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Doppelt und doch alles für sich
Von Joachim Lange
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Fotos © Bernd Uhlig
Es ist ein Stoff, der auch in der Operngeschichte über die Zeiten trägt. Die inhaltliche Lücke zwischen Christoph Willibald Glucks erster und zweiter Iphigénie würde die Elektra von Richard Strauss ziemlich genau ausfüllen. Den Rachemord an seiner Mutter Klytämnestra, der dort verhandelt wird, den hat Orest nämlich schon hinter sich, und als Zentnerlast auf dem Gewissen, wenn er an der taurischen Küste landet, wo es Brauch ist, jeden Fremdling abzuschlachten. Und wo natürlich ausgerechnet seine Schwester Iphigénie das priesterliche Metzgerhandwerk ausführen muss. Auch die Vor-Geschichte um die Beinahe-Opferung dieser Schwester durch den Vater Agamemnon in Aulis entschuldigt zwar Klytämnestras Mord am Gatten nicht, gewährt aber doch einen Einblick in eine tief erschrockene, verletzte Psyche, die schließlich zum Mord bereit war. Düstere Wolken über Aulis
Es hätte also spannend werden können, nun zumindest die beiden Iphigénies von Christoph Willibald Gluck als Fortsetzungsgeschichte musikalisch und szenische aus einer Hand zu befragen. Mit einer langen Pause fürs Publikum dazwischen überschreitet das auch nicht die Länge eines mittleren Wagnerabends. In Brüssel haben Christophe Rousset und Pierre Audi das jetzt versucht. Nur leider eher jeder für sich als beide gemeinsam. Iphigenie zum Opfer bereit
Das Beglückende an diesem Abend ist die federnd suggestive Musizierweise, mit der Christophe Rousset das Orchestre symphonique de la Monnaie beherzt zu einer historischen Exkursion verführt. Die vermag ihre volle Wirkung aber nur dann auch zu entfalten, wenn er und das Orchester allein oder gemeinsam mit dem Chor musizieren. Denn Regisseur Pierre Audi hat die Musiker aus dem Graben verbannt und mit dem Chor in der Tiefe der Bühne weit hinter den Sängern platziert. Dafür ist der Graben mit einem Spielpodest überbaut, das links und rechts von halsbrecherischen Leichtmetall-Gerüsttreppen für Auf- und Abgänge bis hoch in die Proszeniumslogen flankiert wird. So übertönen dann oft auch so sensibel gestaltende Protagonisten wie Véronique Gens und Charlotte Hellekant als Tochter und Mutter im ersten Teil, oder Stéphane Degout und Topi Lehtipuu als Orest und Pylades oder Nadja Michael als Iphigénie im zweiten Teil das Orchester mitunter völlig. Wobei diesen beiden Männern in ihrem großen Duett tatsächlich eine Intensität erreichen, deren Schubkraft selbst hier auf Posa und Don Carlos vorausweist. Die meisten der übrigen Protagonisten (Avi Kemberg als Achille, Andrew Schroeder als Agamemnon oder dann Werner Van Mecheneln als Finsterling Thoas) orientieren sich gleich am dramatischen Drive ihrer Rolle und bewältigen das für sich genommen auch eindrucksvoll. Iphigenie am Opferaltar in Tauris
So bekommt man bei diesem ambitionierten Gluck-Unternehmen in Brüssel zwar vokale Ausdrucksstärke und noble Orchestergeschmeidigkeit. Aber sie sind nur in Einzelteilen zu haben, wo in der Balance der Weg zum musikalischen Gesamtkunstwerk gelegen hätte. Bei Rousset, sozusagen mittendrin, mag das zusammenklingen im Parkett kommt es zu vereinzelt an. Audi und Michael Simon nehmen mit dem nur geringfügig variierten Einheitsbühnenbild die Brüsseler Theater-Schmuckschatulle mit ihren begrenzten technischen Möglichkeiten szenisch so großspurig in Beschlag, als wäre der Amsterdamer Opernchef daheim in seinem modernen Riesenauditorium. Orest, Pylades und Iphigenie
Doch bleibt diese Expansion auf den Gerüsten der Gegenwart und im modernen Military-Look (den Anna Eiermann wahlweise als Paradeuniform mit Ordensspangen, Kampfuniform, Freischärler-Männerrock oder als schulterfreie, faltenwerfende königliche Robe variiert) oder dem Sprengstoffgürtel der opferbereiten Iphigénie am Ende des ersten Teils nur eine Behauptung. Ansonsten dominiert die konventionelle Erzählweise eines Regisseurs, der schon immer mehr zu den Dekorateuren der Bühne als zu den Analytikern der Stoffe gehörte. Diesmal aber kommt er mit seiner aufgesetzten, optischen Brachialgewalt der Musik voll in die Quere.
Nach dieser Kollision von Szene und Musik darf man dann doch drauf gespannt sein, wie Peter Konwitschny seinen einst schon für Wien geplanten Gluck-Zyklus demnächst in Leipzig auf die Bühne bringen wird. Dieser streitbare Regisseur wird mit Sicherheit gegen machen Erwartungen, jedoch nicht gegen die Musik inszenieren. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
SolistenIphigénie en Aulide
Achille
Iphigénie
Agamemnon
Calchas
Arcas
Patrocle
Clytemnestre
Diane
Iphigénie
Oreste
Pylade
Thoas
Diane
Un Scythe
Le Ministre
Première Prêtresse
Deuxième Prêtresse
Troisième Prêtresse
Quatrième Prêtresse
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