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Musiktheater
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Samson et Dalila

Oper in drei Akten
Libretto von Ferdinand Lemaire
Musik von Camille Saint-Saens


Aufführungsdauer: ca. 2h (keine Pause)

Premiere im Opernhaus Köln am 9. Mai 2009


Besuchte Vorstellung: 13. Mai 2009

Logo: Oper Köln

Bühnen der Stadt Köln
(Homepage)

Reality Opera

Von Thomas Tillmann

"Skandalös ist der Mensch, aber nicht die Bühne, die den Skandal zeigt", urteilte deutschlandradio kultur nach der Premiere von Saint-Saens' Samson et Dalila, die im Vorfeld für so viel Aufsehen gesorgt hatte - 28 von 64 Chormitgliedern hatten die Proben abgebrochen, weil sie (zum Teil als Überlebende des Balkankriegs) von der Drastik der Kriegs- und Vergewaltigungsszenen in besonderem Maße erschüttert waren, Dalia Schaechter (Dalila), Samuel Youn (Oberpriester) und Ulrich Hielscher (Alter Hebräer) waren aus der Produktion ausgestiegen, Enrico Delamboye hatte kurzfristig auch sein Dirigat niedergelegt - und die dem scheidenden Geschäftsführer der Oper Köln vierzehn Tage später einen Werbebrief wert war, in dem er dazu auffordert, sich die "meistdiskutierte Operninszenierung der Spielzeit nicht entgehen" zu lassen - läuft der Kartenverkauf nach wie vor schleppend? In der von mir besuchten zweiten Vorstellung gab es im Parkett jede Menge freier Sitze.

"Oper als Medium der Erkenntnis, nicht des Genusses." und "Wir machen Theater, und Theater hat die Aufgabe, sich mit den Dingen dieser Welt auseinander zu setzen. Alles andere ist uninteressant." Solche und ähnliche Statements hatte Tilman Knabe im Vorfeld im Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger abgegeben und sich nicht eben bescheiden als "Moralist in der Nachfolge von Brecht und Heiner Müller ... verpflichtet, Dinge und Missstände zu benennen und zu zeigen". Saint-Saens' Oper gibt das natürlich alles her: Produktionsdramaturg Oliver Binder weist zurecht darauf hin, dass von Versöhnung in dem diskutablen Libretto von Lemaire nicht die Rede ist und dass das Wort "haine" hinsichtlich der Verwendungshäufigkeit nur von "amour" geschlagen wird, die aber auch nur als Mittel zum Zweck zum Einsatz kommt, und natürlich hat Krieg bis heute "eine furchtbar erotische Komponente", natürlich wird "diese Erotik zudem religiös aufgeladen", und so hält er zurecht wortgewaltig und mit heilig-naivem Zorn fest: "Solange die kriegstreibenden Hohepriester der Rüstungskonzerne ihre Altäre des Profits errichten, wird die Vernunft das Nachsehen haben. Geld und Gewalt machen geil, und der Dünkel der Zivilisation ist nur eine dünne Decke über deren Abgründen. Verzweiflung, Trauer und Zorn über das eigene Elend sind ein guter Nährboden für Zerstörungswut."

Bis heute werden "Hebräer" von "Philistern" unterdrückt, unterdrücken "Philister" "Hebräer" und feiern "schreckliche Feste". Aus den Parketttüren stürmen Soldaten und die schwarz gewandete Partysociety die Bühne und treiben dort ihr böses Spiel mit den Opfern, bauen einen Menschenhaufen aus ihnen, spritzen mit Champagner herum ("Bacchanale" steht ja in der Partitur, na klar!), zwingen die Hebräer, sich auszuziehen, man sieht, wie eine junge Frau auf dem Rücken ihres Mannes liegend vergewaltigt wird, wie nach nicht enden wollenden Gewalttätigkeiten die Opfer erschossen werden, wie Discolicht über den toten Körpern aufflackert, wie die Täter sich gegenseitig mit dem Blut der Opfer beschmieren. Ich gebe zu, dass es mir schwer erträglich war, diese Bilder zu sehen, ich habe mit Tränen und Brechreiz gekämpft, ich war schockiert, und ich glaube nicht, dass ich allzu zart besaitet bin. Scheinwerfer leuchten schließlich ins Parkett, und wir verstehen: Wir alle schauen zu bei solchen Massakern, wir machen mit oder zumindest nichts dagegen, das ist Knabes brutale Botschaft, und Unrecht hat er damit ja nicht.

Intellektuelle Rückendeckung liefert wie so oft Susan Sontag (diesmal mit Auszügen aus "Die Leiden anderer betrachten"), die weiß, dass sich "in die Erschütterung beim Betrachten der Nahaufnahme eines wirklichen Schreckens ... Beschämung mischt", und die die Frage aufwirft, "was man mit den geweckten Gefühlen, dem übermittelten Wissen tun soll. Wenn man den Eindruck bekommt, dass es nichts gibt, was 'wir' tun könnten ..., fängt man an, sich zu langweilen, wird zynisch und apathisch", und so resümiert sie: "Das Mitgefühl, das wir für andere, vom Krieg und einer mörderischen Politik betroffene Menschen aufbringen, beiseite zu rücken und statt dessen darüber nachzudenken, wie unsere Privilegien und ihr Leiden überhaupt auf der Landkarte Platz finden und wie diese Privilegien ... mit ihren Leiden verbunden sind, ... das ist eine Aufgabe, zu deren Bewältigung schmerzliche, aufwühlende Bilder allenfalls die Initialzündung geben können."

Ich kann nicht beurteilen, welche Wirkung Knabes Bilder auf das Publikum an diesem Abend hatten, wie viel echtes Nachdenken und konkretes Handeln dem Betrachten der schockierenden Bühnenereignisse folgt. Immerhin, es wurde an keiner Stelle "Aufhören" gebrüllt oder gebuht, auch nicht am Ende. Ich hatte allerdings den Eindruck, dass der Regisseur dem eigenen Anspruch, eben keine "CNN-Dokumentation" machen zu wollen, sondern eine eigenständige, künstlerische Dimension zu schaffen, nicht wirklich gerecht geworden ist. Der ganze Abend, dessen Ziel das "Heranzoomen der Gewalttätigkeit des Alten Testaments - neue Zeit, gleicher Ort" ist, wirkt eben doch wie eine TV-Kriegsreportage auf einer mit Requisiten, die einen Ort der Zerstörung und des improvisierten Überlebens suggerieren, übersäten Bühne von Beatrix von Pilgrim, mit Bombeneinschlägen, Gewehrsalven, Pyrotechnik, viel (Theater-)Blut, hektischen Sanitätern, Asche vom (Bühnen-)Himmel, mit Menschen in Uniformen und Alltagskleidung von verarmten, heimatlosen Kriegsopfern (Entwurf: Kathi Maurer). Worin liegt das Künstlerische? Dass zu den realistisch wirkenden Bildern die Musik Saint-Saens' live aufgeführt wird? Dass Menschen mit künstlerischen Berufen, die statt Lektionen in französischer Aussprache (die dringend nötig gewesen wären!) mit einem Bewegungstrainer gearbeitet haben, das Ganze spielen und man keine echten Soldaten engagiert hat? Dass man etwa beim Durchschneiden einer Halsschlagader sofort sieht, dass es nicht echt ist, das bei den vielen Sexszenen die Höschen an bleiben und nur so getan wird, als würde im Takt der Musik kopuliert? Dass Samson nicht nur sein langes Haar, sondern ganz im Sinne der Tiefenpsychologie, die von Kastration redet, von Dalila der Penis abgetrennt wird (wobei die Attrappe nicht Sekunden vor dem eigentlichen Abtrennen in der Hand der Täterin zu sehen sein sollte, will man Publikumsgelächter vermeiden)? Dass wir nicht den Fernseher eingeschaltet haben, sondern ins Opernhaus gegangen sind?

Dalila ist eine in die Jahre gekommene, gemeine blonde Lagerhure, die zuviel Bauch und Bein zeigt und zu viel raucht, die im Bann des "Oberpriesters" steht und ihm sexuelle Dienste zu leisten hat, eine Klischeeprostituierte, an deren Zeichnung Ursula Hesse von den Steinen offenbar großen Spaß hat, die auch in der zweiten Vorstellung noch nicht so weit genesen war, dass sie die weibliche Titelpartie auch hätte singen können, und so hörte man zu dem aufdringlichen, reißerisch-vulgären, übertrieben und fast wie eine Karikatur wirkenden Spiel der Sängerin, die so schnell für die aus der Produktion ausgestiegene Dalia Schaechter eingesprungen war, deren akute Erkrankung dann aber eine Verlegung der Premiere auf den 9. 5. erforderlich gemacht hatte, wie schon in der ersten Vorstellung die russische Mezzosopranistin Irina Mishura, die mit dieser Partie im Jahre 2000 an der Seite von Plácido Domingo an der New Yorker Met debütiert hatte und sie mit voller, dramatischer, nur am Anfang etwas steifer, bis in die Tiefe praller, auch in der Höhe sehr präsenter Stimme grundsätzlich sehr solide, wenn auch ohne rechtes Wissen um französischen Stil, echtes Raffinement und sinnstiftende Phrasierung und damit etwas vordergründig "ablieferte".

Ray M. Wade jr. beeindruckt zu Beginn mit gutem Legato und mehr vokalem Glanz als erinnert, so dass man fast dem Eindruck erliegt, er habe den Wechsel ins dramatische Fach wohl doch gemeistert, bis man realisiert, dass er die ersten Phrasen eben auch sehr weit vorn singen darf. Wenn es im weiteren Verlauf weiter nach hinten auf die Bühne geht, verliert die Stimme erheblich an Farbe und squillo und entpuppt sich einmal mehr als das, was sie immer war: eine ganz ordentliche lyrische Tenorstimme, nicht mehr und nicht weniger, eine Tenorstimme zudem, die besonders im angestrengten Forte beklagenswert flach und blaß klingt, die bei Pianotönen bereits im zweiten Akt zu bröckeln beginnt. Da Samson in dieser Inszenierung keineswegs als strahlender Held gezeigt wird, sondern auch in seiner ganzen Schwäche und Hilflosigkeit (so beginnt er etwa zu weinen, wenn Dalila mit "Mon coeur s'ouvre à toa voix" lockt), ist der Amerikaner, der sogar in T-Shirt und Retroslip zu sehen ist, darstellerisch eine interessante Besetzung, die sich nicht schont, sondern sich bis zum Keuchen und Stöhnen hin auf das Konzept des Regisseurs einlässt, und da ist das Gelächter angesichts der üppigen Optik unangebracht, das immer wieder im Parkett zu hören war.

Egils Silins, der in der Davis-Aufnahme an der Seite von José Cura und Olga Borodina noch den Abimélech gesungen hatte, lieh nun dem Oberpriester seine klangvolle, zu einigem Aplomb fähige Stimme, Wilfried Staber bot als Abimélech mit deutliche Gebrauchsspuren erkennen lassendem schwarzen Bass reichlich viel Sprechgesang, und auch Markus Hollops brutales Singen als Alter Hebräer, das blaße Forte und der Kampf um die tiefen Töne machten keine Freude. Unter den drei Kriegern tat sich Alexander Fedin mit individuellen Tenortönen hervor, wobei die Opernstudiomitglieder Jeongki Cho und Jong Min Lim auch keinen schlechten Eindruck hinterließen. Sehr tapfer schlug sich der Chor, besonders die "Hymne de joie" bleibt einem als sehr subtil gesungen in Erinnerung. Das Gürzenich-Orchester ließ unter Enrico Delamboyes Stabführung manches Mal die nötige französische clarté und Eleganz vermissen, nicht selten ärgerte man sich über einen wenig konturierten Klang ohne die nötige Struktur und Transparenz und zu aufdringlicher Schwülstigkeit, an anderen über allzu veristische, drastische Effekte und auch über den einen oder anderen Spielfehler.


FAZIT

Ein beklemmender Opernabend, zweifellos, drastisch und bei allem Bemühen ein wenig schwarz-weiß und plakativ im Aufzeigen von Missständen und im Verharren dabei - dass Krieg etwas Furchtbares ist, war den meisten Zuschauern wohl auch vor dem Betrachten dieser Inszenierung klar, und auf Lösungsansätze wartet man da vergebens (na ja, wer hätte die schon). Was ich nicht gesehen habe, war der von vielen im Vorfeld angenommene arrogante Willen zur Provokation. Musikalisch musste man sich einmal mehr mit schwacher Durchschnittskost begnügen, und so hofft man, dass die Kölner Oper nach diesen sehr dürren Jahren (die Sonderausgabe der Hauspublikation erhärtet diesen Eindruck noch) zu vergangener Größe zurückfindet und sich nicht durch Skandalberichterstattung, sondern durch ein hohes künstlerisches Niveau interessant macht.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Enrico Delamboye

Inszenierung
Tilman Knabe

Bühne
Beatrix von Pilgrim

Kostüme
Kathi Maurer

Bewegungstraining
Peter Pruchniewitz

Dramaturgie
Oliver Binder

Licht
Andreas Frank

Chor
Andrew Ollivant


Statisterie der Oper Köln

Chor und Extrachor
der Oper Köln

Gürzenich-Orchester Köln


Solisten

Samson
Ray M. Wade jr.

Alter Hebräer
Markus Hollop

Dalila
Irina Mishura (singend)
Ursula Hesse
von den Steinen (spielend)

Oberpriester
Egils Silins

Abimélech
Wilfried Stabler

Drei Krieger
Alexander Fedin
Jeongki Cho
Jong Min Lim


Weitere Informationen
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Bühnen der Stadt Köln
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Da capo al Fine

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