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Musiktheater
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Armida al campo d'Egitto

Dramma per musica in drei Akten
Libretto von Giovanni Palazzi
Musik von Antonio Vivaldi
Rekonstruktion des zweiten Aktes durch Rinaldo Alessandrini und Frédéric Delamé


Aufführungsdauer: ca. 3h 10' (eine Pause)

Konzertante Aufführung am 22. Oktober 2009 im Theater an der Wien

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Theater an der Wien
(Homepage)

Armida in Liebesnot

Von Bernhard Drobig

So glücklich immer Musikforschung und -theater über die in der Biblioteca Nazionale Unversitaria von Turin archivierten Bestände Vivaldischen Opernschaffens sein mögen, eine direkte Umsetzung in Aufführungsmaterial und Szene ist damit längst nicht in allen Fällen gewährleistet. Von dem zur venezianischen Karnevalssaison 1718 für das dortige Teatro S. Moisè entstandenen dreiaktigen Dramma per musica Armida al campo d'Egitto, einem Werk, das außer in der Lagunenstadt alsbald auch in Ravenna und Vicenza nachgespielt worden ist, fehlt beispielsweise der zweite Akt komplett. Rinaldo Alessandrini, der Gründer und Leiter des heuer 25 Jahre bestehenden Ensembles Concerto Italiano, hat sich im Zusammenhang mit einer kritischen Ausgabe des Werkes und einer Konzerttournée nach Paris und Wien der Mühe unterzogen, zusammen mit Frédéric Delamé die Lücke zu schließen, freilich ohne im Programmheft des Theaters an der Wien die von wem übernommenen Aufgaben näher zu spezifizieren, ohne auch anzugeben, auf welchem gedruckten Libretto man die Rekonstruktion vorgenommen hat, ob die fehlenden Arien und Chöre im Parodieverfahren und nach welchen Vorlagen oder gar durch Neukomposition wieder gewonnen, nach welchen Prinzipien die Rezitative vertont wurden, und ob endlich der Austausch einer Arie des verlorenen Teils gegen eine aus dem dritten Akt rezeptionsorientiert oder aufführungsbedingt erfolgte. Und leider waren auch die sinnvoll vorgenommenen Striche in den durchweg langen Rezitativen im Abendprogramm ebenso wenig markiert wie die offensichtlich zusätzlich gesungenen Texte. Wie immer dem sei, es erklangen stolze 29 der abgedruckten 32 Arien und alle sechs kurzen, hier von den Solisten übernommenen Chöre.

Das von Giovanni Palazzi konzipierte Libretto dieser Armida lehnt sich zwar auch an Torquato Tassos Versepos Gerusalemme liberata an, thematisiert aber nicht die von anderen Komponisten oftmals vertonte Beziehung der Königin von Damaskus zum Kreuzritter Rinaldo, sondern rankt sich um das Hilfeersuchen der auf Rache sinnenden Verlassenen an den Kalifen, König von Ägypten, der seine Truppen in Gaza zum Angriff auf das von den Christen belagerte Jerusalem aufstellt. Allerdings steht nicht der Krieg im Zentrum der Handlung, sondern das Verhältnis Armidas zu zwei sie begehrenden Kriegern namens Adrasto und Tisaferno sowie zu Emireno, dem Feldherrn des Kalifen, und, damit verwoben, auch Liebeshoffen von Osmira, der Nichte des Kalifen, und Erminia, der Sklavin des Emireno. Armida versucht, bei Emireno anzukommen, doch er verweigert sich, da er, freilich irrtümlich, meint, von Erminia geliebt zu sein. Gelegen kommt der Königin die Bitte Osmiras, ihr zuliebe Adrastos Werben abzuschütteln, gelegen auch die Bitte Erminias, einem Waffenträger, jetzt Spion ihres ehemaligen Herren Tancredi, einen Brief mit Einladung zu einem nächtlichen Treffen zu übermitteln. Verschlagen spielt die Königin jedoch diesen Brief Erminio zu, der sich überlistet sieht, Armida jedoch abermals abweist. Dabei vom Kalifen überrascht behauptet sie nun, er habe sie vergewaltigen wollen, was ihn als Feldherrn untragbar macht. Zudem verhilft Armida noch Erminia zur Flucht und spielt auch Avancen gegenüber den Rivalen Adrasto und Tisaferno neu gegen Erminio aus. Als sie schließlich Letzterem beim ihr vom Kalifen überlassenen Tribunal droht, ihn hinrichten zu lassen, wenn er ihre Liebe nicht akzeptiere, erscheint die auf der Flucht aufgegriffene Erminia in einem Gewand mit Armidas Insignien, was deren intrigantes Spiel auffliegen lässt und Emireno rehabilitiert. Doch wer dann erwartet, dass sich nun eindeutige Paarungen ergäben, hört nur noch «alla guerra, all'armi», den Aufbruch zur Schlacht um Jerusalem.

So wie jetzt ihn Wien geboten, vertonte Vivaldi das Geschehen für sieben Vokalsolisten und vierstimmiges Streichorchester nebst Basso continuo. Nur bei einer Arie treten Hörner hinzu, nur am Ende des rekonstruierten zweiten Aktes färben Celli und Kontrabass eine sententiöse Arie des enttäuschten Kalifen ein. Das Gros der überwiegend in Da capo-Form gehaltenen Arien findet, abgesehen von gelegentlichem Unisono oder konzertierender Violine, seine raffiniert differenzierte Instrumentalbegleitung in kurzphrasigen, rhythmisch mannigfaltig pointierten, bisweilen auch imitatorisch vearbeiteten Motiven. Lebhafte Tempi überwiegen, wobei Arien mit geraden und ungeraden Takten sich in etwa die Waage halten, im rekonstruierten Akt auch einmal Rhythmuswechsel Formwechsel bedeutet. Arien in Moll sind selten. Die Gesangslinien reichen von langen Bögen bis hin zu perlend anmutender Syllabik, kleine Koloraturen finden sich dann und wann je nach Erregungsgrad bereits im Anfangsteil, einmal auch eine Art Eingangskadenz, auch diese Ausnahme in der Rekonstruktion. Großen Wert schien Alessandrini auf reichlich ausgezierte Dacapi zu legen, was sich vorteilhaft auf die Belebung des wegen der exklusiven Streicherbesetzung (hier 13 Musiker) nicht so leicht auszumachenden Formenreichtums auswirkte. Der sich durchweg auf Andeutungen beschränkende Basso continuo wirkte zwar blass, ließ aber den Protagonisten Raum zu individueller Auslotung der ihnen zufallenden Gesprächsinhalte, wobei zweimal sogar ein hitziges Ensemble trotz der für solche Interaktion ungeeigneten Aufreihung an der Rampe gelang.

In Auswahl und Einstudierung seiner Vokalsolisten bewies Alessandrini eine glückliche Hand. Allen voran machten die beiden Mezzosopranistinnen Monica Bacelli und Romina Basso in der auch ihre Körpersprache ergreifenden Auslotung von Emotionen fast vergessen, dass man nur einer konzertanten Aufführung beiwohnte: jene mit rund und füllig wirkender Stimme für die zielstrebig Adrasto begehrende Osmira, diese mit eher androgynem Timbre für den sich unbeirrt ihr und nur dem Schein nach und zum Ärger seines Rivalen Armida zuneigenden Adrasto. Gern hätte man sich Ähnliches von der sonoren Altistin Sara Mingardo in der Titelrolle gewünscht: Souverän in allen gesangstechnischen Belangen wirkte ihre Rollenidentifikation eher unterkühlt, wie wenn sie Armidas Begierde und Verschlagenheit hinter der Distanz gebietenden Fassade der Königin hätte verbergen wollen. Der sie oft abweisende und sie dadurch geradezu rachsüchtig machende Emireno fand für die energisch vertretene Geradlinigkeit seines loyal treuen Verhaltens in Maria Comparatos hell geartetem Mezzo eine stark bewegte Interpretin, während Raffaella Milanesi mit leicht dunkel gefärbtem Sopran Erminias Schüchternheit wie Hoffnung auf ein von Emireno unabhängiges Glück angemessen zarte Ausdruckswerte lieh. Unter den beiden einzigen Herren der Besetzung profilierte Furio Zanasi mit stramm geführtem starkem Bariton des Kalifen Herrscherwürde und –härte, während der wunderbar weiche und klare Countertenor Martin Oro mit frappierend weitem Atem und geschmeidigen Koloraturen die melodisch schönste Arie des Abends vermittelte – das aus dem verlorenen in den dritten Akt verlagerte «Quando in seno» –, obwohl ihm mit Tisaferno, dem Liebesrivalen Adrastos, eine eher skurrile Rolle zugefallen war.


FAZIT

Rinaldo Alessandrini und seinem Mitarbeiter gebührt das Verdienst, die relativ amüsante Handlung um eine entheroisierte Armida in Liebesnot und um eine reizende Palette anders gearteter Amouren wieder zu einem musikalischen Ganzen ergänzt und dabei manche ariose Schönheit wieder zugängig gemacht zu haben. Starker Beifall im voll besetzten Haus.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Rinaldo Alessandrini


Concerto Italiano


Solisten

Califfo
Furio Zanasi

Armida
Sara Mingardo

Osmira
Monica Bacelli

Erminia
Raffaella Milanesi

Emireno
Marina Comparato

Adrasto
Romina Basso

Tisaferno
Martin Oro


Weitere Informationen

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