Tancredi / Amenaide)

Inhaltlich geht es bei der von Gaetano Rossi für das melodramma eroico umgearbeiteten Voltaire-Tragödie um einen normannischen Ritter, der sich, als Ausländer aus Syrakus verbannt, in Byzanz mit der dorthin wegen Adelsstreitigkeiten in Sicherheit gebrachten Amenaide verlobt hat. Als diese zur Versöhnung der verfeindeten Häuser Argirio und Orbazzano nach Syrakus zurückbeordert war, wird sie wegen eines abgefangenen, unadressiert an Tancredi gerichteten Briefes des verräterischen Umgangs mit den Syrakus belagernden Sarazenen verdächtigt und vor den Augen ihres heimlich zurückgekehrten Verlobten zum Tode verurteilt. Tancredi, der sich inzwischen incognito den Truppen Argirios angeschlossen hatte, kann zwar den Vollzug durch seinen Sieg im Gottesgericht verhindern, hält seine Braut aber dennoch für untreu, bis ihm der in der Schlacht gefallene Sarazenenfürst noch mit letzten Worten deren Unschuld bestätigt.

Foto kommt später Amenaides Verweigerung (von links: Isaura / Argirio / Amenaide / Orbazzano / Tancredi / Roggiero)

Die von Jacobs hierfür aufgebotene internationale Sängerriege erfüllte ihren Part in jeder Hinsicht bravourös; insbesondere die Kanadierin Vivica Genaux als Tancredi, die Polin Aleksandra Kurzak als Amenaide und der Südafrikaner Colin Lee als Argirio formten prägnant konturierte Rollenportraits. Letzterer mit einem berückend klaren, in der Höhe mühelosen Tenor als zunächst selbstherrlicher Politiker, dann aber nach dem Todesurteil über seine eigene Tochter in arge Gewissensnöte geratender Argirio. Androgyn wirkend setzte Vivica Genaux ihren kraftvollen Mezzo für des Titelhelden kontraststarke Gefühlslagen ein wie etwa sein banges Hoffen und das von Angst geprägte erste Wiedersehen oder seinen selbstlosen Einsatz trotz quälender Zweifel, blieb in ihrer Ausdrucksintensität freilich eher gleichförmig wie wenn im Grundsatz mehr auf Ritterpflicht und -ehre hin bedacht. Anders die Sopranistin Aleksandra Kurzak, die mit elegant gerundeter Stimme eine tief greifend gefühlvolle Rollenidentifikation zwingend über die Rampe brachte, ausgewogen differenziert in der Not, sich gegen Fremdbestimmung wehren zu müssen, wie im Hoffen auf, Bangen um und Leiden für Tancredi, dessen Sicherheit sie trotz ihrer ungerechtfertigten Verurteilung nicht aufs Spiel setzt.

Foto kommt später

Amenaide in Erwartung ihrer Hinrichtung

In den Nebenrollen bot der rau wirkende Bass-Bariton Konstantin Wolff ein plausibles Bild des zynisch machtbesessenen Argirio-Gegners Orgazzano, zeichnete Liora Grodnikaite mit weichem Mezzo eine feine Studie der durch Schweigepflicht gebundenen, dennoch teilnahmsvollen Amenaide-Vertrauten Isaura, und erfüllte Ruby Hughes die kurze Rolle des Tancredi-Knappen Roggiero mit klarem jugendlichem Sopran geschickt und schwungvoll. Den dreistimmigen Männerchor gestalteten dreißig Herren des Arnold Schoenberg Chores in der Einstudierung von Erwin Ortner trotz mancher darstellerischen Belastung (Stechschritt beispielsweise) vorbildlich, während das 48köpfige Orchester zwar aufmerksam, doch ohne spezifischen Ensembleklang musizierte.

Foto kommt später Sarazenen-Ultimatum

Die Szene war durchgehend vom marmornen Halbrund einer Palasthalle mit Kuppel suggerierendem Profilrand bestimmt; zwei Schiebeportale öffneten ab und an den Blick auf Strand, Ätnaaktivitäten und ins Sarazenenzelt, ein angesengter Riss quer durch den Palastboden symbolisierte die Folgen der Familienfehde um die Herrschaft, ein halbfertiges, später in Scherben herumliegendes Riesenpferd Größenwahn; eine Turn-Show indes als Reminiszenz an faschistoiden Körperkult – hier als Festattraktion zur Hochzeit Amenaides eingesetzt – wirkte reichlich bemüht ebenso wie das übermäßige Herumfuchteln mit Knarren und Kalaschnikows oder gar die kostümgestützten Anspielungen auf Mussolini und seine Zeit. Sei's drum, das alles hat die Musik nicht sonderlich gestört, zumal die Personenführung der Protagonisten, abgesehen vom werkfremden Widerspruch im lieto fine – Tancredi wendet sich endgültig von Amenaide ab – im Großen und Ganzen partiturfreundlich gestaltet war.


FAZIT

Zu leicht spektakulär belasteter Szene vermittelte René Jacobs einen subtil durchdachten, werkgerecht brillanten Zugriff auf Rossinis erste Seria und den Gesangsstil der Entstehungszeit.



Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

Produktionsteam

Musikalische Leitung
René Jacobs

Inszenierung
Stephen Lawless

Ausstattung
Gideon Davey

Bewegungsregie
Lynne Hockney

Licht
Patricia Collins


Statisterie des Theater an der Wien

Arnold Schoenberg Chor
(Leitung: Erwin Ortner)

Orchestre des Champs-Élysées


Solisten

Argirio
Colin Lee

Amenaide
Aleksandra Kurzak

Tancredi
Vivica Genaux

Orbazzano
Konstantin Wolff

Isauro
Liora Grodnikaite

Roggiero
Ruby Hughes


Weitere Informationen

Theater an der Wien
(Homepage)





Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-mail Impressum

© 2009 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -