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Da hilft nur beten!
Von Roberto Becker
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Fotos von Agathe Poupeney / Opéra national de Paris
Die Ähnlichkeiten sind wirklich nur Oberfläche: Als Gerard Mortier just an seinem 65. Geburtstag zum letzten Mal als Intendant der Pariser Oper geladen hatte und eine Fidelio-Produktion mit neuem Text, Starbesetzung und politischer Ambition vorstellte, da war die Pracht des großen Treppenhauses im Palais Garnier mit unzähligen Rosen in den schieren optischen Luxus gesteigert worden. Als jetzt sein Nachfolger Nicolas Joel mit der eigenhändig inszenierten Mireille von Charles Gounod mit der neuen Spielzeit auch seine Intendanz eröffnete, prunkte am selben Ort spätsommerlicher Blütenschmuck mit dem offenkundigen Wunsch, die Erinnerung an die Fidelio-Rosen zu übertreffen. Ansonsten könnte der Bruch größer nicht sein. Mortier hat zwar nicht alle Erwartungen erfüllt, aber er war der ambitionierte Kunst-Ermöglicher, der das La Monnaie in Brüssel nachhaltig in ein europäisches Opernhaus verwandelt, die Salzburger Festspiele umgekrempelt und die Ruhrtriennale auf den Weg gebracht hatte, bevor er in Paris den Kampf mit dem Riesentanker Nationaloper, den dort stets virulenten Gewerkschaften und einer eher konventionellen Opernroutine und erwartung aufnahm. Gewonnen hat er ihn zumindest beim Publikum - nur partiell. Denn sonst wäre die jüngste Premiere nicht so erschreckend widerspruchslos akklamiert worden. Inva Mula (Mireille) und Charles Castronovo (Vincent)
Dabei ist die musikalische Seite der Produktion zwar keine Sängersternstunde der Oper, aber doch dem Haus und dem Anlass angemessen. Dank Marc Minkowski und dem Orchester der Nationaloper, aber auch dank eines sich mit solider Einfühlung in der französischen Diktion bewegenden Ensembles angeführt von Inva Mula als Mireille und Charles Castronovo als Vincent. Musikalisch war diese Produktion ein Gewinn. Zumal Minkowski eben mehr ist als der Barockspezialist vom Dienst. Was Gounod an mediterraner Atmosphäre bei seiner Komposition der urprovencialischen Geschichte vor Ort einatmete, das vermochte der Dirigent im Graben auch wieder auszuatmen. Die Szene aber, die hatte als Chefsache den Charakter eines Statements, das mit Blick auf die letzten Jahrzehnte von Opernentwicklung auch in Frankreich verblüfft. Und das lautet ungefähr so: Oper ist Oper und kein Musiktheater. Sie hat auf keinen Fall etwas mit unserer Gegenwart zu tun, und auch der historische Entstehungskontext gehört nicht auf die Bühne, sondern höchstens ins Programmheft. Die Sänger sind zum Singen da und zwar, wenn es irgend geht, mit dem Gesicht zum Publikum und schön weit vorn an der Rampe. Schauspielen gehört ins Theater, für Sänger reicht der Leidensblick, die ausgestreckte Hand (bei Männern auch mal in der Hosentasche) bei Frauen auch mal im Gebet himmelwärts, völlig. Auf die Knie sinken oder mal zu Boden gehen ist die Obergrenze beim körperlichen Einsatz. Im deutschsprachigen Opernland müssten die Sänger das, was in dieser Mireille jetzt an antiquiertem (Nicht-)Spiel geboten wurde, wahrscheinlich erst lange einüben. Und sie würden es dann wohl nicht ganz ohne Ironie hinbekommen. An der aber fehlt es dem 56jährige Joel, der fast zwanzig Jahre der künstlerische Chef der Oper in Toulouse war. Inva Mula (Mireille) et Charles Castronovo (Vincent)
Dass die Spielzeit mit einer französischen Oper beginnt, ist nachvollziehbar, dass es aber ausgerechnet Charles Gounods Mireille aus dem Jahre 1864 ist, erstaunte dann doch. In ihren Quellen und der Ausführung ist das Ganze doch mehr Provinz als Provence. Dort hat die schlicht gestrickte Ausgangsgeschichte, für die Frédéric Mistral 1904 gleichwohl den Nobelreis erhielt, ihren Ursprung, und dort bleibt sie auch bei Gounod verhaftet. Mireille ist die Tochter eines reichen Pächters. Und sie liebt - nach Ansicht ihres Vaters - den Falschen. Vincent ist nur der Sohn eines armen Korbflechters. Außerdem steht der Vater im Wort beim Stierkämpfer Ourrias, dem er seine Mireille längst versprochen hat. Es kommt wie es kommen muss, zwar wird Vincents Rivale geradewegs in die Unterwelt entsorgt und auch der Vater kommt am Ende zur Besinnung. Aber es ist zu spät Mireilles Lebenskräfte sind im vergeblichen Kampf um ihre Liebe aufgebraucht, am Ende einer Pilgerreise bleibt ihr zwar eine Verklärung im Jenseits, aber keine Leben, geschweige denn eine Liebe im Diesseits. Diese himmlische Wendung wirkt am Ende ziemlich dick aufgetragen. In der Vergangenheit gab es sogar schon Bearbeitungen, die ein Happyend vorsahen. Doch viel schlimmer als das Original wäre das auch nicht. Alain Vernhes (Ramon), Inva Mula (Mireille), Anne-Catherine Gillet (Vincenette), Charles Castronovo (Vincent) et Nicolas Cavallier (Ambroise)
Garniert ist das mit einem natürlich scheiternden Mordanschlag des Stierkämpfers auf Vincent samt sofortigem Tod des Missetäters in den Fluten (wobei man in Paris die vorgesehenen Geister seltsamerweise im Off belassen hat). Auch aus der im Hexenhabitus auftretenden Alten (Sylvie Brunet), die sich immer auf der Seite der Bedrängten einmischt, macht die Regie nichts. Von geschärften Zuspitzungen oder ironische Brechungen ganz zu schweigen. Die Kostüme stammen aus dem Klischeefundus fürs adrette Landleben, die Bühne bietet als illustrierenden Hintergrund ein wogendes Getreidefeld, ein düster dräuende Steinwand und einen kitschig schimmernden Fluss.
Wenn diese Antritts-Inszenierung des neuen Intendanten der Pariser Oper wirklich programmatisch gemeint war, dann hat sich dieses große und wichtige Opernhaus als gegenwartsbezogenes und streitbares Kulturinstitut bis auf Weiteres verabschiedet. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreographie
Choreinstudierung
Solisten
Mireille
Vincent
Ourrias
Maître Ramon
Taven
Andreloun
Maître Ambroise
Clémence
Vincenette
La Passeur
Un Arlésien
Une Voix d'en haut
L'Echo
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