Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Simon Boccanegra

Musikalisches Drama in einem Vorspiel und drei Akten
Musik von Giuseppe Verdi
Text von Francesco Maria Piave
mit Ergänzungen von Giuseppe Montanelli
in der Neufassung von Arrigo Boito (Fassung von 1881)


In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Veranstaltungsdauer: ca. 3 Std. (Eine Pause)

Premiere am 24. Oktober 2009
Besuchte Vorstellung: 30. Oktober 2009


Homepage

Staatsoper Berlin
(Homepage)
Das Musikdrama zum Kostümschinken degradiert

Von Christoph Wurzel / Fotos von Monika Rittershaus

Nein, es war kein böses Omen, dass die Direktübertragung der Premiere im Deutschlandradio kurzfristig abgesagt wurde, weil Plácido Domingo sich seines späten Debüts in einer Baritonrolle angeblich nicht sicher war. Er hat es hervorragend bestanden, ja geradezu glänzend ist seine gesangliche Bewältigung dieser zu den schönsten Rollen Verdis zählenden Partie.
Über die Regie kann man ähnlich glücklich dagegen nicht sein. Simon Boccanegra ist eine von Verdis rätselhaftesten Opern, handlungsarm mit vielen dramaturgischen Leerstellen, voll düsteren Männerhasses und nur durch eine schwach entwickelte Liebesgeschichte aufgehellt. Unentschieden, ob sie mehr Schicksalsoper über einen tragischen Menschen oder politische Tragödie über einen scheiternden Herrscher sein will. Jedenfalls stellt Simon Boccanegra der Regie keine leicht zu lösenden Aufgaben. Doch eventuell hohe Erwartungen konnten durch diese neue Staatsopern-Produktion nicht erfüllt werden.
Als eine Koproduktion mit der Mailänder Scala hat Federico Tiezzi aus Verdis Musikdrama eine traditionsverhaftete Ausstattungsoper gemacht, die in gefälligen Bildern meist hölzern, zum Schluss nahe am Kitsch die Handlung heruntererzählt, ohne auch nur den Versuch zu machen, den Figuren psychologische Glaubwürdigkeit oder charakteristische Individualität zu verleihen.

Vergrößerung in
neuem Fenster

In den Armen seiner wiedergefundenen
Tochter Maria (Anja Harteros)
stirbt Simon Boccanegra (Plácido Domingo)
einen (zu) schönen Theatertod

Auch von regelrechten Schnitzern ist diese Regie nicht frei, etwa wenn das Volk während der vom Dogen listig eingefädelten öffentlichen Verfluchung des Verschwörers durch Paolo mit Fingern auf diesen zeigt, obwohl es noch nicht wissen kann, dass eben dieser selbst der Verbrecher ist. So wird im Interesse einer vordergründigen Deutlichkeit diesem Höhepunkt im Geschehen alle dramatische Kraft genommen. Auch wenn Tiezzi sich langatmig im Programmbuch über seine "Elemente für eine Regie" auslässt, zu finden sind sie in der Realisation auf der Bühne kaum. Tiezzi ist von Hause aus Kunsthistoriker, das hat ihn wohl animiert, die Handlung in der Manier historisierender Gemälde zu bebildern. Bühnenbild und Kostüme sind aufwändig dem Stil der Historienmalerei angelehnt. Aus anfangs starren Bildern schälen sich die Gestalten zu handelnden Figuren heraus und formieren sich zu arrangierten Tableaus. Eine Personenregie findet nicht statt, die Sänger sind sich selbst und ihren mehr, meistens weniger ausgeprägten darstellerischen Fähigkeiten überlassen. Man erlebt Rampensingen über weite Strecken.

Vergrößerung in
neuem Fenster

Jetzt als Bariton im echten Kostüm:
Plácido Domingo als Doge von Genua

Als begnadeten Darsteller kann man auch Plácido Domingo nicht bezeichnen. So feinfühlig und ausdrucksstark er die Rolle des Dogen auch singt, so wenig inspiriert und einförmig ist sein Spiel. Stimmlich aber kommt er in der Baritonrolle ohne jede Anstrengung und ohne Druck aus, lässt die Töne fließen und modelliert wunderbar warme, weiche melodische Phrasen, die seine immer noch verblüffend frisch klingende Stimme zum Leuchten bringen. Das Experiment, der Wechsel vom Tenor- ins Baritonregister gelingt auch deswegen so überzeugend, weil Domingo schon als Tenorissimo zu den unprätentiösen, natürlich singenden und farbenreich gestaltenden Vertretern gehörte. Diese hohe Gesangskultur kommt ihm in der Rolle des Simon Boccanegra vorzüglich zugute und macht seine Gestaltung so beeindruckend wahrhaftig.
Was sich vom Tenor dieser Aufführung allerdings nicht sagen lässt. Fabio Sartori versammelt in seiner Darstellung des Gabriele Adorno so ziemlich alle Unarten, die man gerade Tenören nachzusagen pflegt. Er verfügt zweifellos über eine metallisch strahlende Stimme, doch an gestalterischer Phantasie bietet er nichts auf. Stellenweise zu kraftvoll, manchmal zu schmachtend stemmt er recht unsensibel den zuerst draufgängerischen, dann reumütigen jungen Helden. Als Darsteller ist er komplett ein Ausfall. Panisch kleben seine Blicke am Orchestergraben, eine Rollengestaltung sucht man vergebens.

Vergrößerung in
neuem Fenster

Nur mühsam zurückzuhalten:
Fabio Sartori als Gabriele Adorno

Einen großartigen Antipoden zum Titelhelden hat Verdi in der Gestalt Jocopo Fiescos entworfen - ein verbitterter, hasserfüllter alter Mann, der erst zu spät zur Einsicht kommt und zur Versöhnung findet. Ihm leiht Kwanchul Youn äußerst präsent Gestalt und Stimme. Er vermag es auch, darstellerisch der Rolle Profil zu geben. Stimmlich breitet er die Fülle des Wohllauts in aller Schwärze dieses Bühnencharakters aus. Eine nachhaltig eindrucksvolle Rollengestaltung. Dagegen legt Hanno Müller-Brachmann den Intriganten Paolo etwas zu eindimensional an. Die Ambivalenz dieses Charakters bleibt etwas unterbelichtet.
Uneingeschränkt die Lichtgestalt in Werk und Aufführung ist Amelia, die zuerst unter dem vermeintlichen Namen Grimaldi, dann als Boccanegras Tochter Maria auftritt. Mit ihrem wunderbar kontrollierten, glockenreinen Sopran scheint Anja Harteros für diese Rolle prädestiniert zu sein. Ihre warme, körperreiche Stimme verströmt sich nahezu im Gefühl und schafft die Atmosphäre, die ein Opernabend braucht um weiter zu dringen als bis zu den Ohren. So ist denn auch ihr Duett mit Domingo am Ende der Szene des Wiederfindens von Tochter und Vater der musikalische Glanzpunkt dieses Abends.

Vergrößerung in
neuem Fenster

Lichtgestalt: Anja Harteros
als Maria (alias Amelia)

Eingeführt wird sie zu Beginn des ersten Aktes mit ihrer Cavatine zum Sonnenaufgang über dem Meer, was im Orchester in flirrenden Streicherklängen und wellenartig fließenden Bewegungen imitiert wird. Solchen Zauber der orchestralen Stimmungsmalerei erreicht die Staatskapelle unter Daniel Barenboim nicht durchgängig in dieser Aufführung. An den lauten Stellen trumpft das Orchester zu sehr auf. Aber es gelingen auch berührende Momente wie das ergreifend im Piano verlöschende Finale mit dem Friedensgebet für den ermordeten Dogen. Barenboim realisiert die Partitur stellenweise zu sehr von ihrer Oberfläche her. Diese wundervolle Musik in ihrer geheimnisvollen Tiefe klanglich ganz ausgelotet zu hören, bleibt an diesem Abend allzu oft nur ein Wunsch.

FAZIT

Große Erwartungen konnten an diese erste Produktion der Staatsoper in ihrer letzten Spielzeit im alten Haus geknüpft werden. Sie wurden nur teilweise erfüllt: beeindruckend war sie zumeist hinsichtlich der sängerischen Qualität, enttäuschend aber was die szenische Realisierung betrifft.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Daniel Barenboim

Inszenierung
Federico Tiezzi

Bühnenbild
Maurizio Balò

Kostüme
Giovanna Buzzi

Licht
A.J. Weissbard

Video
Studio Azzurro

Chorleiter
Eberhard Friedrich

Dramaturgie
Francis Hüsers
Barbara Weigel


Chor der Staatsoper
Unter den Linden

Komparserie der Staatsoper

Staatskapelle Berlin


Solisten

Simon Boccanegra,
Korsar im Dienst der Republik Genua,
später Erster Doge von Genua
Plácido Domingo

Maria Boccanegra,
seine Tochter unter dem
Namen Amelia Grimaldi
Anja Harteros

Jacopo Fiesco,
adliger Genueser, auch
unter dem Namen Andrea
Kwangchul Youn

Paolo Albiani,
Goldwirker aus Genua,
später Favorit unter den
Günstlingen des Dogen
Hanno Müller-Brachmann

Gabriele Adorno,
Adliger Genuese
Fabio Sartori

Pietro, aus dem Volk von Genua,
später ein Höfling
Alexander Vinogradov

Ein Hauptmann
James Homann

Eine Dienerin Amelias
Evelin Novak



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Unter den Linden Berlin
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2009 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -