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Agrippina

Dramma per musica in tre atti
Libretto von Vincenzo Grimani
Musik von Georg Friedrich Händel


In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Veranstaltungsdauer: ca. 4 ¼ Std. (Eine Pause)

Premiere am 4. Februar 2010
Rezensierte Aufführung: 14. Februar 2010


Homepage

Staatsoper Berlin
(Homepage)
Römische Dekadenz: hier ironisiert

Von Christoph Wurzel / Fotos von Monika Rittershaus

Hier sind die Dekadenten eindeutig inmitten der politischen Klasse zu finden. Zum Beispiel Nero: Bevor er bekanntlich Rom in Schutt und Asche legen konnte, musste er erst einmal an die Macht kommen. Und wie sich das ereignete, schildert diese Oper. Jedenfalls so, wie der vermutete Librettist, der Kardinal Vincenzo Grimani, die Verhältnisse im alten Rom interpretierte und damit wohl auch die Situation seiner Zeit bespiegelte. Händels erster großer Opernerfolg, den er vor genau 300 Jahren mit "Agrippina" in Venedig errang, ist eine finstere Satire, in der sich die Gemeinheiten, Intrigen und Hinterlisten so schnell abwechseln, dass man kaum mitkommt.

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Abgekartetes Spiel: Nerone (links Jennifer Riveira)
zwingt Pallante (rechts: Neal Davis)
zum Mitspieler beim Verschwörungsspiel Agrippinas
(Hintergrund: Alexandrina Pendatchanska)

Die Kaiserin Agrippina will ihren Sohn Nero ohne Rücksicht auf Verluste auf den Kaiserthron hieven. Zu diesem Zweck spielt sie alle Mittel der politischen Ranküne und gleichermaßen ihrer weiblichen Ausstrahlung aus. Das Ende ist, anders als meist in der Barockoper, kein glückliches, sondern ein zynisches. Ihr Plan gelingt nämlich wirklich, denn die Beteiligten haben entweder Agrippinas Heimtücke gar nicht durchschaut oder sie fügen sich, um opportunistisch ihre eigene Haut zu retten. Dreck am Stecken haben fast alle Personen dieser verworrenen Handlung und die Komik wirkt dadurch, dass nur die Zuschauer am Schluss über alle Winkelzüge Bescheid wissen. Allerdings muss Einer der Leidtragende all dieser Machenschaften sein: Ottone, der edle Held wird zum Spielball im Gestrüpp der üblen Interessen.

Dieses Libretto ist eines der besten, das Händel vertont hat und musikalisch atmet das Werk hörbar den frischen Wind, den er sich in Italien hat um die Nase wehen lassen. Sowohl durch die subtile Regie von Vincent Boussard als auch die mitreißende musikalische Gestaltung durch die Akademie für Alte Musik unter René Jacobs und obendrein ein glänzendes Sängerensemble ist diese Produktion der Staatsoper zu einem faszinierenden Opernabend geworden. Und obwohl gewisse Parallelen zur heutigen politischen Praxis nahe liegen, hat Boussard jede Aktualisierung geschmackvoll vermieden.

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Leidvoll: Bejun Mehta als Ottone

Elegant sind die Kostüme des französischen Modeschöpfers Christian Lacroix, so dezent zugleich, dass sie den Personen-Charakteren Raum zur Entfaltung lassen, sie aber auch interpretieren, wie das an Heinrich VIII. erinnernde überbordend pompöse Herrschergewand für Kaiser Claudio, das in groteskem Kontrast zu dessen täppischem Auftreten steht. Der brave Soldat Ottone, der immerhin seinen Kaiser aus Seenot gerettet hat, nun aber um den Lohn betrogen werden soll, trägt unschuldiges Weiß, Agrippina, von der es heißt, sie habe das Herz einer Megäre, dagegen tiefes Schwarz mit knallroten Handschuhen. Die beiden freigelassenen Sklaven, die Agrippina für ihre teuflischen Pläne instrumentalisiert, Pallante und Narciso, haben schwarze Gesichter und ihre Anzüge zeigen deutliche Spuren ihrer "Kanalarbeit". Poppea, die Edelkurtisane, die gleich drei Liebhabern durchaus auch zum eigenem Vergnügen dient, hat ihren ersten Auftritt als schillernde, narzisstische Inkarnation der Schönheit mit ihrer Arie "Vaghe perle, eletti fiori", die sie hoch über der Bühne thronend hinter dem allgegenwärtigen Perlenvorhang singt, der das beherrschende Bühnenbild darstellt.

Ansonsten gibt es wenige Requisiten. Ein Laufsteg vor dem Orchestergraben, der die darauf agierenden Sänger sehr nahe ans Publikum rückt, ermöglicht die Erweiterung der Handlungsraums um eine Ebene außerhalb des eigentlichen Geschehens, als innere Bühne gleichermaßen für die Reflexionen der Figuren, die in dieser Oper in vielen a parte-Situationen vermittelt werden. Einer unmittelbaren Bühnenpräsenz und präzisem Spiel des singenden Personals wird dadurch viel abverlangt. Alle lösen dies aber in beeindruckender Weise ein. Sie spielen ihre Rollen in all der verräterischen Doppelbödigkeit, die von der Regie glänzend herausgearbeitet wurde, vollendet und mit überzeugender komödiantischer Lust. Ottones einsamer Rolle als einzigem Aufrechten in dieser Lug- und Trug-Gesellschaft ermöglicht die Regie die wohl größte emotionale Nähe zum Publikum. Bejun Mehta singt diese Partie mit berückend schöner Stimme und einem Ausdruck, der wirklich zu Herzen geht. Seine Lamento-Arie aus dem 2. Akt "Hört mein Klagen, bemitleidet meinen Schmerz" wird so zu einem der Höhepunkte der Aufführung. Mehta zeigt sich an diesem Abend als ein Countertenor, der nicht allein eine prächtige Stimmkraft entfaltet, sondern seine Stimme auch subtil nuanciert und farbenreich zu wandeln vermag.

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Anziehungskraft des Bösen:
Alexandrina Pendatchanska (Agrippina)
mit Neal Davis (Pallante)

Durchaus faszinierend böse und in ihrer Durchtriebenheit doch auch mit enormer erotischer Ausstrahlung verkörpert Alexandrina Pendatchanska die Kaiserin Agrippina, die sogar an einer Stelle ("Pensieri...") von Selbstzweifeln geplagt wird. Gerade diese Arie gestaltet die Sängerin zu einem psychologischen Selbstgespräch von großer Suggestivkraft. In der Farbgebung ihrer Stimme zeigt Alexandrina Pendatchanska die vielen Facetten dieser starken Persönlichkeit, ihrer Kälte mit den messerscharf geschleuderten Koloraturen (" L'alma mia fra le tempeste") oder der heuchlerischen Anbiederung in der Arie "Se tu pace", die sie mit demonstrativ eingesetztem Tremolo singt.

Als Poppea beeindruckt Anna Prohaska mit schlank geführtem, die reine Schönheit ausstrahlendem Sopran und frappanter Koloratursicherheit. Ihr darstellerischer Charme springt leicht von der Bühne ins Publikum über. Jennifer Rivera spielt die Rolle des Muttersöhnchens Nero, das von der Frau Mama nolens volens zu Höherem ausersehen ist, mit der nötigen Mischung aus anfänglicher Unsicherheit und späterer Dreistigkeit und singt diese Hosenrolle mit exzellenter Virtuosität. Als Claudio darf Marcos Fink mehr als die anderen die etwas derbere Form der Komik ausspielen. Von kaiserlicher Würde ist nicht viel zu spüren, eher von verspielter Dummheit (beim auch vom historischen Claudius verbürgten Würfelspiel) und beträchtlicher Lüsternheit. Die Basspartie enthält deutliche musikalische Ironie wie protzige Tiefsttöne, die Sänger und Orchester hier mit spürbarer Freude zur Schau stellen. Als Pallante und Narciso dienen der Bariton Neal Davis und der Altus Dominique Visse ihren Rollen tadellos. Und Daniel Schmutzhard gibt der kleinen Rolle von Claudios Diener Lesbo auch sängerisch deutliches Profil.

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Ein Ausbund an Schönheit:
Anna Prohaska in der Rolle der Poppea

Überhaupt ist das Orchester ein weiterer Star dieses Abends. Von René Jacobs mit größter Feinfühligkeit für Rhythmus und den musikalischen Duktus geleitet, spielt die Akademie für Alte Musik klanggesättigt und farbenprächtig Händels Musik mit begeisternder Beredtheit und Spielfreude. Hier pulsiert jeder Takt und schwingt nach. Jacobs sorgt für große Transparenz und Plastizität im Klang, die Instrumentalisten spielen animiert und temperamentvoll. Kein Klangteppich untermalt hier die Szene, sondern perfekt getimtes und sinnlich pralles Musizieren erfüllt den Raum.

FAZIT

Vier Stunden Barockoper und keine Minute langweilig! Diese Produktion ist eine Perle im Opernbetrieb. Eine CD dieser Aufführung ist in Planung.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
René Jacobs

Inszenierung
Vincent Boussard

Bühnenbild
Vincent Lemaire

Kostüme
Christian Lacroix

Licht
Guido Levi

Dramaturgie
Francis Hüsers


Akademie für Alte Musik Berlin


Solisten

Agrippina
Alexandrina Pendatchanska

Claudio
Marcos Fink

Nerone
Jennifer Rivera

Poppea
Anna Prohaska

Ottone
Bejun Mehta

Pallante
Neal Davis

Narciso
Dominique Visse

Lesbo
Daniel Schmutzhard



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Unter den Linden Berlin
(Homepage)



Da capo al Fine

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