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Hexenjagd auf den Außenseiter
Von Stefan Schmöe
Häufig definieren sich soziale Gruppen über den Außenseiter, der nicht dazu gehören darf. Erst derjenige, der anders ist und die unausgesprochene Regeln und Rituale nicht befolgt, zeigt das Gemeinsame auf. Peter Grimes ist so ein Außenseiter, roh und gewalttätig, vor allem aber ein Einzelgänger. Und wie die Dorfgemeinschaft Grimes ablehnt, so distanziert er sich immer mehr von den anderen Fischern, sogar von der Frau, die er eigentlich heiraten möchte. Regisseur Immo Karaman stellt diesen Grundkonflikt zwischen dem Individuum und der Masse, der gesichtslosen Gruppe, in den Mittelpunkt seiner Inszenierung. Peter Grimes wird nicht das letzte Opfer sein, und das nächste ist bereits bestimmt: Die Lehrerin Ellen Orford, die Grimes liebt. Karaman choreographiert (unterstützt von Fabian Posca) virtuos die düstere Masse der Fischer und Dorfbewohner, lässt sie in den Kostümen von Nicola Reichert wie Gespenster, mitunter auch wie Hexenjäger erscheinen. Das ist oft von oratorischer Strenge. Davor heben sich umso schärfer die Figuren ab, denen Britten ein eigenes Gesicht gegeben hat, wie der Anwalt, der Pfarrer, der Methodist, vor allem aber die Wirtin mit ihren zwei Nichten, die sich den Männern verkaufen. Und natürlich die Hauptfiguren, der Kapitän Balstrode, die Lehrerin Ellen und eben Peter Grimes, dessen Lehrjunge unter merkwürdigen Umständen verstarb und dessen neuer Lehrjunge bei der Hetzjagd auf Grimes ebenfalls zu Tode kommen wird. Karaman zeigt keine beschauliche Geschichte, sondern eine spannungsgeladene Figurenkonstellation. Es gibt keine schützenden Wände, hinter die sich Grimes zurückziehen könnte. Die Personen treffen sich auf offener Kampffläche. Wichtig ist bei Peter Grimes aber auch, was ein Regisseur nicht zeigt. Es liegt nahe, in der tragischen Verknüpfung der Titelfigur mit den beiden toten Fischerjungen homoerotische Motive zu suchen, wie sie der homosexuelle Komponist in fast jedem seiner Werke eingebaut hat. Diese Ebene blendet Karaman allerdings komplett aus. Letztendlich bleibt die Beziehung von Grimes zu seinem Lehrling John ziemlich unbestimmt, scheint fast zweitrangig; der Mechanismus, mit der hier ein Außenseiter aus der Gemeinschaft verstoßen wird, braucht bestenfalls einen Anlass, aber keine Ursache. Ganz gerecht wird Karaman dem Werk unter diesem Gesichtspunkt nicht, aber er findet starke, düstere Bilder für seinen Ansatz, und ästhetisch gelingt es ihm hervorragend, die Atmosphäre festzuschreiben. Es ist kein Genrestück aus dem Seefahrermilieu, das hier vorgeführt wird, aber trotz einer abstrahierenden Erzählweise ist das Meer auf geniale Weise im Bühnenbild von Kaspar Zwimpfer präsent. Ein breites Band zieht sich über die gesamte Bühne, in das Fenster und Türen eingelassen sind und dieses Band ist gleichzeitig das Meer. Es ist im ersten Bild flach wie die ruhige See, wirft dann erste Wellen, türmt sich später immer weiter auf und droht schließlich wie eine Flutwelle über alles hereinzubrechen, wobei die dann leeren Fensterhöhlen schon die Zerstörende Gewalt andeuten. Grimes winzige Hütte treibt darunter wie ein verlorenes Floß. Andererseits kann man in den Faltungen dieses Bühnenbild-Bandes nicht nur das Meer, sondern auch ein Schiff erkennen. Das ist ein raffiniertes Spiel mit Formen, und es vermittelt sehr genau einen Schwebezustand zwischen Abstraktion und dem Rahmen einer Geschichte, die recht genau erzählt sein will. Wie das Meer auch in der Musik eine gewichtige Rolle einnimmt (mit sechs symphonischen Zwischenspielen), so hat es in dieser eindrucksvollen Bildsprache visuell eine dominante Funktion. Dazu passen szenische und musikalische Interpretation hervorragend zusammen. Axel Kober, neuer Chefdirigent der Rheinoper, betont mit den famos spielenden Düsseldorfer Symphonikern die rhythmischen und perkussiven Elemente von Brittens Musik. Die Interpretation ist sehr trocken, gänzlich unromantisch, oft von schneidender Schärfe, wuchtig und kantig. Dagegen stehen kristallin klare Klangflächen der hohen Streicher. So radikal in den Mitteln, so modern hat man Britten selten gehört. Das umfasst genauso das ausgezeichnete Sängerensemble wie den exzellenten, sehr präzise artikulierenden und phrasierenden Chor (Einstudierung: Gerhard Michalski). Roberto Saccà bringt für die Titelpartie die stimmliche Beweglichkeit und Geschmeidigkeit, auch eine Spur Italianitá, des gelernten Mozarttenors mit, verfügt über eine sichere Höhe, aber auch über große Kraftreserven. Die Stimme ist nicht riesig, aber durch den hellen, leicht metallischen (aber nicht festen) Klang sehr durchsetzungsfähig. Saccà singt jede Phrase klangschön aus, ohne an Expressivität einzubüßen das ist eine starke Besetzung. Weniger differenziert, aber mit Riesenstimme singt Tomasz Konieczny den Kapitän Balstrode. Dagegen fast zerbrechlich klingt die Ellen Orford, die Gun-Brit Barkmin mit recht direkter und leicht scharfer, dabei aber gut fokussierender Stimme singt und sehr nuanciert gestaltet. Profilieren können sich aber auch die kleineren, sehr genau gesungenen Partien: Florian Simson mit schön geführtem Charaktertenor als Methodist Bob Boles, Jane Henschel als zupackende Wirtin, Elisabeth Selle und Anett Fritsch als mädchenhaft klare Nichten, Rebecca de Pont Davies als klangschöne Mrs. Sedley sowie Bruce Rankin als Pfarrer und Sami Luttinen als Anwalt.
Fulminanter Einstieg von Axel Kober als neuem Chefdirigenten mit einer entschlossen modernen, punktgenau einstudierten musikalischen Interpretation - nach vielen Halbherzigkeiten in den vergangenen Jahren endlich einmal wieder ein konsequenter und dadurch großer musikalischer Abend. Die Inszenierung liefert eindrucksvolle Bilder dazu. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
SolistenPeter GrimesRoberto Saccà
Ellen Orford
Captain Balstrode
Auntie
Erste Nichte
Zweite Nichte
Bob Boles
Swallow
Mrs. Sedley
Pastor Adams
Ned Keene
Hobson
John, Grimes' Lehrjunge
Dr. Crabbe
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