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Die Walküre

Erster Tag des Bühnenfestspiel Der Ring des Nibelungen
Text und Musik von Richard Wagner


in deutscher Sprache mit französischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 5h (zwei Pausen)

Premiere an der Operá National de Paris, Bastille am 31. Mai 2010


Homepage

Opéra national de Paris
(Homepage)

Grenzenlose Liebe und Wotans Trauer

Von Roberto Becker / Fotos von Opéra natinal de Paris / Elisa Haberer



Vergrößerung in neuem Fenster Die Gewalt regiert in dieser Welt, Szene aus dem ersten Aufzug

Schon zur Sturmmusik des Vorspiels steht eine Gruppe Männer in uniformem Grün dicht beisammen. Aus gutem Grund, doch ohne Erfolg, wie sich bald zeigt. Sie werden niedergemetzelt und bleiben auf dem Schlachtfeld Welt zurück. Das, was Siegmund kurz vor Beginn der Walküre erlebt hat, was ihn zur Flucht und in das Haus seines Verfolgers Hunding trieb, hat allerdings in dieser Weltordnung, über der Wotan und Fricka thronen, einen höheren Zweck. Denn was aus solchen Hingemetzelten wird, das sieht man am Beginn des dritten Aufzuges. Da werden nackte, blutverschmierte Leichen nach und nach für ihren Job in Walhall fit gemacht. Die properen, meist blonden und weiß gekleideten Walküren packen dieses Menschenmaterial, einen nach dem anderen, auf eine der Pritschen, säubern sie halbwegs und prüfen, ob sich die Glieder noch fügen. Und dann marschieren die auf solche Art zu neuem Leben Erweckten wie auf Kommando los. Vermutlich zur Einkleidung für Wotans Garde zum Schutz seiner Macht und seiner Götterburg. Die heißt hier in Paris, wie wir schon aus dem Rheingold wissen, eigentlich GERMANIA und versucht den Dimensionen der Freitreppe für den Einzug der Götter nach zu urteilen, Albert Speers entsprechendem Metropolenentwurf nachzueifern.


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"Winterstürme wichen dem Wonnemond": Siegmund und Sieglinde

Dem germanisch Militanten unserer eigenen, nicht allzu fernen Vergangenheit nachzuspüren, das ist offenkundig ein Leitmotiv in Günter Krämers zweitem Ringprojekt. Und es gelingt ihm in der Walküre überzeugender als im etwas revueplatt geratenen Rheingold. Dank eines der von Krämer-Inszenierungen ja hinlänglich bekannten, angekippten Riesenspiegels erhalten wir nämlich, sozusagen von schräg oben, einen Einblick in das Innenleben der Götterburg und sehen in doppelter Perspektive, wie Wotan in trauter Runde mit den Walküren um einen Tisch voller Äpfel tafelt. Das göttliche Frisch(halte)obst bestimmt den Speiseplan. Anderer, gar militärischer, Insignien der Macht als seines Speers bedarf dieser ziemlich jugendlich wirkende Wotan nicht. So, wie Thomas Johannes Meyer ihn gestaltet, nimmt man ihm sowohl das Bewusstsein über die Gefährdungen seiner Welt ab als auch den Versuch eines Umsturzes von oben. Nichts anderes will er ja mit seinem eingeschleusten Helden Siegmund und den von ihm begünstigten Tabubruch der Liebe zur Schwester Sieglinde erreichen. Dieser Inzest wird zum handlungstreibenden Politikum, weil Wotan damit ja eigentlich Fricka und deren starres konservatives Weltbild erschüttern will.

In seiner Walküre gelingt Krämer genau der Drahtseilakt, an dem Barry Kosky in Hannover gerade gescheitert ist: Er führt nämlich die innere Dynamik der Ringgeschichte mit der ambitionierten Analyse ihrer fortdauernden Relevanz in großen, hochpoetischen und opulenten Bildern zusammen. Und zwar jenseits aller illusionistischen Imagination einer Als-ob-Wirklichkeit. Durch die Fokussierung auf Symbole und eine mit ihrer Theaterform souverän spielenden offenen Ästhetik bleibt die Bühnensituation immer gegenwärtig. Und vermag dennoch zu verzaubern.


Vergrößerung in neuem Fenster Beginn des 2. Aufzugs

Die von einem flackernden Herdfeuer vorn links markierte Hunding-Hütte wird von zwei stilisierten Stämmen beherrscht, die mit ihren unzähligen Widder-Trophäen auf Fricka verweisen. Der Hausherr hat jenes gerahmte goldene Bild, hinter dem sich das Wunderschwert verbirgt, das Wotan dort für Siegmund deponiert hat, mit einem schwarzen Tuch verhängt. Als Sieglinde es dem Gast spontan zeigen will, fängt sie sich prompt eine Ohrfeige von Hunding ein. Der ist sowieso misstrauisch. Als er nämlich nach seinem Eintreffen Siegmund und Sieglinde nebeneinander stehen sieht, ist ihm die offenkundige Ähnlichkeit nicht entgangen. Gerät das Aufeinanderzu der Geschwister ziemlich konventionell und versucht vor allem die volle Bühnenbreite auszuschreiten, so wird der Einbruch des Liebesfrühlings zu einem ersten Coup der Inszenierung. Denn hinter den riesigen Jalousien und dauerverregneten Scheiben leuchtet plötzlich ein vom silbern gleißenden Mond beschienener Wald auf. Vielleicht ein blühender Kirsch-, eher aber wohl ein blühender Apfelgarten. Dessen Flirren verändert die Welt für die beiden, sie fliehen in die Natur – das blühe denn Wälsungenblut wird hier nicht zum Quickie hinterm Sofa (wie bei Kosky), sondern zum Aufbruch in die befreite Natur. Zumindest szenisch.

Musikalisch passiert nämlich erstaunlich wenig. Ausgerechnet in diesem Akt. Einerseits, weil Philippe Jordan hier allzu harmonisierend auf puren Schönklang setzt, zwar mit der Musik atmet, aber so, dass der Puls nicht schneller wird. Anderseits, weil Robert Dean Smith seinen Siegmund nahezu verschenkt. Viel zu kleinformatig, kein Glanz in der Emphase und die Wälse-Rufe zwar zum Gotterbarmen, aber so wie man es keinem Sänger wünscht. Dieser Siegmund machte den ganzen ersten Akt, trotz des großformatig auftrumpfenden Hunding von Günter Goisbröck und der mit Anstand um klar auflodernde Sieglinden-Leidenschaft bemühten, sich im Laufe des Abends gleichwohl noch steigernden Ricarda Merbeth, zu einem musikalischen Ärgernis.


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Wotan (auf diesem Foto, anders als in der Premiere, noch Falk Struckmann), der tote Siegmund und Fricka

Der zweite Akt dann beginnt nicht nur sofort mit dem starken Bild jenes Spiegels über den Treppen, die nach Walhall hinauf führen, sondern auch mit wachsender musikalischer Dringlichkeit. Das gilt für Brünnhildes und Wotans übermütige Begegnung, die packende Auseinandersetzung mit Fricka, aber eben auch für das in mustergültig klarer Diktion bewältigte „Laß ich's verlauten“ Wotans. Als sich der dann von der mit kühler Berechnung argumentierenden und sozusagen die Anzugsordnung wieder herstellenden Fricka (sie reicht Wotan sein Jackett und meint das als Ordnungsruf) in die Enge getrieben fühlt, und angeblich nur noch das Ende will, da kippt er nicht nur den Tisch um, sondern auch die ersten drei Buchstaben des Schriftzuges von GERMANIA.


Vergrößerung in neuem Fenster Brünnhilde und ihre Schwestern

Die verfolgten und gejagten Liebenden und Geschwister Siegmund und Sieglinde erscheinen dann auf einer rund ausgeleuchteten Fläche voller Äpfel - wie auf einem Präsentierteller für Fricka. Und dann geschieht es, das Wunder dieses Abends: Bei der Todesverkündigung nämlich sind Jordan und sein Orchester, Brünnhilde und (nolens volens auch) Siegmund ebenso ganz und gar bei sich und der dunklen Poesie dieser Musik wie die Inszenierung bei ihrem schönsten, suggestivsten Bild. Jener nächtlich blühende Liebeshain, in den Siegmund und Sieglinde geflüchtet waren, taucht jetzt im eiskalten Voll-Mondlicht wieder auf. Von dort winken geisterhaft raunend die Walküren aus einer anderen Welt zu Siegmund hinüber. Das ist einer der betörendsten, dem Ideal des Gesamtkunstwerkes nahekommenden Momente, die man nur selten erlebt. So in eins gehen die innere Strahlkraft einer Bildidee, deren inhaltlich konzeptionelle Verschränkung und ihre musikalische Realisierung nur ganz selten. Hier haben wir's erlebt, können wir mit Wotans Worten frohlocken. Dass Siegmund mit dem auf einer MP aufgepflanztem Bajonett in der Brust endet und von einer ganzen Horde von Hunding-Kriegern gemeuchelt wird und der vor Frickas Augen sein Leben auskeucht, nimmt diesem Bild nichts von seiner Wirkung.

Neben dem vielleicht noch nicht mit dominanter Wucht aufwartenden, jedoch exzellent artikulierenden Wotan von überzeugt hier die mit dramatischer Vehemenz auftrumpfende, gleichwohl nie in Schärfe abkippende Brünnhilde von Katarina Dalayman, die zudem durchweg mit souveräner Kondition aufwartet. Im Einklang mit der demonstrativen, unnachgiebigen Würde ihres großen Auftritts beim Streit mit Wotan steht ebenso die Fricka von Yvonne Naef.


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Großes Finale

Beim Walkürenritt dann steuern Krämer und sein Bühnenbildner Jürgen Bäckmann der offenkundigen Militanz und Perversion der Musik entgegen. Ein Zwischenvorhang erläutert in Sütterlinschrift den Zweck Walhalls. Er endet mit den Wotan Worten: „daß kühner Kämpfer Scharen ich sammle in Wahlhalls Saal!“

Auf Verschränkung und unauslöschliche Wirkung zielt auch das grandiose Schlussbild. In einer betörenden surrealen Vision, die das gesamte Walkürenpersonal versammelt, und an dem Erda noch einmal wie schon bei ihrer Prophezeiung vom düsteren Tag, der den Göttern dämmert, vorbeizieht, sieht man in Wotans schützendem Feuerring schon den Widerschein des großen Weltenbrandes. Aber so, dass man neugierig wird, was bis dahin noch alles passiert.


FAZIT

In den Sängerleistungen nicht durchgängig überzeugend, vermögen sich die Protagonisten und vor allem Jordan und sein Orchester an einem Abend so grandios zu steigern, dass diese Walküre als musikalische Glanzleistung in Erinnerung haften bleibt. Neben dem sich abzeichnenden musikalischen Gestaltungskonzept überzeugt vor allem die konzeptionell klare Interpretation Krämers. Sie macht durch ihre aufgegriffenen Bezüge das Rheingold rückwirkend tatsächlich zum Vorabend und neugierig auf die beiden folgenden Teile dieses Rings.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Philippe Jordan

Inszenierung
Günter Krämer

Bühne
Jürgen Bäckmann

Kostüme
Falk Bauer

Licht
Diego Leetz

Choreographie
Otto Pichler



Chor und Orchester der
Opéra national de Paris


Solisten

Siegmund
Robert Dean Smith

Hunding
Günter Groissböck

Wotan
Thomas Johannes Mayer

Sieglinde
Ricarda Merbeth

Brünnhilde
Katarina Dalayman

Fricka
Yvonne Naef

Gerhilde
Marjorie Owens

Ortlinde
Gertrud Wittinger

Waltraute
Silvia Hablowetz

Schwertleite
Wiebke Lehmkuhl

Helmwige
Barbara Morihien

Siegrune
Helene Ranada


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