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Familientragödie in ObsthändlerkreisenVon Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu
Der Apfel ist ein Symbol für Liebe, Sexualität und Fruchtbarkeit, aber auch für den Sündenfall. Gleich zu Beginn steht Katja Kabanova allein in der Bühnenmitte. Männer kommen, reichen ihr einen Apfel, so viele, dass sie sie nicht mehr halten kann, sie schließlich fallen lässt. Die Symbolebene der Inszenierung ist damit bereits fest umrissen, und sie ist mit großer Konsequenz durchgezogen. Die Kabanovs handeln offenbar mit Äpfeln. Leere Paletten begrenzen die Bühne wie eine Mauer oder wie die Wände eines Grabs (Ausstattung: Csaba Antal). Von der Seite ragt futuristisch das Büro der Firmenchefin in diesen Raum hinein. Auch die Wolga ist präsent: Die Bühne steht komplett unter Wasser, einzelne Holzpaletten werden als Stege verwendet. Auch Robert Carsen hatte im benachbarten Köln die Bühne komplett geflutet, aber wo Carsen im wesentlichen auf einer ästhetischen Ebene stehen blieb, bindet der ungarische Regisseur Balázs Kovalik in seiner Bonner Inszenierung das Wasser viel stärker funktionell ein. Seine Wolga ist nicht gleißend schön wie bei Carsen, sondern ein hässliches Brackwasser. Die Sonne scheint in diesem gefluteten Hinterhof nicht. Wenn sie zu träumen beginnt, leuchtet die Welt hinter den Obstpaletten auf: Katja Kabanova (Irina Oknina)
Wenn Katja träumt, leuchtet es durch die Palettenstapel golden auf, nach Katjas Rendezvous mit Boris fallen Äpfel gleich kistenweise vom Bühnenhimmel. Das sind starke Bilder, die das Geschehen überhöhen. Parallel dazu erzählt Kovalik aber auch die Handlung sehr genau nach. Darin geht es um moderne Menschen, die sich den Gesetzen von Geld und Macht zu fügen haben. Die Kabanicha ist als übermächtige Seniorchefin des Obsthandels die gültige Instanz in Moralfragen, die offenbar auch Machtfragen sind. Russisches Lokalkolorit ist fast völlig getilgt, die Übertragung in die börsennotierte Gegenwart plausibel gelungen. Virtuos tariert Kovalik die realistische und die symbolische Ebene genau aus, verschränkt sie miteinander, sodass sich beide Ebenen wechselseitig ergänzen. Unglückliches Ehepaar: Katja (Irina Oknina) und Tichon (Mark Rosenthal)
Dazu kommt ein genaues Hinhören auf die Musik und ein Gespür für die dramatische Situation. Beim ersten richtigen Erscheinen Katjas (sieht man von der erwähnten stummen Szene im Vorspiel ab) fokussieren Musik und Regie mit großer Geste auf die Titelfigur, ermöglichen ihr einen ausgesprochen wirkungsvollen Auftritt, der nachhaltig die Akzente setzt durch perfektes Timing, geschickten Beleuchtungswechsel und ein Innehalten der Musik. Die zierliche Irina Oknina in der Titelpartie kann sich dadurch sogar mädchenhaftes Unterstatement erlauben und ist doch sofort der Mittelpunkt. Das ist auch handwerklich außerordentlich gut gemacht. Lea und Golem
Kovalik findet in Dirigent Will Humburg einen kongenialen Partner, der großformatig denkt und dessen Spannungsbögen perfekt mit den szenischen Abläufen korrespondieren. Grundsätzlich kann man sicher über Humburgs romantische, die Musik in weiten Teilen mehr im 19. als im 20. Jahrhundert verortende Sichtweise streiten, aber die Musik kann atmen und nach hochexpressiven Entladungen von großer Spannung immer wieder ruhig ausschwingen, es gibt große Zäsuren, und das alles wirkt so homogen, als dürfe es gar nicht anders sein. Humburg hebt große melodische Linien hervor, wie man sie bei Janacek kaum je gehört hat. Vielleicht liegt das auch daran, dass sich das insgesamt sehr gute Beethoven Orchester in den Kantilenen (hier glänzen vor allem die Holzbläser) offenbar wohler fühlt als in den rhythmisch konturierten modernen Passagen (in denen die Streicher noch zupackender spielen dürften). Jedenfalls entwickelt sich das Orchester zum eigentlichen Hauptakteur: Ein musikalischer Strom, der alles mitreißt. Ensemble
Es passt ausgezeichnet in das szenische wie musikalische Konzept, dass Irina Oknina der Katja keine dramatisch große, sondern eine mädchenhaft lyrische, dennoch tragfähige Stimme leiht. Die elegante und unterkühlte Kabanicha von Daniela Denschlag ist zwar tadellos gesungen, könnte aber mehr stimmliche Power gebrauchen, um den Machtanspruch dieser Frau zu unterstreichen. Mark Rosenthal gibt den Tichon arg weinerlich, George Oniani ist ein stimmlich imposanter, im Ausdruck etwas neutraler Liebhaber Boris. Tansel Akzeybek als leichtgewichtiger, charmanter Kudriasch und Susanne Blattert als intensiv leuchtende Varvara sowie Ramaz Chikviladze als solide polternder Dikoj runden ein Ensemble ab, das weniger durch gesangliche Einzelleistungen als durch eine szenisch wie musikalisch in jeder Situation rollendeckende Interpretation imponiert Chor und Statisterie eingeschlossen.
Szenisch wie musikalisch großes Musiktheater, unbedingt sehens- und hörenswert. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Licht
Chorleitung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere Dikoj Ramaz Chikviladze
Boris
Kabanicha
Anjara I. Bartz
Tichon
Katja
Julia Kamenik
Wanja Kudrjasch
Varvara
Kuligin
Glascha
Fekluscha
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