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Skandal auf der Wartburg: Minnesänger von nackten Frauen bedroht!Von Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu
Wenn Sie demnächst mal wieder eine größere Party geben (und dem Rock'n'Roll generationsbedingt entwachsen sind), dann legen Sie Zum Tanz doch mal Wagner auf. Freudig begrüßen wir die edle Halle, ein schönes Stück Musik für Chor und Orchester aus dem zweiten Akt des Tannhäuser. Und dazu federn dann alle mit den Beinen, gehen sacht in die Knie und schwenken, immer schön im Takt, das Gesäß hin und her, links, rechts, links, rechts: Fertig ist der Wartburg-Lambada. Das ist gleichzeitig auch ganz gut als Ski-Gymnastik. So gesehen im Bonner Tannhäuser im September 2009. (Liebes Bonner Publikum, noch mehr Stimmung käme auf, wenn alle den Takt mitklatschen würden.) Freilich hat dieser Tanz auch Nebenwirkungen: Er kann beim unbeteiligten Betrachter unfreiwillig scheußliche Wortungetüme wie Publikumsverdummung oder Wagnerverhunzung auslösen. Der Sündenfall: Hier wird die Sexualität vom Menschen abgespalten
Klangbeispiel:
"Stets soll nur Dir mein Lied ertönen" (1. Aufzug) - Scott MacAllister (Tannhäuser)
Klangbeispiel:
"Hin zu den kalten Menschen flieh" (1. Aufzug) - Daniela Denschlag (Venus)
Klangbeispiel:
"Der Sänger klugen Weisen lauscht ich sonst wohl gern und viel" (2. Aufzug) - Ingeborg Greiner (Elisabeth)
Klaus Weise, Regie führender Intendant der Bonner Oper, verhängt bei seiner Wartburg-Party Kostümzwang. Männer tragen, soweit sie nicht zum engsten Freundeskreis des Gastgebers gehören (dann reicht eine dem festlichen Anlass entsprechende Abendgarderobe), eine Art schwarzen Umhang mit Kapuze; Frauen desgleichen, nur mit farbigem Vorderteil, das sich rasch entfernen lässt, um den unverhüllten Blick auf die Geschlechtsmerkmale freizugeben diese sind mit kräftigem Pinselstrich auf weißes Kostüm aufgetragen. Halb Nonne, halb Nackte, oder mit anderem Vokabular: Heilige und Hure, das soll die tragende zentrale Idee dieser Inszenierung sein. Im Vorspiel wird eine tatsächlich gänzlich unbekleidete Frau geteilt, symbolisch natürlich, ihre Sexualität wird abgespalten, und damit haben wir den Schlamassel. Unter Kutten lauter Nutten, möchte man reichlich albern, aber manchem missratenen Tableau auf der Bühne angemessen, dem Regisseur entgegenblödeln, wenn wieder und wieder die schwarzen Umhänge abgelegt und mal das bereits erwähnte Busen-Schamhaar-Kostüm, manchmal auch Strapse und Leder zum Vorschein kommen. Natürlich ist der Umgang mit Sexualität das Thema des Tannhäuser. Und Klaus Weise, der als Intendant sein Haus ja durchaus ordentlich aufgestellt und als Regisseur ganz beachtliche Arbeiten vorgelegt hat (Cardillac, Die tote Stadt), wird sich eine ganze Menge dazu gedacht haben. Inspiriert scheint die Bildwelt auch vom Surrealismus der Filme Frederico Fellinis. Man ahnt (und kann es zur Bestätigung im Programmheft nachlesen), dass Venus und Elisabeth Projektionen einer Männergesellschaft sind (die hier die Waffen nie aus der Hand legen). Das alles ist nicht falsch, aber seit rund 30 Jahren ohnehin gängiger Stand der Tannhäuser-Rezeption. Im Grunde inszeniert Weise weitgehend das, was aus dem Text sowieso klar (und schwer verdaulich) ist, nicht aber das, was den Tannhäuser über schöne Musik hinaus heute interessant machen könnte. Personenregie findet kaum statt, die Sänger stehen oder kriechen meist irgendwie an der Rampe herum, und nicht einmal Tannhäuser entwickelt eine Spur von Persönlichkeit. Hier geht es nicht um Menschen, sondern nur ums Prinzip. Bacchanal im Venusberg: Venus (Daniela Denschlag) und Tannhäuser (Scott MacAllister) mit zweifelhaft gekleideten Lustdamen
Vor allem aber wirkt die plakative Symbolik sehr, sehr plump. In Bonn ist von Erotik, Sinnlichkeit oder Verführung nichts zu spüren; allein nackt oder nicht nackt, das ist hier die Frage. So ist auch die Venus quasi nackt (auch hier ein Kostüm mit aufgemalten oder aufgenähten Geschlechtsmerkmalen), posiert dazu nicht gerade originell in einer Harfe, und als Mittel der Verführung hat sie nichts anderes aufzubieten als eine Armada der leitmotivisch erscheinenden entblößten Nonnen kein Wunder, dass man einen einigermaßen begabten Sänger so nicht bei Laune halten kann. Die Pilger erscheinen in kurzen Hosen und knallbunten T-Shirts mit aufgedruckter Bärentatze, dem Symbol eines beliebten Outdoor-Ausstatters. Pfadfinderei als Sexualersatz? Nun ja. Dazu der unsägliche Einzug der Gäste mit dem Wartburg-Lambada: Das ist ästhetisch schwere, bisweilen ungenießbare Kost, die da im abstrakten Bühnenraum geboten wird. Am besten gelingt noch der dritte Aufzug auf fast leerer Bühne (durch eine kreisförmige Öffnung oben rieselt Schnee herab). Erlösung gibt's nicht; am Ende senkt sich ein Netz mit nackten Frauen herab, Jagdbeute einer militanten Männergesellschaft, die doch sehr, sehr fremd erscheint. Immerhin stimmt das eindrucksvolle Schlussbild mit der im Eisblock eingefrorenen Leiche der Elisabeth ein wenig versöhnlich. Gesellschaftstänze auf der Wartburg; in der Mitte Elisabeth (Ingeborg Greiner)
Gespielt wird in Bonn eine Mischung aus Dresdener und Pariser Fassung. Unfreiwillig gerät die Aufführung zu einem starken Plädoyer für die frühere und puristischere Dresdener Version in Reinform. Das Bacchanal-Ballett nach der Ouvertüre, das Wagner entsprechend den Konventionen der Pariser Oper eingearbeitet hatte, erscheint in der uninspirierten Choreographie von Nick Hobbs mit einem zweitklassigen Ensemble mäßig synchroner Tänzerinnen ziemlich überflüssig. Aber auch Dirigent Stefan Blunier, im Programmheft Befürworter dieser Mischfassung, trifft mit dem Beethoven-Orchester (das im ersten Aufzug mit vielen verwackelten Einsetzen und reichlich ungenauer Artikulation in den Bläsern wenig Freude bereitet, sich im Verlauf des Abends aber enorm steigert) nicht den irisierenden Tonfall, den die Musik durch die für Paris aufgepeppte, an Tristan und Isolde geschulte Instrumentation haben sollte. So dauert der erste Aufzug gefühlte drei Stunden (tatsächlich sind's rund 75 Minuten) so langatmig war Tannhäuser selten. Sehr viel überzeugender als in der Venusbergmusik gelingt es den Musikern, die (konventionellere) Sphäre der Wartburg einzufangen, die von den Bläsern getragen ist. Stefan Blunier (den wir von dieser Stelle in der Vergangenheit für zu lauten Orchesterklang kritisiert haben) nimmt das Orchester sehr zurück, begleitet sehr schön die Sänger und belässt vieles im Piano. Er lässt die Bläser atmen, die Musik ist transparent und steht in der Nähe zu Carl Maria von Weber (auf den Blunier sich auch im Programmheft beruft) das ist aber letztendlich viel mehr Dresdener als Pariser Klang. Die meist ruhigen Tempi unterstützen das noch. Der Sängerkrieg selbst allerdings tritt lange ziemlich undramatisch auf der Stelle. Diskussion über Liebeslyrik unter Männern: Walther von der Vogelweide (Mirko Roschkowski, oben) und Tannhäuser (Scott MacAllister)
Blass bleibt freilich auch Daniela Denschlag als Venus, deren Stimme wenig Sinnlichkeit ausstrahlt, zu klein ist und deshalb schnell angestrengt klingt. Den stärkeren Eindruck hinterlässt die Elisabeth von Ingeborg Greiner, die über ein wunderbar tragendes Piano und Pianissimo verfügt und damit große Momente hat. Im Forte überspielt sie fehlende Reserven allerdings mit ausladendem, nicht immer genau kontrollierten Vibrato. (Die Hallenarie musste sie unter erschwerten Bedingungen singen: Der zweite Aufzug hatte nämlich begonnen, obwohl noch etliche Besucher im Foyer weilten, die sich nun mehr oder weniger lautstark im Dunkeln zu ihren Plätzen begaben. Was irgendwie zu dem verkorksten Bühnengeschehen passt.) Scott MacAllister ist ein Tannhäuser mit leichter, wenig charakteristischer, aber höhensicherer Stimme, die er manchmal unnötig forciert leider verleitet ihn die Partie (wie viele Tenorkollegen auch) zum unkontrollierten Schreien, obwohl der Dirigent hier vieles tut, um den Sänger sanft aufzufangen. Auch die kurzatmige, oft am Textsinn vorbei gehende abgerissene Phrasierung unterbricht häufig den musikalischen Fluss. Die Romerzählung allerdings gelingt MacAllister ganz passabel eine insgesamt also durchwachsene Interpretation. Großes Finale mit tiefgefrorener Elisabeth (im Eisblock in der Mitte) und Pfadfinder-Pilgern
Lee Poulis ist ein stimmlich sehr schlanker Wolfram, der die Partie tadellos gestaltet. Etwas mehr Wärme und Substanz könnte die Stimme für die Partie aber noch gebrauchen. Ramaz Chikviladze ist ein akzeptabler, allerdings wenig sonorer Landgraf, Mirko Roschkowski (Walther), Mark Morouse (Biterolf), Mark Rosenthal (Heinrich der Schreiber) und Martin Tzonev (Reimar) solide Sängerkrieger, ebenso Anna Virovlansky als Hirt. Der von Sibylle Wagner einstudierte Chor singt im Großen und Ganzen zuverlässig, könnte aber im Klang noch flexibler sein. Musikalisch ist die Produktion sicher um Klassen besser als szenisch, ohne jedoch großen Glanz zu versprühen. (Ein paar Patzer sollten sich bis zur nächsten Aufführung noch abstellen lassen.)
Was bildmächtiges Theater zu verqueren Männerfantasien sein soll, scheitert auf der Bühne als unfreiwillige Opernparodie und schenkt der noch jungen Saison einen ersten deftigen Flop. Musikalisch akzeptabel. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chorleitung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Herrmann
Tannhäuser
Wolfram von Eschenbach
Walther von der Vogelweide
Biterolf
Heinrich der Schreiber
Reinmar von Zweter
Elisabeth
Venus
Ein junger Hirt
Vier Edelknaben
Stella Kohen Kerstin Kopp Sara Engels
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