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Der zaubernde NorwegerVon Roberto Becker / Fotos von Den Norske Opera
Kirstin Flagstad (1895-1962) war eine der größten Wagner-Sängerinnen, die es bisher gab. Man muss schon mit Martha Mödl kommen, um der Norwegerin eine vergleichbare Deutsche an die Seite zu stellen. Jeder Wagnerfan hat auch heute noch Flagstad-Aufnahmen in seinen Beständen. Nach dem Ende ihrer Sänger-Weltkarriere hat sich die berühmte Heroine ganz praktisch um das Opernleben in Oslo gekümmert. Ein richtiges, großzügig modernes und doch den jungen Erdöl-Wohlstand des Landes charmant unterspielendes Opernhaus haben sich die Norweger (für 500 Millionen Euro) aber erst jetzt geleistet. Dass eine lebensgroße Kirsten Flagstad in Bronze in bescheidener Operngeste dieses Haus, vom Vorplatz her, sozusagen staunend begrüßt ist daher eine pure Selbstverständlichkeit. Opernhaus
Die 1358 Plätze in dem Eichenholz-Saal mit seinen umlaufenden Rängen sind für eine Stadt wie Oslo, die nur etwas mehr Einwohner als Dresden hat, reichlich bemessen. Der Bau an sich hat sich längst zur architektonischen Attraktion gemausert, wie sonst wohl nur noch Calatravas Opernhaus im spanischen Valencia. In Oslo kann man auf den bis zum Boden hin angeschrägten Dachflächen sogar herum flanieren. Und man kann jetzt, knapp zwei Jahre nach der offiziellen Übergabe des Hauses, nach dem sich der Betrieb eingespielt hat und Startschwierigkeiten überwunden sind, auch endlich einen eigenen, ziemlich aufregenden Tannhäuser bestaunen, der nicht nur eine regionale Angelegenheit für Opernfans im Land der Fjorde ist. Zum Sängerkrieg lädt natürlich der vor allem in Deutschland zum Regiestar avancierte Norweger Stefan Herheim ein. Und der bietet die Mischung aus purem Theaterzauber und kluger, aufs Menschliche und die Zeiten zielender Interpretation, wie man sie von ihm gewohnt ist. Der Zuschauerraum spiegelt sich im Venusberg
Auch bei ihm stehen für die beiden Welten, zwischen denen Tannhäuser als Künstlertypus und als ein sich nach Liebe sehnender Mann zerrissen wird, unterschiedliche Frauentypen. Venus ist hier aber nicht nur eine sinnliche Frau oder Liebesgöttin, sondern in ihr personifiziert sich zugleich die Verführungskraft der Kunst, genauer der Oper. Herheim und seine kongeniale Bühnenbildnerin Heike Scheele haben schon oft mit ihren filmreifen Verwandlungen auf offener Szene pures Erstaunen und kindliche Freude in die Gesichter ihrer Zuschauer gezaubert. Diesmal aber toppen sie das noch, indem sie gleich zu Beginn das Personal des (zumindest gefühlt) kompletten Repertoires, samt Bühnenbild-Versatzstücken, aus der Kulisse heraus zum Leben erwecken. Es fängt ganz harmlos und für eine Herheim-Inszenierung irreführend nüchtern mit einem verspiegelten Bühnenkasten und erstarrt herumstehenden Passanten auf dem Bahnhofsvorplatz gleich neben der Oper an. Doch dann explodieren in der Videoprojektion die Bilder der Osloer Oper, ein wehender Schlund an der Rampe saugt die Herumstehenden einfach weg und aus der Kulisse erwachen sie alle: Aida und Carmen, die Königin der Nacht und Turandot, die beiden berühmten Augenklappenträger Wotan und Eboli, Siegfried, die Walküren und der Rosenkavalier, also so ziemlich alles, was auf den Besetzungszetteln Rang und Namen hat. Und jeder versucht, seine Rolle effektvoll über die Rampe zu bringen. Oper als opulente Verführung
Die Gegenwelt ist die Heilsramee, in deren Dienst Tannhäuser und Elisabeth wohl mehr Zuneigung zueinander entwickelt haben, als die Satzung der professionellen Helfer der Armen und der Bekehrer zum rechten Glauben zulässt. Wenn es nämlich beim Sängerwettstreit in der etwas schäbigen Zentrale dieser Heilsarmee, der sich zunächst wie ein gemütliches Vereinstreffen bei Kaffee und mitgebrachtem Kuchen anlässt, aus Heinrich herausbricht und das Stichwort Venusberg fällt, da fliegt nicht nur diese ganze Heilsarmee-Welt auseinander. Da ziehen die christlichen Biedermänner alle blank, krempeln die Ärmel hoch, greifen nach den Waffen im Wappen des Vereins und wollen Heinrich an Ort und Stelle meucheln. Da triumphiert der Stammtisch über einen Außenseiter. Hier ist die Fallhöhe zwischen dem ja auch wie eine Weltflucht wirkenden Zauber der Kunst und der Realität mit ihrer sozialen und ihren einengenden, pseudomoralischen Zwängen am größten. Da ist nicht nur für den bedrängten Heinrich Schluss mit lustig und sein Auf nach Rom die pure Flucht vorm entfesselten Mob der braven Biedermänner. Die Biedermänner als Mob
Wenn er zurückkehrt, ist auch Elisabeth der Welt abhanden gekommen, hat sich selbst mit einem Kostüm aus dem Fundus zur Maria stilisiert und spielt ihre Rolle bis zum Ende, wo der ganze Opernzauber noch einmal aufbricht und doch nur falsches Pathos verheißt. Immerhin erkennt Wolfram jetzt nicht nur die falsche Moral seines Vereins, sondern auch das falsche Pathos der kostümschwelgenden Opern-Bühne. Musikalischer Sieger des Abends ist die fantastische Hausakustik. Da glänzt vor allem Elisabet Strids als eine jedem größeren, hiesigen Opernhaus zur Ehre gereichende Elisabeth. Doch auch das übrige Ensemble, von Gary Lehmanns gut konditioniertem Tannhäuser über Judit Némeths sinnliche Venus bis zu Geert Smits Wolfram schlägt sich respektabel. Christian Badea am Pult des Orchester trägt die Sänger und demonstriert, wenn auch nicht jede Feinheit der Partitur, so doch die vorzügliche Hausakustik überzeugend. Das Publikum hat sein Vergnügen an dem Abend nicht nur am Ende, sondern auch schon ganz unkonventionell zwischendurch zum Ausdruck gebracht.
Stefan Herheim ist mit seiner Osloer Tannhäuser-Variante auf der Höhe seiner Bühnenzauberkunst und die neue Oper in Oslo ist dafür jetzt auch bereit! Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Choreographie
Dramaturgie
Solisten
Herrmann
Tannhäuser
Wolfram von Eschenbach
Walther von der Vogelweide
Biterolf
Heinrich der Schreiber
Reinmar von Zweter
Elisabeth
Venus
Ein junger Hirt
Vier Edelknaben
Sabine Gross Kari Lise Høgseth Tone Kristin Aasen
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