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Der Mann ohne Eigenschaften
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Thomas Aurin Wenn man Wagners Ring nicht als fortlaufende Geschichte erzählen möchte, sondern die vier Abende an vier verschiedene Regisseure vergibt, dann sollte jede dieser Opern für sich eine eigenständige Bedeutung gewinnen. Tilman Knabe hat dieses Problem in seinem schmuddeligen Rheingold mit einer gehörigen Portion Frechheit eindrucksvoll gelöst, Dietrich Hilsdorf mit seiner großbürgerlichen Walküren - Familientragödie immerhin akzeptabel gelöst. Für den Siegfried hat die Essener Oper den Regie-Stab nun an Anselm Weber weiter gereicht, den amtierenden Essener und kommenden Bochumer Schauspielchef. Der hat sich dafür entschieden, hier ganz schlicht eine Geschichte, ein Märchen, nachzuerzählen, ohne dies weitergehend auszudeuten. Gerade das aber stellt einen Widerspruch zum Essener Vier-Regisseure-Konzept: Denn die Geschichte, die Wagner erzählt, hat eine unverzichtbare Vor- wie Nachgeschichte, und die fehlt Weber an allen Ecken und Enden. Sie nennen sich Siegfried (Johnny van Halen, l.) und Mime (Rainer Maria Röhr), aber wer eigentlich sind diese Herren?
Da leben zwei Gestalten, Siegfried und Mime, auf ziemlich buckeligem Untergrund das wird sich als der schuppige Panzer des Drachen Fafner erweisen. Eine hübsche, aber nicht für zwei Akte tragfähige Idee. Wer die beiden sind, wird nicht klar man könnte es im Opernführer nachlesen, aber in dieser Inszenierung haben sie eben weder Vergangenheit noch Zukunft, und Weber gibt ihnen nichts mit, das sie für die Gegenwart interessant machen würde. So irrt Siegfried ziemlich uninspiriert über die Bühne, schmiedet auf der rechten Seite vor sich hin (während Mime links steht), schaut später auf der linken Seite mit gezügeltem Eros Brünnhilde zu (während sie rechts steht), bleibt aber weitgehend teilnahms- wie profillos: Ein Mann ohne Eigenschaften. Bei einem ausgewiesenen Sprechtheater-Regisseur wie Anselm Weber durfte man zumindest auf eine ambitionierte Personenregie gespannt sein, doch weit gefehlt: So viel herumgestanden wie hier wird im Siegfried selten. Fafner (den Sänger Marcel Rosca sieht man erst beim Schlussapplaus, daher verweisen wir lieber auf Bühnenbildner Raimund Bauer). Siegfried und Mime sitzen drauf.
Auf Fafners Rücken stehen ein paar Mauern, dazu liegt ein bisschen Zivilisationsmüll herum. Alberich erscheint auf Krücken, und auf einer davon bläst Siegfried dann vergeblich seine Vogelrufe, als wolle er schlechtes Regietheater verhöhnen. Der Waldvogel ist im Käfig eingesperrt (Christina Clark singt derweil vorne an der Rampe), und der Brünnhildenfelsen schwebt als Meteorit vom Himmel herab. Das alles könnte auch ganz anders sein, ohne dass es auffallen würde, weil ein roter Faden nicht zu erkennen ist: Ein bisschen Märchen, ein ganz kleines bisschen Andeutung von Regietheater, ganz viel Stillstand. So sehen sonst schlechte Siegfried-Inszenierungen aus, die den Erzählfaden irgendwie von der Walküre zur Götterdämmerung weitergeben müssen, nur dass hier eben diese Anknüpfungspunkte fehlen. Nicht einmal einprägsame Bilder gibt es dazu. Natürlich kann man diese Oper einfach nur als Märchen nacherzählen, aber auch das müsste konsequenter sein und irgendwie deutlich machen, warum uns das interessieren könnte. In der Summe ist das ein uninspirierter und letztendlich ziemlich langweiliger Siegfried. Gehören irgendwie auch zur Geschichte, und zumindest singen sie toll: Der Wanderer Wotan (Almas Svilpa) und Erda (Lyubov Sokolova)
Die musikalische Seite, obwohl (nicht nur wegen der ausgezeichneten Essener Philharmoniker) von ganz anderem Kaliber, kann sich nicht ganz freimachen von der szenischen Langatmigkeit. Das elegant-flüssige, transparent entschlackte, aber auch eher symphonische als dramatische Dirigat von Stefan Soltesz müsste eine Entsprechung oder einen visuellen Gegenpol auf der Bühne haben, etwas, das der Musik szenische Glaubwürdigkeit verleiht so aber bleibt vieles im Bereich des unbestimmt Schönen, wenn auch auf sehr hohem Niveau. Allein in der Begegnung Wotans mit Erda gewinnt die Aufführung die nötige Wucht, weil der stimmlich in jeder Phrase souveräne, auch in der extremen Höhe noch sichere und klangschöne Almas Svilpa mit seiner vokalen wie szenischen Präsenz deutlich machen kann, dass es hier um alles geht (worauf man in den anderen Szenen nun wirklich nicht käme), und Lyubov Sokolova als geheimnisvoll abgedunkelte Erda mit gläsernen Farbbeimischungen einen aparten klanglichen Gegenpol bietet. Leuchtende Liebe: Siegfried (Johnny van Halen) und Brünnhilde (Kirsi Tiihonen)
Johnny van Halen steht die mörderische Titelpartie mit nicht allzu schwerem, aber doch substanzvollem (wenn auch klanglich etwas pauschalem) Tenor bis auf ein paar kleine Wackler sehr ordentlich durch, und das fast ganz ohne schreien, wie man es sonst so oft hört. Sehr störend ist allerdings sein Hang zu starkem Lispeln zumal Rainer Maria Röhr, manchmal klingt es fast boshaft, überdeutlich artikuliert und mit hellem, aber durchaus gewichtigem Tenor geradezu brillant artikuliert. In der Ausgestaltung bleibt Röhr allerdings allzu nett und freundlich, müsste, um der Figur Schattenseiten zu verleihen, mehr Mut zum Überzeichnen haben. Kirsi Tiihonen singt die Brünnhilde mit voller, in allen Registern sicherer Stimme und geschmackvoller Phrasierung und behält doch eine unterkühlte Distanz zur Figur, was sich nur zum Teil durch das unruhige Vibrato erklären lässt. Sehr ordentlich gibt Oscar Hillebrandt den Alberich, präsent in jeder Note; lustlos dagegen wirkt der Fafner von Marcel Rosca, der von irgendwo singen muss und nur per Lautsprecher eingesteuert wird. Der Waldvogel wird von Christina Clark mit leichter Stimme und viel Vibrato mehr gezwitschert als gesungen. Alles in allem freundlicher, kein frenetischer Applaus für die Sängerriege.
Szenisch ist dieser Siegfried verschenkt. Die musikalische Seite kann das nicht ganz ausgleichen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Videoinstallation
Dramaturgie
SolistenSiegfriedJohnny van Hal
Mime
Wanderer
Alberich
Fafner
Erda
Brünnhilde
Waldvogel
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