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Lulu als facettenreiche „Femme fatale“
Von Ursula Decker-Bönniger
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Fotos von Michael Hörnschemeyer Spannende Zeiten für Alban Berg- und Lulu -Fans in Westfalen: Neben der eindruckvollen Soltesz-Interpretation der Musik und den Bildern Dietrich Hilsdorfs in Essen eine Woche zuvor (unsere Rezension) eröffneten die Städtischen Bühnen Münster das diesjährige KlangZeit-Festival mit einer beachtlichen Inszenierung, die unter der Regie des Intendanten Ernö Weil bereits 2006 in Regensburg entstand und für Münster um den von Friedrich Cerha vervollständigten dritten Akt erweitert wurde. Während Hilsdorf in Essen die Tragik des Beziehungsgeschehens und die Passivität der Opferperspektive in den Vordergrund rückt, präsentiert Ernö Weil die Kunstfigur „Lulu“ als aktive „femme fatale“ in ständig wechselnden Gewändern, Haarfarben und gesellschaftlichen Rollen. Henrike Jacob (Lulu) 1. Akt, 2. Szene
In der ersten Szene posiert sie kokett als Lolita mit rot-weiß gepunktetem, aufgespanntem Schirm auf einem Podest. In der zweiten Szene weiß sie ihren zweiten Ehemann als dem Bade entsprungene, körperlich wohlgeformte Eva zu umgarnen oder Dr. Schön in rotem Gewand mit hochhackigen, roten Pömps zu verführen bzw. als junge Witwe in schwarzem, pelzbesetzten Mantel mit elegantem Hut ihre attraktiven Vermögensverhältnisse zur Schau zu tragen. In der Theaterszene ist sie die anmutige Künstlerin in dunkelblauem Seidengewand und prachtvollem, in verschiedenen Blautönen schillerndem Federkopfschmuck. Als Ehefrau und Mörderin des Dr. Schön fasziniert sie als erotische Domina mit dunkler Sonnenbrille, hautengen, schillernden Leggins, schwarzen Handschuhen und High Heels sowie einer Frack ähnlichen Weste, als verelendete Prostituierte erscheint sie im dritten Akt in Strapsen, pinkfarbenen Stiefeln und Hot Pants. Donald Rutherford (Schigolch), Henrike Jacob (Lulu) 1. Akt, 2. Szene
Ausgangpunkt der Weil-Inszenierung ist das Ende der Geschichte. Anstelle des Tierbändiger-Prologs präsentiert ein Gerichtsmediziner in einer Art Röntgenbild-Schaukasten die Opernfiguren als Tier-Collagen. Die „Schlange“ Lulu, geschaffen, um „Unheil anzustiften, zu locken, zu verführen, zu vergiften und zu morden“, wird als Tote auf einem Seziertisch hereingefahren. Grau gemantelte Bürger lauschen mehr oder weniger interessiert den Ausführungen des Gerichtsmediziners bzw. blättern ziellos in Büchern. In genauer Personenregie und teilweise grotesk wirkenden Überzeichnungen beleuchtet Weil die „Szenen einer Ehe“ als vielschichtige, interessensgeleitete Gesellschafts- und Beziehungsdramen, sodass das manchmal wie eine Collage unterschiedlicher Klangbilder wirkende Ausdrucksprinzip der durchkonstruierten Musik Bergs eindrucksvoll zur Geltung kommt. Ganz in diesem Sinne lässt Weil die instrumentalen Zwischenspiele, auch die Filmmusik zwischen den beiden Szenen des 2. Aktes, unbebildert wirken. Stimmig spiegelt das Bühnenbild den sozialen Auf- und Abstieg der Protagonistin und erinnert mit Art-Déco-Einrichtung und funktionaler Architektur der erhöhten Ebene zugleich an die Entstehungszeit des Wedekind-Textes einerseits und der Komposition Alban Bergs andererseits. Solisten und Sinfonieorchester Münster unter der Leitung Fabrizio Venturas überzeugen mit Spielfreude und dramatisch expressiver Farbigkeit. Olaf Plassa (Jack the Ripper), Henrike Jacob (Lulu), Suzanne McLeod (Gräfin Geschwitz) 3. Akt
Henrike Jakob ist eine attraktive, schauspielerisch brillante und sängerisch facettenreiche, kokette Lulu. Donald Rutherford gestaltet den verlotterten, Lulus Herkunftsmilieu in Erinnerung rufenden Schigolch mit wunderbar exaltierten, rhythmisch gebundenen Sprachmelodie-Passagen à la Schönberg. Olaf Plassas dramatisch aufblühender Bariton verkörpert einen eitlen, verklemmten, in seine Gefühle verstrickten, wohlerzogenen Dr. Schön, dessen starr und böse heruntergezogene Mundwinkel die Schattenseite als Lustmörder Jack the Ripper erahnen lassen. Wolfgang Schwaninger ist ein mit klangvoller Tiefe ausgestatteter Alwa Schön, Johannes Schwärsky überzeugt mit seinem kraft- und klangvollen, flexiblen Bassbariton als Tierbändiger und selbstverliebter Athlet. Fritz Steinbacher verführt vor allem in der Rolle des Marquis mit seinem hell timbrierten, schlank geführten, lyrischen Tenor. Auch Judith Gennrich als Gymnasiast und Andrea Shin als Maler sind überzeugend besetzt. Lediglich Suzanne McLeods wohlklingender Sopran schien an diesem Winterabend stimmlich angeschlagen, sodass sich ihr Stimmpart der Gräfin Geschwitz zuweilen z.B. im Streitgespräch mit Lulu in der Ensembleszene des dritten Aktes zu wenig behauptete.
Ein stimmiger, sehenswerter Kontrapunkt zur Hilsdorfs Inszenierung in Essen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne und Kostüme
Dramaturgie
Solisten
Lulu
Gräfin Geschwitz
Theatergarderobiere/ Gymnasiast/ Groom
Medizinalrat
Maler / Neger
Dr. Schön / Jack the Ripper
Alwa
Schigolch
Tierbändiger / Athlet
Prinz / Kammerdiener /Marquis
Theaterdirektor / Bankier
Eine Fünfzehnjährige
Ihre Mutter
Kunstgewerblerin
Journalist
Diener
Aujust/ Kameramann
Polizeikommissär
Professor
Diener des Prinzen
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