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Der Katastrophe musikalisch trotzen
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Stutte
"Die Betroffenen hätten wissen müssen, dass wegen der der knappen städtischen Finanzen dern Zuschuss nicht mehr erhöht werden kann.en werden. Anstatt den Geschäftsbetrieb auf die knapper werdenden Mittel einzustellen hat man die Rücklagen von über einer Million Euro aufgebraucht. Wieso hat das Theater nicht entsprechend geplant?“ Die Vereinigten Bühnen Krefeld Mönchengladbach stehen am Rand des finanziellen Zusammenbruchs. Nach aktuellen Schätzungen dürfte das Haus im Sommer 2009 zahlungsunfähig sein. Grund sind Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst, die ein Loch in den Etat reißen; einen dringend erforderlichen Nachtragshaushalt mit einem Zuschuss in Höhe von 485.000 € haben die Ratsfraktionen von CDU und FDP (auf Druck der letztgenannten) verweigert. „Wieso hat das Theater nicht gespart?“ fragt, siehe oben, reichlich scheinheilig die FDP. Dabei sollte eine Partei, die sich Kompetenz in Finanzdingen auf die Fahnen geschrieben hat, eigentlich wissen: Sparen kann man nur, was man übrig hat. Dem scheidenden Intendanten Jens Pesel den Schwarzen Peter für unsolides Haushalten zuzuschieben, ist eine kulturpolitische Bankrotterklärung der Lokalpolitiker, denn Pesel hat nunmehr 12 Jahre lang bei im besten Fall engen, in der Regel wohl eher keinen finanziellen Spielräumen ein ebenso vielseitiges wie anspruchsvolles Programm bei hoher künstlerischer Qualität garantiert. Auf der Flucht vor den Nazis landet die Jüdin Emma (Judith C. Jakob) in "Leos Bar"
Am Tag nach der desaströsen Entscheidung in Mönchengladbach (der Krefelder Stadtrat hatte seinerseits einige Tage zuvor entsprechende Gelder bereit gestellt) ist zu erleben, was hier auf dem Spiel steht: Das Musical Swinging St. Pauli zeigt viel von der ungeheuren Bandbreite, die das Theater zu bieten hat. Da ist zunächst ein volles Haus mit viel jugendlichem Publikum, das einer überzeugenden Aufführung sehr konzentriert folgt. Flankiert ist die Produktion mit einer hervorragend aufbereiteten Informationsmappe für Schulen – so etwas ließe sich unter allzu kurzsichtigen Spargedanken natürlich streichen. Überhaupt könnte man statt Swinging St. Pauli auch preisgünstiger eine Kammeroper oder ein „kleines“ Schauspiel aufführen, was billiger zu haben wäre – für ein Musical braucht man natürlich ein paar Spezialisten, und die kosten zusätzliches Geld. Dafür kommt allerdings auch viel Publikum und mancher neuer Besucher, und der eine oder andere wird nach diesem Abend sicher auch zu anderen Veranstaltungen wiederkommen. Ein Kinderwagen als Tarnung für geklauten Alkohol: Beate Stenzel (Anja Barth, l.), Alberta Bitler (Eva Mona Rodekirchen), Heinrich Koch (Ronny Tomiska, im Kinderwagen) und Max Waldeck (hier: Frederick Leberle)
Dabei wird auch hier sichtbar gespart; jedenfalls dürften sich Regisseur Reinhardt Friese und Choreograph Stephan Brauer zumindest für das (hier allzu spartanische) Finale ein paar Tänzer mehr gewünscht haben, und noch mehr für die Eröffnungsnummer in „Leos Bar“, einem Tanzlokal in St. Pauli im Kriegsjahr 1941. Hier tanzen die „Swingkids“ zu undeutscher Musik, was der NS-Obrigkeit wenig gefällt. Drei Schüler kurz vor der Einberufung an die Ostfront stehen im Mittelpunkt, die hier die große Liebe gefunden haben oder im Verlauf des Stückes finden, und weil das Theater natürlich eine „große“ Geschichte braucht, verliebt sich Max in die Jüdin Emma, die auf der Flucht vor den Nazis Schutz bei Barbesitzer Oscar Leonhardt sucht. Der nämlich war der Liebhaber ihres Bruders Jakob, der von der SS erschossen wurde. Wie sich Oskar letztendlich für die Schwester seines toten Freundes opfert, das ist dann eine vierte und wahrhaft heroische Liebesgeschichte (die leider in dieser Inszenierung ziemlich beiläufig abgehandelt wird). Swinging St. Pauli ist 2001 in Hamburg uraufgeführt worden und bestach dort natürlich nicht zuletzt durch viel Lokalkolorit. Dank der handfesten Story, die ziemlich gut vom Widerstand im Kleinen und einer unpathetischen Form von Zivilcourage erzählt, aber auch dank einer Reihe von richtig starken Songs ist das Musical auch außerhalb der Hamburger Hafenviertel erfolgreich aufführbar. In Mönchengladbach hat Bühnenbildner Günter Hellweg ein nahezu abstraktes Bühnenbild aus Holzkästen – Bierkästen in der Form von 1941 – gebaut, das virtuos genutzt wird und schnell die vielen Bildwechsel ermöglicht. Reinhardt Friese, der in Krefeld und Mönchengladbach bereits eine Reihe von Musicals erfolgreich inszeniert hat (u.a. Kiss me, Kate und Shockheaded Peter), setzt einerseits auf flottes Tempo, auch wenn das hier und da auf Kosten der Charakterzeichnung geht, gibt andererseits einigen eindrucksvoll gelungenen Schlüsselszenen viel Zeit. Dadurch profiliert sich insbesondere Sven Seeburg als Obersturmbannführer Hundt (eine reine Sprechrolle), der den Nazi mit der freundlichen Maske und dämonischem Innenleben eindrucksvoll vorführt. "Undeutsche" Musik in der Kellerkneipe ist auch eine Form des Protests: (v. l.) Heinrich Koch (Ronny Tomiska), Beate Stenzel (Anja Barth), Fritz von Berg (Stefan Diekmann), Alberta Bitler (Eva Mona Rodekirchen), Max Waldeck (Frederik Leberle) und Emma Löwenstein (Judith C. Jakob)
Das Problem des Stückes besteht natürlich darin, die Unterhaltungssphäre mit dem Schrecken des Nazi-Terrors zu verbinden. Das gelingt im zweiten Teil nicht ganz; auch weil Musik und Tanz im Vergleich zum hohen Sprechanteil zurückgenommen sind. Ambivalent auch der Schluss: Auf das trotz eines Hoffnungsmoments überwiegend tragische Ende, das natürlich kein Musical beschließen kann, folgt ein reflektierendes Finale, in dem man eigentlich noch einmal alle auf der Bühne erwartet. Friese allerdings verlegt dies nach Amerika, wo die Bierkisten wie die Skyline von Manhatten vor einem Hintergrund in den amerikanischen Nationalfarben erscheinen und vier glitzernde Nummerngirls tanzen. Das mag als Stoßseufzer „Amerika, du hast es besser“ ja plausibel sein, ist aber als Abschluss eines Musicals arg kopflastig geraten. Obersturmbannführer Günter Hundt (Sven Seeburg)
Fast alle Tanznummern entspringen unmittelbar der Handlung, schließlich geht es um Jugendliche in einem Swinglokal. Da macht es durchaus Sinn, das Stück nicht als perfektes Tanzmusical anzulegen, sondern da zu tanzen, wo es inhaltlich logisch ist – mehr ein Schauspiel mit Musik also. Ein bisschen kurz kommt der Tanz dadurch allerdings schon, zumal die Abstraktion im Bühnenbild mehr Tanzeinlagen eigentlich nahe legt. Glänzend aufgelegt ist das Ensemble; sängerisch angeführt von Judith C. Jakob als Emma. Besonderes Lob muss Dominique Bals gezollt werden, der kurzfristig für den verletzten Frederik Leberle die Rolle des Max, eine der Hauptrollen also, übernahm und gerade einmal einen Tag für die Einstudierung der umfangreichen Partie hatte – was man bestenfalls an ganz kleinen Wacklern im Gesang merkt. Ansonsten spielt er mit ebenso viel Elan wie Charme, was für alle Darsteller gilt. Da könnte die solide und äußerst diszipliniert spielende Band, geleitet von Willi Haselbek, ruhig ein wenig von ihrer Zurückhaltung aufgeben. Im Zugabenmedley verstummte dann von den als Gästen engagierten Darstellern und Musikern einer nach dem anderen: So könnte es aussehen, wenn das von der FDP eingeforderte Sparkonzept einmal umgesetzt werden sollte. Viel bleibt da nicht übrig. Vor einigen Jahren ist „das deutsche Stadttheater" in seiner Allgemeinheit in einer Kritikerumfrage zum „Theater des Jahres" gekürt worden. In Mönchengladbach ist, wenn nicht noch ein kleines Wunder geschieht, demnächst zu erleben, wie es von der Lokalpolitik kaputt gemacht wird.
Ein unterhaltsamer Abend mit nachdenklichen Tönen, bei dem zwar nicht alles, aber vieles gelingt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Choreographie
Bühne
Kostüme
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Oscar Leonhardt
Max Waldeck
* Dominique Bals
Fritz von Berg
Heinrich Koch
Alberta Bitler
Beate Stenzel
Emma Löwenstein
Günter Hundt
Arnold Stenzel
Karl Koch
Paul Schmidt
Swing Kids
Claudia Rinner Marthe Römer Sven Niemeyer Thomas Schweins
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