Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Les Iphigénies

Iphigénie en Aulide (Iphigenie in Aulis)

Tragédie in drei Akten
Libretto von Marie Francoise Louis Grand-Leblanc Bailli du Roullet
nach Iphigénie in Auride von Jean Racine (nach Euripides)
Musik von Christoph Willibald Gluck


Iphigénie en Tauride (Iphigenie auf Tauris)
Tragédie in vier Akten
Libretto von Nicolas-Francois Guillard
nach Iphigénie en Tauride von Guymond de la Touche (nach Euripides),
Musik von Christoph Willibald Gluck


In französischer Sprache mit flämischen und französischen Übertiteln
Aufführungsdauer: ca. 4h 30' (eine Pause)

Premiere am 1. Dezember 2009 im Theater La Monnaie, Brüssel

Homepage

La Monnaie
(Homepage)
Doppelt und doch alles für sich

Von Joachim Lange / Fotos © Bernd Uhlig


Es ist ein Stoff, der auch in der Operngeschichte über die Zeiten trägt. Die inhaltliche Lücke zwischen Christoph Willibald Glucks erster und zweiter Iphigénie würde die Elektra von Richard Strauss ziemlich genau ausfüllen. Den Rachemord an seiner Mutter Klytämnestra, der dort verhandelt wird, den hat Orest nämlich schon hinter sich, und als Zentnerlast auf dem Gewissen, wenn er an der taurischen Küste landet, wo es Brauch ist, jeden Fremdling abzuschlachten. Und wo natürlich ausgerechnet seine Schwester Iphigénie das priesterliche Metzgerhandwerk ausführen muss. Auch die Vor-Geschichte um die Beinahe-Opferung dieser Schwester durch den Vater Agamemnon in Aulis entschuldigt zwar Klytämnestras Mord am Gatten nicht, gewährt aber doch einen Einblick in eine tief erschrockene, verletzte Psyche, die schließlich zum Mord bereit war.

Vergrößerung in neuem Fenster Düstere Wolken über Aulis

Es hätte also spannend werden können, nun zumindest die beiden Iphigénies von Christoph Willibald Gluck als Fortsetzungsgeschichte musikalisch und szenische aus einer Hand zu befragen. Mit einer langen Pause fürs Publikum dazwischen überschreitet das auch nicht die Länge eines mittleren Wagnerabends. In Brüssel haben Christophe Rousset und Pierre Audi das jetzt versucht. Nur leider eher jeder für sich als beide gemeinsam.
In der ersten der sogenannten Reformopern Iphigénie en Aulide (1774) entgeht das Königskind selbst nur knapp dem väterlichen Opfermesser durch einen göttlichen Eingriff in letzter Minute. Wobei sie in der fünf Jahre später folgenden Iphigénie en Tauride selbst vom Opfer zur Täterin wird, bis es ihren Bruder und dessen Freund Pylades treffen soll. Was zu so großer Verzweiflung und zu so großem Aufbegehren führt, dass schließlich auch die Göttin ein Einsehen hat und in einem halbwegs glücklichen Finale endlich den Fluch von der ja nun wirklich exemplarisch gebeutelten Atriden-Sippe nimmt.

Vergrößerung in neuem Fenster

Iphigenie zum Opfer bereit

Das Beglückende an diesem Abend ist die federnd suggestive Musizierweise, mit der Christophe Rousset das Orchestre symphonique de la Monnaie beherzt zu einer historischen Exkursion verführt. Die vermag ihre volle Wirkung aber nur dann auch zu entfalten, wenn er und das Orchester allein oder gemeinsam mit dem Chor musizieren. Denn Regisseur Pierre Audi hat die Musiker aus dem Graben verbannt und mit dem Chor in der Tiefe der Bühne weit hinter den Sängern platziert. Dafür ist der Graben mit einem Spielpodest überbaut, das links und rechts von halsbrecherischen Leichtmetall-Gerüsttreppen für Auf- und Abgänge bis hoch in die Proszeniumslogen flankiert wird. So übertönen dann oft auch so sensibel gestaltende Protagonisten wie Véronique Gens und Charlotte Hellekant als Tochter und Mutter im ersten Teil, oder Stéphane Degout und Topi Lehtipuu als Orest und Pylades oder Nadja Michael als Iphigénie im zweiten Teil das Orchester mitunter völlig. Wobei diesen beiden Männern in ihrem großen Duett tatsächlich eine Intensität erreichen, deren Schubkraft selbst hier auf Posa und Don Carlos vorausweist. Die meisten der übrigen Protagonisten (Avi Kemberg als Achille, Andrew Schroeder als Agamemnon oder dann Werner Van Mecheneln als Finsterling Thoas) orientieren sich gleich am dramatischen Drive ihrer Rolle und bewältigen das für sich genommen auch eindrucksvoll.

Vergrößerung in neuem Fenster Iphigenie am Opferaltar in Tauris

So bekommt man bei diesem ambitionierten Gluck-Unternehmen in Brüssel zwar vokale Ausdrucksstärke und noble Orchestergeschmeidigkeit. Aber sie sind nur in Einzelteilen zu haben, wo in der Balance der Weg zum musikalischen Gesamtkunstwerk gelegen hätte. Bei Rousset, sozusagen mittendrin, mag das zusammenklingen – im Parkett kommt es zu vereinzelt an. Audi und Michael Simon nehmen mit dem nur geringfügig variierten Einheitsbühnenbild die Brüsseler Theater-Schmuckschatulle mit ihren begrenzten technischen Möglichkeiten szenisch so großspurig in Beschlag, als wäre der Amsterdamer Opernchef daheim in seinem modernen Riesenauditorium.

Vergrößerung in neuem Fenster

Orest, Pylades und Iphigenie

Doch bleibt diese Expansion auf den Gerüsten der Gegenwart und im modernen Military-Look (den Anna Eiermann wahlweise als Paradeuniform mit Ordensspangen, Kampfuniform, Freischärler-Männerrock oder als schulterfreie, faltenwerfende königliche Robe variiert) oder dem Sprengstoffgürtel der opferbereiten Iphigénie am Ende des ersten Teils nur eine Behauptung. Ansonsten dominiert die konventionelle Erzählweise eines Regisseurs, der schon immer mehr zu den Dekorateuren der Bühne als zu den Analytikern der Stoffe gehörte. Diesmal aber kommt er mit seiner aufgesetzten, optischen Brachialgewalt der Musik voll in die Quere.


FAZIT

Nach dieser Kollision von Szene und Musik darf man dann doch drauf gespannt sein, wie Peter Konwitschny seinen einst schon für Wien geplanten Gluck-Zyklus demnächst in Leipzig auf die Bühne bringen wird. Dieser streitbare Regisseur wird mit Sicherheit gegen machen Erwartungen, jedoch nicht gegen die Musik inszenieren.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christophe Rousset

Inszenierung
Pierre Audi

Bühne
Michael Simon

Kostüme
Anna Eiermann

Licht
Jean Kalman 

Chor
Piers Maxim

Dramaturgie
Klaus Bertisch



Chor des
Theater La Monnaie

Orchestre Symphonique de La Monnaie


Solisten

Iphigénie en Aulide

Achille 
Avi Klemberg

Iphigénie 
Véronique Gens

Agamemnon
Andrew Schroeder

Calchas
Gilles Cachemaille

Arcas
Werner Van Mechelen

Patrocle
Henk Neven

Clytemnestre
Charlotte Hellekant

Diane
Violet Serena Noorduyn 

Iphigénie en Tauride

Iphigénie
Nadja Michael

Oreste 
Stéphane Degout

Pylade 
Topi Lehtipuu

Thoas 
Werner Van Mechelen

Diane 
Violet Serena Noorduyn

Un Scythe 
Gerard Lavalle

Le Ministre 
Bernard Giovani

Première Prêtresse 
Helen Kearns

Deuxième Prêtresse 
Tomoko Taguchi

Troisième Prêtresse 
Anne-Fleur Inizan

Quatrième Prêtresse
Camille Merckx





Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
La Monnaie
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2009 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -