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Musiktheater
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La Traviata


Melodramma in drei Akten
Text von Francesco Maria Piave
nach dem Drama "La dame aux camélias" von Alexandre Dumas d. J.
Musik von Giuseppe Verdi


Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Köln am 28. November 2009


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Oper Köln
(Homepage)

Hilsdorf hat Angst vor der Traviata

Von Thomas Tillmann / Fotos: gibt's nicht

"Ich will die Besucher verzaubern und sie nicht vors Schienbein treten." Man möchte es nicht glauben, dass Dietrich Hilsdorf diesen Satz gesagt hat, genauer gesagt dem Kölner Stadt-Anzeiger in einem Interview, das im Vorfeld der Premiere von La Traviata erschien, die mit Spannung erwartet wurde, denn das frühere Regie-enfant terrible, das das Publikum in Fans und Gegner spaltete wie wenig andere, der provozierend-faszinierende Verdiexeget, dessen Essener Don Carlo und Aida bis heute für anregende Gespräche und leuchtende Augen sorgen, hatte bisher weder an der Kölner Oper gearbeitet noch sich an das beliebte Werk herangetraut.

Symptomatisch war das Affentheater am Ende des Abends, als man den Regisseur, vom dem in der laufenden Spielzeit an acht Theatern insgesamt fünfzehn Produktionen zu sehen sein werden, irgendwann zwischen Statisten und Choristen auftauchte, sich geradezu an die Rampe schlich, immer wieder von Mitwirkenden nach vorn gezerrt werden musste, sich aber nicht traute oder es nicht nötig fand, sich mit seinen Ausstattern, die irgendwann ziemlich unbeachtet von der Seite dazu kamen, den Reaktionen des Publikums zu stellen. Wenig beherzt, unsicher, im bloß Dekorativen verharrend, niemanden verstörend, aber auch wenig vermittelnd war dieser Abend, das Schienbein bleibt unberührt, das Herz aber eben auch.

Auch Günter Krämer hatte vor ziemlich genau zehn Jahren das populäre Stück nicht wirklich gegen den Strich gebürstet, sondern es unter konsequentem Verzicht auf plüschige Demimonde-Opulenz in den Ball- und Salonszenen auf die Befindlichkeiten der Protagonisten reduziert. Viele werden sich an den schräg abschüssigen Tenniscourt im Mittelpunkt der Bühne erinnern, der im weiteren Verlauf des Abends Symbol war für das kurze, flüchtige Glück der jungen Liebenden und später wie ein Käfig wirkte, an dessen Draht die herzlos-sensationslüsterne Partygesellschaft wie eine Raubtiermeute kauerte, um sich an Violettas Leid zu weiden, die sich am Ende verzweifelt an diesen Zaun krallt. Krämer hatte in seiner nüchternen Erzählweise Violettas Tragödie in unsere Zeit hinein geholt, hatte die Isolation Violettas betont, den Voyeurismus der sie umgebenden, gnadenlosen Meute - Dietrich Hilsdorf und sein Team setzen auf die Ästhetik des Film noir der fünfziger Jahre, auf exquisite Roben (Renate Schmitzer), auf die wechselnden opulenten, streckenweise mit Bühnennebel weich gezeichneten Räume eines westlich von Paris gelegenen Etablissements namens Le Coquet (Dieter Richter), in das Violetta zu Beginn einlädt, in dem sie mit Alfredo lebt und seinen Vater empfängt, mit dem Baron zum Ball kommt und auch stirbt. Besonderes Interesse kommt neben einer Empfangshalle, dem Restaurant und dem Hintereingang dem Waschraum zu, hier singt Violetta ihr "E strano", hier wird sie auch sterben, und die schnellen Wechsel zwischen den einzelnen Orten bewerkstelligt erstaunlich problem-, wenn auch nicht geräuschlos die Drehbühne. Umso weniger versteht man, warum vor dem letzten Bild, das sich kaum von den vorhergehenden unterscheidet, zum ersten Mal der Blick auf die Bühne verhindert wird, dazu noch durch einen scheußlichen Vorhang, auf dem jemand das Le Coquet im Stile eines schwachen Oberstufengrundkurs-Projekts gemalt hat und der noch eine ganze Weile unangenehm, wenn auch inzwischend transparent den Blick auf die Protagonisten erschwert.

Hilsdorf bietet solide Hausmannskost, die nur selten durch erfüllte Details Aufwertung erfährt, etwa wenn die Partysociety Violetta vor ihrer großen Arie geradezu einkreist und zu verurteilen scheint für den bloßen Gedanken, sich echter Liebe hinzugeben, wenn Giorgio Germont während seines Essens im Restaurant nicht einmal aufsteht und sich umschaut, als er sich Violetta vorstellt, wenn er seine Mahlzeit ungerührt fortsetzt, während diese vom nahenden Tod erzählt, wenn Alfredo ihr die Geldscheine beinahe aufs Gesicht drückt und mit dem Verteilen von Banknoten noch lange Zeit wie im Wahn fortfährt, wenn er das Medaillon nicht annehmen will, weil er nicht begreifen kann, dass die Geliebte stirbt, wenn am Schluss die tanzende Menge steht, die Violetta längst vergessen hat, und ins Publikum starrt, das sich erst nach dem langsamen Erlöschen des Bühnenlichts zu applaudieren traut - das sind gute Ansätze, die sich aber auf wenige Momente beschränken und letztlich untergehen in szenischer Beliebigkeit. Anstatt hier konsequent weiterzudenken, greift Hilsdorf einmal mehr zu Nebenhandlungen: Bereits zu Beginn interessiert man sich zu sehr für das alternde Paar, das zum Orchesterwalzer tanzt (die Zigarette in der Hand der Dame wird der einzige offensichtliche Hinweis auf Lungenprobleme bleiben), beim "E strano" und im letzten Bild für die Toilettenfrau, die ihre Schwangerschaft glücklich zu Ende gebracht hat, jetzt den altmodisch-schicken Kinderwagen mit zur Arbeit bringt und mit ihrer Besorgnis um den störungsfreien Schlaf des Insassen zeitweise mehr Aufmerksamkeit erzielt als die sterbende Protagonistin, weniger für das knutschende schwule Paar und das heterosexuelle unter dem Billardtisch während des zweiten Bildes des zweiten Aktes (dafür gibt es diesmal keine Kirchenkritik, keine lüsternen Kleriker am Bühnenrand, keine üppige nackte Statistin). Und auch die Idee überzeugt nicht, dass Violetta ihr schwarzes Ballkleid den ganzen Abend nicht ausziehen darf (was am Kollegentisch tiefsinnig als Illustration des Umstandes gewertet wurde, dass die Kurtisane nun einmal nicht aus ihrer Haut komme). Der Einfall, sie den Brief Germonts auswendig und operettenhaft-bitter vorlesen zu lassen, verpufft gleichermaßen.

Gefeiert wurde natürlich Olga Mykytenko in der Titelpartie, die sie auch schon in München, Riga, Brüssel und Lissabon kreiert hat (zu ihren weiteren Partien gehören Lucia, Gilda, Musetta und Mimì, Liù, Micaela und Nedda, aber auch bereits Tatjana) und für die sie zunächst einmal eine attraktive, fragile Optik mitbringt. Aber auch in vokaler Hinsicht hat sie einige Meriten: Die schlanke, eher helle Stimme trägt gut, ist auch ziemlich wendig, wenngleich die Koloraturen des ersten Aktes sehr nervös und merkwürdig gezwitschert klangen (und man erwartet von einem solch eher leichten Sopran doch auch das traditionell interpolierte Es). Interessanterweise gewinnt die Ukrainerin erst ab der Mitte des zweiten Aktes gesanglich an wirklichem Format, also genau in den Passagen, in denen man Grenzen erwartet hätte, im "Dite alla giovine" mischt sich ein tragischer Ton in die Stimme, das "Amami, Alfredo" kommt sehr entschlossen, und auch darstellerisch freut man sich über ihr sehr natürliches Spiel ohne Affekthascherei. Und doch: Irgendetwas fehlt, damit aus dieser routinierten Violetta eine wirklich große, berührende wird, vielleicht eben doch eine zupackendere Regie, die ihr dabei hilft.

Fernando Portari war als Alfredo bereits an der Hamburgischen Staatsoper und der Deutschen Staatsoper Unter den Linden zu erleben, wo er auch für den erkrankten Rolando Villazón an der Seite von Anna Netrebko in Massenets Manon einsprang. Die Stimme des elegant phrasierenden Brasilianers hat einen attraktiven dunklen Kern und klingt sehr zart und geschmeidig im Piano, viril im eher selten angeschlagenen Forte, aber zumindest an diesem Abend merkte man, dass der Künstler sich nicht recht wohlfühlt, wenn er Töne über dem System singen muss - einzelne Buhs rechtfertigte diese Schwäche allerdings nicht.

Den größten Applaus erhielt - namentlich nach seiner großen Arie - Georg Tichy, der in der ganzen Welt als Giorgio Germont gastiert hat, seit seinem Debüt an der Wiener Staatsoper im Jahre 1973 dort über 1000 Vorstellungen bestritten hat und nun seine ganze Erfahrung in die Gestaltung dieser Vaterfigur einbrachte, nicht zuletzt aber auch eine Stimme präsentierte, die keinerlei Verschleißerscheinungen erkennen ließ, sondern im Gegenteil noch immer zu zartesten Piani, langen Bögen und klangvollen Eruptionen fähig ist. Hinzu kam eine Expressivität, die er anders als mancher Fachkollege allein aus Musik und Text entwickelte, die nicht angewiesen war auf außermusikalischen Tricks und Mätzchen.

Ähnlich bejubelt wurde Markus Poschner, seit 2007 Generalmusikdirektor der Bremer Philharmoniker und des Theater Bremen und dort mit seinem eigenwilligen programmatischen Weg und der hervorragenden Orchesterarbeit mitverantwortlich für einen erstaunlichen Publikumsboom. Man war erstaunt, wie konzentriert und diszipliniert das Gürzenich-Orchester doch spielen kann, wenn der richtige Mann im Graben steht. Der 1971 in München geborene Oper-Köln-Debütant setzte vor allem auf spannungsreiche, aber nie gehetzt wirkende, fließende Tempi, auf straffe, saubere Ensembles, auf große Bögen und Zusammenhänge, verzichtete auf Sentimentalitäten und favorisierte vor allem über weite Strecken ein wunderbar intensives, nie körperlos oder nur leise wirkendes Piano, auf dessen Grundlage eben auch das Bühnenpersonal mit zarteren Farben und feineren Nuancen zu arbeiten in der Lage war, und selbst das Brindisi klang bei ihm frisch und nicht gewöhnlich.

Sehr diszipliniert präsentierte sich auch der Chor, während die Comprimari mit Ausnahme der jungen Adriana Bastidas Gamboa, die eine attraktive Flora mit frischem, sinnlichen Mezzo war, und Andrea Andonian, die schon vor zehn Jahren als Annina dabei war und mit inzwischen sehr reduzierten stimmlichen Mitteln eine wenig liebenswürdig gezeichnete Angestellte gab, kaum Ausstrahlung über die jeweilige Optik hinaus entfalteten.


FAZIT

Ein szenischer schwacher Abend mit musikalischen Highlights, die den Besuch der Aufführung dann doch lohnen, aber in der Summe auch nicht das Niveau erreichen, das der neue Intendant in seinem Haus realisiert haben möchte.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Markus Poschner

Inszenierung
Dietrich Hilsdorf

Bühne
Dieter Richter

Kostüme
Renate Schmitzer

Licht
Wolfgang Goebel

Chor
Andrew Ollivant

Choreografie
Athol Farmer


Statisterie der Oper Köln

Chor der Oper Köln

Gürzenich-Orchester Köln


Solisten

Violetta Valéry
Olga Mykytenko

Alfredo Germont
Fernando Portari

Giorgio Germont
Georg Tichy

Flora
Adriana Bastidas Gamboa

Annina
Andrea Andonian

Gastone
John Heuzenroeder

Barone Douphol
Martin Kronthaler

Marchese
Wolf Matthias Friedrich

Dottore Grenvil
Dennis Wilgenhof

Giuseppe
Alexander Fedin

Diener Floras
Charlie Kedmenec

Bote
Daniele Macciantelli


Weitere Informationen
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