Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Überm Abgrund
Von Roberto Becker / Fotos von Wolfgang Silveri Das Risiko für den Berliner Komponisten Aribert Reimann war extrem hoch. Immerhin hatte selbst Verdi vor diesem Stoff die Waffen gestreckt und keinen Lear geschrieben. Obwohl gerade er mit Shakespeare-Vorlagen für seine Opern ja bestens vertraut war. Reimann wagte das Unternehmen, hatte vorab einen Lear-Interpreten für diesen Ritt über dem Abgrund Mensch vor Augen und dann zur Uraufführung, 1978, in Jean-Pierre Ponnelles Inszenierung, auch zur Verfügung. Und er landete mehr als nur einen Erfolg. Er schuf ein Meisterwerk, das mit seinen über zwanzig Inszenierungen seither einen der ganz wenigen Plätze erobern konnte, die im Repertoire für die zeitgenössische Oper reserviert sind. Lear und der NarrFür die Komische Oper Berlin hat jetzt kein Geringerer als Hans Neuenfels Reimanns "Lear" neu inszeniert. In dem Haus hatten Harry Kupfer und Hartmut Haenchen schon 1983 für die spektakuläre DDR-Erstaufführung zu einer Sternstunde des Musiktheaters gemacht. Neuenfels hat dem Werk mit seinen bewährten szenischen Instrumenten diesmal aber nicht eine zusätzliche intellektuelle Ebene eingezogen, sondern seine gestalterische Kraft in altmeisterlicher Souveränität darauf verwendet, die in Stoff und Musik eingeschriebene Tragik in der Klarheit eines ausgreifenden Kammerspiels freizulegen. Sicher gibt es auch einige kraftvolle Überzeichnungen. Da werden ziemlich eklige Maden-Videos eingeblendet, um zu zeigen, dass in dieser Familie der Wurm drin ist und die Verwesung wartet. Oder, da werden Reagans ausgestopfte Hunde plötzlich zur Vorlage für Menschenbestien in Hundemasken, die dem geblendeten Grafen Gloster die blutenden Augenhöhlen auslecken. Regan und die Hunde Doch der Lear, die Figur im Zentrum, ist ganz auf die Musik und die vokale Überzeugungskraft von Tómas Tómasson fokussiert. Immerhin hatte Reimann die Rolle ja für Dietrich Fischer-Dieskau maßgeschneidert, was letztlich für jeden Nachfolger in dieser Rolle eine große Herausforderung bleibt. Der Isländer besteht sie grandios. Dabei unterlässt Hans Neuenfels so gut wie alles, um ihn äußerlich als Machtmenschen und dann als verzweifelten alten Mann zu kennzeichnen. Er ist von seinen ersten, fast ohne Begleitung vorgetragenen Worten bis hin zu seinem leisen Tod am Ende, vor allem ein Mensch. Nicht im Königsmantel, sondern in der Strickjacke. Und der Narr an seiner Seite ist eine assistierende Freundin. Elisabeth Trissenaar spricht ihn mit Tendenz zum angedeuteten Singen. Sie bleibt auch dann treu an seiner Seite, wenn ihr klein gemusterter Hosenanzug längst dem Gewand mit dem Knochenmuster gewichen ist. Falsches Idyll: Generil, Lear und ReganDer König freilich ist der König, weil die anderen ihn, ob nun mit oder ohne Krone, als solchen sehen oder eben wirklich entmachten wollen. Und er erfährt mit voller Wucht, dass es nicht möglich ist, die Verantwortung abzugeben, das Reich aufzuteilen und doch das letzte Wort zu behalten. König geht eben nur ganz oder gar nicht. Seine beiden Töchter Goneril und Regan wissen das. Sie wissen es so gut, dass sie sich sogar verbünden, um dem König außer Diensten seinen Spielzeug-Hofstaat wegzunehmen. Die beiden freilich sind zur personifizierten Machtgier geworden. Goneril kommt in ihrem nüchternen grauen Hosenanzug als eiskalte Managerin der Macht daher. Bei Regan sind es ihre volkstümelnde Kleidung und ihre wie Kinder gehätschelten Hunde, die ihr die Aura der Macht verleihen. Dass es da nicht bei ausgestopften Vierbeinern bleibt, sondern das Zusatzpersonal, das noch in jeder Neuenfels-Inszenierung auftaucht, mit Hundemaske, deren tierisches Wesen als Kern der menschlichen Natur enthüllt, war zwar vorhersehbar, funktionierte aber auch in dem nüchternen Bühnenkasten, von Hansjörg Hartung, der nur von transparenten, beweglichen Wänden begrenzt wird. In seiner diesmal fast aufs Kammerspielmaß reduzierten Inszenierung überlässt Neuenfels auch das dräuende Unwetter oder die Verlassenheit auf der Heide allein dem Orchester und den Sängern. Und das kann er auch. Regan Denn er hat mit Carl St. Clair am Pult des kraftvoll und präzise aufspielenden Orchesters und mit einem exzellenten Ensemble die denkbar besten Voraussetzungen dafür. Neben Lear liefern Irmgard Vilsmaier und Erika Roos die auch im Forte noch verständlichen, furchterregenden Töchter Goneril und Regan. Ein optisches und stimmliches Gegenbild dazu ist die Cordelia von Caroline Melzer. Den Grafen von Gloster stattet Jens Larsen mit seiner eindrucksvollen Bühnenpräsenz aus, während Martin Wölfel mit manchmal bewusst in die Tiefe ausschlagendem Counterton die Verzweiflung Edgars ebenso eindringlich beglaubigt, wie John Daszak das mephistophelische Auftrumpfen des intriganten Edmund. Am Ende wütet der Tod und aus dem Graben klingt es herauf wie ein Echo aus dem Nichts. Das Publikum jubelte den Protagonisten zu und feierte den anwesenden und sichtlich zufriedenen Komponisten.
Die Komische Oper hat sich mit diesem "Lear" nicht zum ersten Mal szenisch und musikalisch als das interessanteste der drei Berliner Opernhäuser behauptet. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Regiemitarbeit
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Video
Dramaturgie
Chöre
Solisten
König Lear
König von Frankreich
Herzog von Albany
Herzog von Cornwall
Graf von Kent
Graf von Gloster
Edgar
Edmund
Goneril
Regan
Cordelia
Narr
Bedienter
Ritter
|
© 2009 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de