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b.04

Baker's Dozen

Ballett von Twyla Tharp
Musik von Willie „The Lion“ Smith (arrangiert von Dick Hyman)

Pavane auf den Tod einer Infantin

Ballett von Kurt Jooss
Musik (Pavane pour une infante défunte) von Maurice Ravel

Neither

Ballett von Martin Schläpfer (Uraufführung)
nach der gleichnamigen Oper von Morton Feldmann
Text von Samuel Beckett


Aufführungsdauer: ca. 2h (eine Pause)

Premiere am 30. April 2010 im Opernhaus Düsseldorf
(rezensierte Aufführung: 15. Mai 2010 im Opernhaus Düsseldorf)


Homepage

Ballett am Rhein / Rheinoper
(Homepage)
Grenzüberschreitungen

Von Stefan Schmöe

Neither: Das Stück nennt sich ganz klassisch „Oper in einem Akt“, ist aber viel mehr eine Anti-Oper. Keine Handlung, nicht einmal ein in der Vertonung verständliches Libretto (das nämlich in einzelne Laute aufgelöst wird), und selbst der dem Ganzen zugrunde liegende kurze Text von Samuel Beckett deutet auf den Gebrauch als konventionelle Oper hin. Nun deutet schon der Titel Neither - „weder“ (ohne das nachfolgende „noch“) – an, dass es hier etwas verquer zugeht. Ein Fall also für Theatermacher, die andere Zugänge suchen als die klassische Erzähloper. Trotzdem erscheint es wunderlich, dass innerhalb kurzer Zeit gleich zweimal in der Rhein-Ruhr-Region sich Choreografen dem Werk tänzerisch nähern - erst in Gelsenkirchen von Annett Göhre (unsere Rezension), jetzt Martin Schläpfer im Düsseldorf-Duisburger „Ballett am Rhein“. Denn die verwobene, oft kammermusikalisch feine Musik mit Anklängen an die minimal music hat so gar nichts Tänzerisches. Annett Göhres Versuch war nicht zuletzt deshalb reichlich Unbestimmten gestrandet.

Martin Schläpfer kann am Rhein natürlich mit ganz anderen Mitteln arbeiten; 45 Tänzerinnen und Tänzer listet das Programmheft auf, dazu kommt eine Rauminstallation von rosalie, die es sich erlauben kann, als Beleuchtung einer Bühnen beherrschenden Plastik aus verdrehten Quadraten eine komplexe Videoinstallation zu verwenden: Architektonische Landschaften, so hilft das Programmheft weiter, die man aber nicht mehr erkennen kann. Ähnlich wie Feldmans Musik klingt, als sei sie aus Bruchstücken einer verschwundenen Partitur entstanden, arbeitet rosalie hier mit nicht greifbaren Elementen, deren Existenz man mehr ahnt als kennt, die in Abstraktion fast völlig aufgelöst sind, in denen aber noch etwas von ihrer Herkunft mitschwingt. Ein metallisch blaues Licht beherrscht die Bühne (graublau sind auch die leichten Kleider, Hemden und Hosen der Tänzerinnen und Tänzer), das wiederum mit Feldmans silbrigen Klangfarben korrespondiert.

Aber auch das wäre nutzlos, würde Martin Schläpfer nicht virtuos die Bühne füllen können. Alles ist hier in sanftem Fluss, nahtlos wachsen aus großen Ensembleszenen kleine Gruppen oder Paare heraus und umgekehrt. Nichts ist greifbar, und doch scheint alles einer strengen Regel unterworfen zu sein: So bekommt das Unbestimmte auf grandiose Art künstlerische Form. Neither wird zum Werk kleinster Nuancen und Übergänge und erzählt gleichzeitig viel von der Verletzbarkeit der Tanzenden. Sopranistin Alexandra Lubchansky fügt sich mit klar konturiertem, in jeder Phase sehr souverän geführtem Sopran im Orchestergraben perfekt in das Spiel der sehr guten Düsseldorfer Symphoniker ein, Dante Anzolini am Dirigentenpult ist ein umsichtiger Leiter.

Vorangestellt sind diesem Hauptwerk des Abends, dessen Choreographie hier seine Uraufführung erlebt, zwei recht kurze ältere Werke – mit denen Schläpfer seinem Programm folgt, eigene Arbeiten mit Werken des Repertoires zu kontrastieren. Der rote Faden, der thematisch locker, aber dennoch wirkungsvoll den Abend zusammen hält, könnte man mit „Grenzüberschreitungen“ bezeichnen. Bewegt sich Neither virtuos auf der Abbruchkante des tänzerisch Machbaren hin zum Stadium der Auflösung, so ist Twyla Tharps Baker's Dozen eine sehr viel handfestere Studie über die Verschmelzung von klassischem Ballett und Gesellschaftstanz. Auf Klavierstücke von Willie „The Lion“ Smith (1897 – 1973), einem Vertreter des „Harlem Stride“ in der Ragtime-Nachfolge, integrieren sechs Paare den Twist und Ähnliches in die hohe Ballettkunst, und das auf sehr witzige Weise. In dem 1979 entstandenen, etwa 20-minütigen Stück verschmelzen die verschiedenen Stile mit großer Selbstverständlichkeit ineinander. Das ist mit leichter Hand, aber großer Genauigkeit choreographiert und hier auch perfekt getanzt. A Baker's Dozen, also ein „Bäckerdutzend“ (nämlich 13 statt 12) lässt sich hier verstehen als ein Sprachbild für Großzügigkeit, mit dem die Stilgrenzen im Handstreich weggewischt werden.

In der Mitte des Abends steht ein gerade einmal fünfminütiger Klassiker des Tanzes: Pavane auf den Tod einer Infantin von Kurt Jooss aus dem Jahr 1929. Auf ein Klavierstück Maurice Ravels hin tanzen fünf Damen und drei Herren des spanischen Renaissancehofes eine strenge Pavane, der sich die Infantin zu entziehen versucht: Ein Ringen zwischen Strenge und Freiheit, das mit dem Tod der Infantin endet und immer noch von großer Faszination ist – leider an diesem Abend zwar ordentlich, aber doch schwächer getanzt als die beiden anderen Werke. Carolina Francisco Sorg als Infantin fehlt es ein wenig an unbekümmerter Leichtigkeit, um es mit dem gravitätischen Hofstaat aufzunehmen. Cécile Tallec am Klavier ist eine zuverlässige Begleiterin, in der Interpretation etwas zu pauschal den Mittelweg suchend: Für die swingende Musik zu Baker's Dozen könnten die Ecken und Kanten noch pointierter sein, Ravels Pavane pour une infante défunte dürfte noch entrückter klingen.


FAZIT

Wieder ein ganz starker Abend für das Ballett am Rhein, das sich in großer Tanztradition positioniert und mit Neither auf geniale Weise in Grenzbereiche vorstößt.


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Produktionsteam

Baker's Dozen

Choreographie
Twyla Tharp

Kostüme
Santo Loquasto

Einstudierung
Elaine Kudo

Licht
Jennifer Tipton

Klavier
Cécile Tallec


Tänzerinnen und Tänzer

Ann-Kathrin Adam
Mariana Dias
Christina Garcia Fonseca
Ainara Garcia Navarro
So-Yeon Kim
Nicole Morel

Florent Cheymol
Helge Freiberg
Sonny Locsin
Bruno Narnhammer
Bogdan Nicula
Alexandre Simões

Pavane auf den
Tod einer Infantin

Choreographie
Kurt Jooss

Kostüme
Sigurd Leeder

Einstudierung
Anna Markard
Jeanette Vondersaar

Licht
Hermann Markard

Klavier
Cécile Tallec


Tänzerinnen und Tänzer

Die Infantin
Carolina Francisco Sorg

Damen und Herren des Hofstaats
Doris Becker
Carrie Johnson
Anne Marchand
Louisa Rachedi
Daniela Svoboda
Andriy Boyetskyy
Armen Hakobyan
Jörg Weinöhl

Neither

Choreographie
Martin Schläpfer

Musikalische Leitung
Dante Anzolini

Video-Lichtinstallation,
Raum und Kostüme
rosalie

Sopran
Alexandra Lubchansky /
Marlene Mild


Tänzerinnen und Tänzer

Sachika Abe
Ann-Kathrin Adam
Marlúcia do Amaral
Camille Andriot
Doris Becker
Mariana Dias
Feline van Dijken
Ana Djordjevic
Géraldine Dunkel
Carolina Francisco Sorg
Cristina Garcia Fonseca
Ainara García Navarro
Carrie Johnson
Yuko Kato
So-Yeon Kim
Emi Kuzuoka
Anne Marchand
Nicole Morel
Carly Morgan
Kerry-Anne O'Brien
Louisa Rachedi
Daniela Svoboda
Julie Thirault
Anna Tsybina

 Christian Bloßfeld
Andriy Boyetskyy
Martin Chaix
Florent Cheymol
Helge Freiberg
Niels Funke
Armen Hakobyan
Callum Hastie
Antoine Jully
Sonny Locsin
Michal Matys
Bruno Narnhammer
Bogdan Nicula
Chidozie Nzerem
Sascha Pieper
Boris Randzio
Ordep Rodriguez Chacon
Martin Schirbel
Alexandre Simões
Remus Sucheana
Pontus Sundset
Maksat Sydykov
Jörg Weinöhl

Ballettmeisterinnen
Kerstin Feig
Monique Janotta

Dramaturgie
Anna do Paco



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Rheinoper
(Homepage)



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