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Französische Sorgfalt
Von Bernhard Drobig
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Fotos: ©Frederic Iovino / Opéra de Lille
Dardanus, Jean-Philippe Rameau's fünfte Tragédie lyrique, auf ein Libretto von Charles Antoine Le Clerc de la Bruère, uraufgeführt anno 1739 in der Pariser Académie Royale de Musique, gehört seit ihrer Wiederbelebung am Anfang des 20. Jahrhunderts zu den am wenigsten aufgeführten seiner großen Werke für das Musiktheater. Zu den Gründen für die Zurückhaltung gegenüber dem in mythischer Vergangenheit angesiedelten, auf Prolog und fünf Akte mitsamt den Strukturelementen Lullyscher Prägung verteilten Geschehen mag unter anderem gehören, dass die in die Handlung weitgehend integrierten Tänze mehr als ein Drittel der Komposition ausmachen und eine szenische Wiedergabe erschweren. Gravierender noch dürfte gewesen sein, dass Rameau selbst - aus welchen Gründen auch immer - zahlreiche Umarbeitungen vorgenommen und schließlich zu neuem Libretto die drei letzten Akte für 1744 völlig neu gestaltet hat, wobei manches Schöne der früheren Komposition auf der Strecke blieb. Die Folge war, dass die ohnehin seltenen Interpreten Mischfassungen erstellten, die bei Verkürzung des Ballettanteils dem für die Handlung Notwendigen wie dem musikalisch Wertvollen gleichermaßen gerecht zu werden versuchten. Prolog: Venus hält Hof
Emmanuelle Haïm, die musikalische Leiterin der Neueinstudierung, und Regisseur Claude Buchvald entschieden sich für die ungekürzte erste Fassung des Werkes, mit der einen Ausnahme, aus der Umarbeitung von 1744 die Einleitung des vierten Aktes dessen älterer Gestalt voranzustellen, die wegen der harmonischen Kühnheit des dicht gewobenen Streichersatzes wie auch wegen der Ausdrucksintensität des scheinbar sogar von seinem Vater Jupiter verlassenen Titelhelden zu den absoluten Höhepunkten Rameau'scher Opernkunst zählt. Insgesamt zeigte sich, dass auch unabhängig von dieser punktuellen Erweiterung die Urfassung trotz aller Heterogenität ihrer Schauplätze und des hohen Ballettanteils an inhaltlicher und musikalischer Geschlossenheit nichts zu wünschen übrig lässt. 1. Akt: Vaters Wille
Zum Inhalt: Um einer politischen Allianz willen verspricht König Teucer seine Tochter Iphise dem Prinzen Anténor, sie jedoch liebt den Feind ihres Vaters, Dardanus, den Gründer von Troja, der sich auch seinerseits nach ihrer Liebe sehnt. Als er Rat beim Zauberer Isménor sucht, überlässt ihm dieser Gewandung und Zauberstab, um versteckt die ebenfalls um Rat nachsuchende Iphise sehen zu können. Beim Gespräch mit ihr aber wirft er schließlich die Verkleidung ab, wird so angreifbar und beim Tête-à-Tête von Teucers Mannen überwunden. Venus entführt ihn, lässt ihn träumend vorwegnehmen, was alsbald geschieht: er tritt gegen ein Monster an, erlegt es und rettet dabei Anténor, der sich ihm unterwirft und auf Iphise verzichtet. Teucer aber bleibt nur die Zustimmung zu ihrer Hochzeit mit Dardanus, während Venus und Amor ihre Macht feiern, die ihnen Hass und Eifersucht im handlungsbezogenen Prolog hatten streitig machen wollen. 2. Akt: Beim Zauberer
Regisseur Buchvald und sein Team schufen sich für dieses Geschehen ein frappierend einfaches Szenario: graue, zu Kulissen aufklappbare Seitenwände, davor wenige schmucklose Säulen, sich dann und wann auch zum Rund fügend, und ein wandelbarer Hintergrund, mal riesiger bräunlicher, wie aus Schilfrohren gebildeter Wandteppich, mal goldglitzernder Kordelvorhang, mal tiefschwarz als Folie für die nischenförmige, in verschiedenen Farben ausgeleuchtete Höhle des Zauberers, mal sturmbewegtes Tuch zur Andeutung von Meereswogen und Monsterfauchen. Die Weite des Bühnenraums war leer, sieht man von einem temporären Blütenthron und -Teppich der Venus und einer Szene mit gespenstisch beleuchteten Kriegerstatuen ab mit anderen Worten, es war viel Raum für die Interaktion der Protagonisten, des achtköpfigen Balletts und des oftmals in die Tanzrhythmen miteinbezogenen Chores, dessen mannigfache Gruppierungen wirkungsstarke Tableaus bildeten. 5. Akt: Am Ziel
Dazu trug außer der auch generell raffinierten Beleuchtung die insgesamt hellfarbene Kostümierung der Choristen bei, die, nur einmal durch übergeworfene Tücher für die Darstellung von Geistern verdeckt, von individuellen, südländisch anmutenden bunten Motiven geprägt war, witzig einfallsreich auch im variantenreichen Kopfschmuck. Das Ballett tanzte in wadenlangen pinkfarbenen Trägerröcken, als Geister des Hasses und der Eifersucht mit langen schwarzen Kordelumhängen. Die Protagonisten erschienen in zeitlosem Standeshabit: im blauen Königsmantel, rötelnder Lederrüstung für den Verbündeten, tiefschwarzem Gewand für den Zauberer, schlicht grünem bodenlangem Trägerrock für die Königstochter und verziertem Weiß mit Silberrüstung für den Jupitersohn Dardanus. Keine Spur von Antike und kaum ein Hauch von Barock, es sei denn bei der besonders ausgestatteten, einmal auch aus dem Bühnenhimmel herabschwebenden Venus. Und doch atmete alles den Geist des Barock, war alles trotz zeitlos natürlicher Körpersprache und Gestik vom damaligen Grundprinzip «nobility» bestimmt, wohltuend frei von modernistischen Regieexzessen, korrespondierte die Szene optimal zur sie stützenden Musik. Einziger Nachteil, dass das Bewegungsrepertoire der an sich leistungsstarken Tänzer, übrigens aufmerksam auf die Gliederung der Musik hin choreographiert, sich alsbald erschöpfte und der Chor wiederholt zu wenig einfallsreichen Armbewegungen ausholte.
Zeit- und stilgemäß indessen war der musikalische Part der Aufführung: im Ensemble Le Concert d'Astrée musizierten vierfach besetztes Holz, gelegentlich um zwei Piccoli erweitert, neben zwei Dutzend Streichern, im Continuo nur je ein Cembalo, Cello und Kontrabass, insgesamt vierzig leistungsstarke Musiker. Emmanuelle Haïm, Continuopassagen beiseite sitzend allenfalls durch Blickkontakte leitend, legte mit prägnant präziser Zeichengebung und treffsicherem Gespür für Balance und Tempi nicht nur die subtile Brillianz von Rameaus Orchestersprache frei, sondern auch den magischen Zauber ihrer schier unerschöpflichen Farbwerte. Auf der Bühne Stimmen ihrer Wahl, eine schöner als die andere, rollendeckend in Timbre und Volumen, prägnant deklamierend, ausdrucksstark in den ihnen zufallenden Airs, überzeugend auch in ihren darstellerischen Qualitäten. Kräftig leuchtete der füllige Sopran von Sonya Yoncheva als Venus, zierlicher der helle und leichte Diskant von Marie-Bénédicte Souquet als Amor, hier übrigens in einer Art Goldrüstung gleichsam wie ein Edelknappe der Liebesgöttin wirkend, lieblich weich selbst in Schmerz und Verzweiflung der modulationsstarke lyrische Sopran von Ingrid Perruche, die talentiert auch alle Attitüden von Iphises Hilflosigkeit und Verzweiflung nachvollziehbar machte. Wie hier verbietet es sich auch bei den Herren, eine Rangfolge anzusprechen: Andrew Foster-Williams bestach mit prächtig sonorem Bass als Zauberer, François Lis mit rollengerecht rüde wirkender Baritonfülle
Wieder einmal zeigte ein französisches Theater, dass souverän praktizierter Dienst am Werk allen beteiligten Interpreten wie dem Komponisten nur zur Ehre, dem Publikum aber zu ungetrübtem Genuss gereichen kann. Das der Premiere jedenfalls dankte mit einer Viertelstunde enthusiastischen Beifalls. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Choreographie
SolistenDardanusAnders J. Dahlin
Iphise
Anténor
Teucer
Isménor
Vénus
Amour
Tänzer
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