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Musiktheater
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La porta della legge
(Das Tor zum Gesetz)

Quasi un monologo circolare
nach einer Erzählung von Franz Kafka
Text und Musik von Salvatore Sciarrino

Auftragswerk der Wuppertaler Bühnen

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 70' (keine Pause)

Uraufführung im Opernhaus Wuppertal am 25. April 2009


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Wuppertaler Bühnen
(Homepage)
Im Kreisgang


Von Ralf Jochen Ehresmann / Fotos von Michael Hörnschemeyer

„Zum neuen Haus ein neues Stück", so oder ähnlich muss wohl in der Dramaturgie gerechnet worden sein, und da im Opernhaus in Wuppertal-Barmen auch zeitgenössisches Musiktheater stets gut vertreten war und man sogar über die Jahre der sanierungsbedingten Schließung hinweg diese Betätigung nie hat abreißen lassen, so lag es wohl nicht fern, gleich in der Saison der Wiederinbetriebnahme des frisch renovierten Opernhauses neben Repräsentationswerken und Kassenschlagern auch eine Uraufführung zu platzieren.

Vergrößerung in neuem Fenster

"Wenn es dich so lockt, versuche es doch trotz meines Verbotes hineinzugehen. Merke aber: Ich bin mächtig."

La porta della legge liegt eine kurze Erzahlung von Franz Kafka "Vor dem Gesetz" zugrunde, worin eine unbedarfte Person Eintritt in das Gesetz begehrt und dabei von einem Turhüter abgehalten wird, der nur auf vorgebliche Unmöglichkeit des Anliegens zu verweisen braucht, ohne selbst Hinterfragung zu befürchten. Letztlich stirbt der Mann nach lebenslangem Warten, ohne je andere Mittel zur Erlangung des Zugangs auch nur erwogen zu haben. Die Erzählung reflektiert durch die Kürze des Geschehens, die gleichzeitig die Dauer eines ganzen Lebens in ereignisloser Warterei erfasst, die Sinnlosigkeit einer geworfenen Existenz, die darüber zerbricht, dass sie den entscheidenden Impuls zum Aufbruch konsequent verfehlt.

Salvatore Sciarrinos Musik changiert zwischen den Extremen einerseits einer konservativen Grundtendenz – arbeitet er doch mit einem klassischen Sinfonieorchester, wenn auch eher im Kammeroperformat – andererseits der Einbeziehung außermusikalischer Geräusche, die freilich so neu auch nicht mehr sind. Neben extrem akzeleriertem Parlando des Gesangsstiles, der praktisch keine Kantilenen zulasst und vermutlich selbst fur ein muttersprachlich italienisches Publikum die Übertitel unverzichtbar macht, ist es primär der menschliche Atem, der zur Stimmung beiträgt: Was da alles changiert zwischen Hauchen und Pusten, Schniefen und Keuchen, das generiert eine Ausdruckspalette sui generis!

In der zweiten Szene wird das Geschehen der ersten mit nur geringen Abweichungen wiederholt und präsentiert den Suchenden ausgetauscht in anderer Stimmlage, während der Pfortner derselbe bleibt. Ein drittes Bild wagt die Verallgemeinerung und zeigt in ständig wachsender Zahl Video-Replikationen der beiden Mann-Solisten, wie sie in Paternosterfahrstühlen auf und nieder fahren. Hier allerdings belässt es Sciarrino mit einer dreiminutigen Andeutung, um den Ausblick in die Welt umfassender Betroffenheit zu erweitern, ohne durch vollständige Auswalzung der Tripelstruktur sein Fazit zu erschlagen: de te fabula narratur!

Foto

Der Türhüter muss sich tief zu ihm hinunterneigen, denn der Größenunterschied hat sich sehr zu ungunsten des Mannes verändert.

Diese Kreisstruktur, von Sciarrino selbst angedeutet im Untertitel Quasi un monologo circolare, erfüllt in Großform exakt das, was das Wesen der minimal music ausmacht: Permanente Repetition bei minimaler Variation. Wenn nun aber nicht kleinste Motivschnipsel variiert werden und stattdessen die Makrostruktur selbst interdisponiert wird, so ist davon seitens des Publikums gleichfalls nur das Grobe wahrnehmbar. Dankbar, in einem zweiten Durchgang Wahrnehmungslücken aus der ersten Runde schließen zu können, reduziert sich die Erkenntnis der Differenz primär auf den Lagenwechsel des Mannes vom Lande – hier bezeichnet als Mann I und II – von Bariton auf Tenor sowie auf die Inversion der Bühnenverwandlung: Brachte die erste Szene in unendlicher Langsamkeit die Öffnung einer anfangs nur kleinen Pforte, bestehend aus drei Teilwänden rechts, links und oben, die Johannes Weigands Inszenierung in der Ausstattung von Jürgen Lier stetig auseinander streben lasst, bis endlich eine offene Totale erreicht ist, so vollzieht die Wiederholung den beklemmenden Rekurs, bis letztlich Mann II angesichts des eigenen Todes im kleinsten Restfenster dasselbe vernichtende Urteil erfährt, das Mann I in der Verlorenheit des leeren unendlichen Raumes hat hinnehmen müssen: "Dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn."

Indem die Gesangsbekundungen der drei Manner praktisch nie den Bereich des Pianissimo verlassen, ist von Belcanto sowie jeglichem romantischen Subjektivitätsgehabe keine Spur zu finden. Technische Präzision in ihren schwierigen Partien zeigten alle drei Solisten (Ekkehard Abele, Gerson Sales und Michael Tews) in ebenbürtiger Perfektion, und auch das Sinfonieorchester Wuppertal unter Hilary Griffiths, dem zudem der Programmleporello einen wichtigen Analyseartikel verdankt, vermochte die Tücken der Partitur und ihrer außergewöhnlichen Herausforderungen gerade der Bläser – also eben derer, die gleichfalls mit Klangerzeugung durch Atmung befasst sind – bestens umzusetzen: Eine treffendere Realisierung hatte sich der anwesende Komponist auch woanders nicht erhoffen konnen.


FAZIT

Die Wuppertaler Bühnen setzen ihre Reihe mit Werken Salvatore Sciarrinos erfolgreich fort, hier sogar mit einem eigens in Auftrag gegebenen Werk. Bliebe zuletzt die Frage, ob die Zirkularstruktur der klaren Gerichtetheit von Kafkas Vorlage wirklich gerecht wird.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Hilary Griffiths

Inszenierung
Johannes Weigand

Ausstattung
Jürgen Lier

Video
Jacob Creutzberg

Licht
Sebastian Ahrens



Sinfonieorchester Wuppertal


Solisten

Mann I
Ekkehard Abele

Mann II
Gerson Sales

Türhüter
Michael Tews



Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Wuppertaler Bühnen
(Homepage)



Da capo al Fine

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