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Tristan und Isolde

Handlung in drei Akten
Musik und Dichtung von Richard Wagner

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 5h (zwei Pausen)

Premiere im Großen Haus des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
am 21. März 2009


Homepage

Hessisches
Staatstheater
Wiesbaden

(Homepage)
Liebestrank aus dem Blechnapf

Von Stefan Schmöe / Fotos von Martin Kaufhold



Dietrich Hilsdorf gehört zu den Geschichtenerzählern des Theaters. Oft genug hat er die Handlung einer Oper umgestellt, erweitert, neues hinzuerfunden oder ganz einfach völlig umgestrickt. Er hat die Türken Wien erobern lassen, um in der Entführung aus dem Serail den Clash of cultures herauszuarbeiten (Gelsenkirchen 1995); Offenbachs Orpheus in der Unterwelt wurde jenseits aller Operettenklischees zum doppelbödigen Weltuntergangs-Theater auf dem Theater (Essen 2005). Um Richard Wagner hat Hilsdorf lange Zeit einen großen Bogen gemacht, lieber Mozart, Verdi, Händel inszeniert. Jetzt gibt er sein Wagner-Debüt ausgerechnet mit Tristan und Isolde, vom Komponisten halb ironisch mit „Handlung“ anstatt „Musikdrama“ bezeichnet – obwohl die äußere Handlung geradezu aufreizend in den drei Aktschlüssen zusammengerafft ist und fast alle Zeit der handlungslosen Reflexion gegeben wird. Das scheint doch eher etwas für Regisseure des Abstrakten.

Vergrößerung Isolde (Turid Carlsen, vorne) und Brangäne (Silvia Hablowetz)

Aber auch in dieser Inszenierung erzählt Hilsdorf eine Geschichte, und die handelt von einer völlig unmöglichen Liebe in einem Krieg irgendwann im (eher frühen) 20. Jahrhundert. Der erste und der dritte Aufzug spielen im Schlafsaal einer Kaserne – es könnte sich um das Untergeschoss des verfallenden Gartensaals eines Palais handeln, in dem der zweite Aufzug angesiedelt ist, aber das bleibt unklar. Hilsdorf geht es nicht darum, das Werk in eine andere Epoche zu übersetzen; vielmehr liefert das schäbige, mehr und mehr zerstörte und mit Blut befleckte Ambiente den schäbigen Rahmen für eine Liebe, deren unerreichbar utopischer Gehalt sich vor diesem Hintergrund abhebt. Natürlich ist das nicht mehr das Liebesideal Richard Wagners – an den verklärenden Liebestod glaubt Hilsdorf so wenig wie inzwischen die meisten seiner Regie-Kollegen. In dieser Inszenierung ist diese Diskrepanz sehr pointiert herausgearbeitet, Tristans Sterben als elendiges Verrecken ohne jedes Pathos dargestellt. Der tote Held fällt zwischen die eisernen Bettgestelle, eines von vielen sinnlosen Opfern. Isolde erscheint mit Augenbinde, sie darf den toten Antihelden nicht einmal mehr sehen. Derweil sitzt Brangäne auf Markes Schoß – das Leben geht erschreckend banal weiter.

Vergrößerung

Brangäne (Silvia Hablowetz)

Im kurzen Moment des Glücks des zweiten Aufzugs darf handfest geküsst werden, da hat Hilsdorf eine ganz irdische Liebe im Sinn. Das mag mancher als unzulässige Banalisierung sehen, aber das utopische Moment liegt eben nicht im Bühnengeschehen, sondern in der Musik. Hilsdorf inszeniert sehr genau an der Partitur entlang, jeder musikalische Stimmungsumschwung hat seine Entsprechung in einer Aktion auf der Bühne. Und da erweist sich die Partitur als praktikable Theatermusik, die viele Regungen sehr genau beschreibt – das geht in den meisten Inszenierungen, die sich an der „unendlichen Melodie“ entlang hangeln, verloren. Hier spielen Regisseur Hilsdorf und Dirigent Marc Piollet Hand in Hand. Piollet dirigiert oft kurzgliedrig, kleinteilig; dabei kann die Klangfarbe schlagartig wechseln. Viele Details sind plastisch wie sonst nie, manche Passage mit einem gehörigen Maß an Italianitá gespielt, alles immer (auch) auf den Text bezogen. Da klingt eine ironisch gesungene Passage auch im Orchester plötzlich anders als der Satz zuvor. Piollet entwickelt viel Spannung aus der Situation heraus. Das Orchester, obwohl in den Holzbläsern etwas dünn und in den Bläsern insgesamt oft ungenau, spielt flexibel und sehr aufmerksam.

Vergrößerung Umschlungen: Tristan (Alfons Eberz) und Isolde (Turid Carlsen). Von hinten naht Melot (Angus Wood).

Neben der textgenauen Personenregie besticht die Inszenierung durch das Spiel mit den Symbolen. Der Liebestrank wird aus einer Blechtasse getrunken, die sonst wohl als Zahnputzbecher dient und mit einer Kette an der Wand befestigt ist – ein betont antiromantischer Einfall. Auf der anderen Seite lässt Hilsdorf alle drei Vorspiele vor gemalten Prospekten spielen; vor dem ersten und dritten Aufzug sieht man einen Eisanbahnzug auf einem sehr schmalen Damm durch das aufgepeitschte, durchaus romantische Meer fahren. Da klingt das Bedürfnis der mehr und mehr industrialisierten Wagnerzeit nach Romantik an (Balladen wie Theodor Fontanes „Die Brücke am Tay“ mögen einem da in den Sinn kommen). Der Figur der Brangäne haftet etwas Unheimliches und Unwirkliches an, eine Art Hexe. So hat die Inszenierung auch ihre bewusst rätselhaften, unergründlichen Momente.

Vergrößerung

Entdeckt: Tristan (Alfons Eberz, mitte); im Hintergrund Marke (Bernd Hofmann)

Die Darsteller fügen sich ausgezeichnet in dieses Konzept ein, spielen engagiert und singen mit hoher Textverständlichkeit und präziser Textausdeutung. Alfons Eberz, der vor einigen Jahren noch mit hellem, fast grellem Tenor aufgefallen ist, überrascht als Tristan durch die dunkle, baritonale Einfärbung der Stimme. Sicher neigt er dazu, allzu schnell ins Forte zu wechseln (und nicht immer sind die Piano-Passagen ganz sauber), aber die Stimme besitzt trotz der maskulinen Grundierung metallische Strahlkraft und Glanz in der Höhe. Eberz geht bereits im ersten Akt, den (zu) viele Kollegen ja gerne als „warm-up“ eher verhalten angehen, auf's Ganze. Mancher wird die Liebesduette des zweiten Aufzugs allzu heldisch gesungen finden, aber solche Aufschwünge, von einigen wenigen blassen Momenten abgesehen, muss erst einmal jemand nachmachen – eine alles in allem imponierende Leistung. Eindrucksvoll mit einigen Einschränkungen auch die Isolde von Turid Carlsen, deren Stimme eher klein ist und durch ein wenig flexibles, zwar kontrolliertes, aber nicht ganz kleines Vibrato wenig Farbwechsel zulässt. Das klingt nicht unangestrengt, ist auf der anderen Seite aber sehr intensiv und konzentriert gesungen, und wenn es darauf ankommt, hat die Sängerin immer noch ein paar Reserven. Und sie kann, nicht zuletzt beim „Liebestod“, doch in dieser hohen Intensität doch sehr anrührend singen.

Vergrößerung Tristan (Alfons Eberz, links) und Kurwenal (Thomas de Vries)

In jeder Hinsicht großartig ist die Brangäne von Silvia Hablowetz. Die junge, groß gewachsene Sängerin hat szenisch wie musikalisch hohe Präsenz und geht die Partie geradezu hochdramatisch an, übertrifft an Klangpracht und Strahlkraft ein um das andere Mal die Isolde. Über eine große, allerdings oft dröhnend und recht grob geführte Stimme verfügt Thomas de Vries als Kurwenal, was ja für einen verrohten Soldaten nicht unpassend ist, aber doch ziemlich einseitig auf Kraftprotzerei setzt. Bernd Hofmann singt einen prächtigen und klangschönen Marke mit edler, dennoch jugendlicher Stimme. Und auch die kleineren Partien können sich hören lassen – Jud Perry als Hirte und junger Seemann, Angus Wood als Melot und Reinhold Schreyer-Morlock als Steuermann.



FAZIT

Keine Aufführung für Romantiker, aber packendes Theater: Angesichts der konsequenten, in manchem Detail (bewusst) irritierenden, auf jeden Fall aber sehr genauen Inszenierung eine spannende Aufführung auf beachtlichem musikalischen Niveau.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Marc Piollet

Inszenierung
Dietrich Hilsdorf

Regiemitarbeit
Iris Gerath-Prein

Bühnenbild
Dieter Richter

Kostüme
Renate Schmitzer

Choreinstudierung
Christoph Hilmer

Licht
Thomas Roscher

Dramaturgie
Janka Voigt



Statisterie des Hessischen
Staatstheaters Wiesbaden

Chor des Hessischen
Staatstheaters Wiesbaden

Hessisches Staatsorchester
Wiesbaden


Solisten

* Besetzung der Premiere

Tristan
Alfons Eberz

Isolde
Turid Carlsen

Marke
Bernd Hofmann

Kurwenal
Thomas de Vries

Melot
Angus Wood

Brangäne
Silvia Hablowetz

Hirte
Jud Perry

Ein Steuermann
Reinhold Schreyer-Morlock

Stimme eines
jungen Seemanns
Jud Perry



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Hessischen
Staatstheater
Wiesbaden

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